# taz.de -- Surfer und Naturschutz: Das Märchen von der Welle | |
> Eine Surffirma lockt junge Leute und Touristen nach Rostock. Genau das, | |
> was die Region braucht. Nur die Vögel sind irritiert. | |
Bild: Das Neueste in der Surferszene ist auch in Rostock beliebt: Stand-up-Padd… | |
Rostock taz | Kurz bevor die Sonne untergeht, lehnt sich der Mann, der | |
nicht Chef genannt werden will, gegen den Holzpfeiler einer Strandhütte, | |
nimmt einen Schluck Orangenlimo und schaut aufs Meer. „Siehst du“, sagt er, | |
„die dunkle Linie, das sind Wellen, sie kommen näher.“ Wellen sind gut, | |
Wellen sind sein Geschäft. Dieser Mann hat gelernt, sie zu lesen, und sagt | |
leise in den aufbrausenden Wind: „Wir brauchen uns nicht zu verstecken.“ | |
Wir, das sind Leute, für die das Meer ein guter Ort ist, das Salzwasser, | |
der Sand, weil sie Freiheit verheißen. Wir, das sind Wellen und Menschen, | |
die für ein paar Minuten im gleichen Rhythmus toben. Surfer. „Fast wie | |
Frankreich“, sagt dieser Mann mit den blonden Locken, über die er sich nun | |
eine Kapuze zieht. Es beginnt zu regnen. 15 Grad, Rostock Warnemünde. Der | |
Strand ist leer. | |
Dieser Mann will nicht so genannt werden, aber er ist Chef. Daniel Weiß, 33 | |
Jahre alt, hat ein Unternehmen, gemeinsam mit seinem Freund Hans Jensen. | |
Sie verkaufen Surfboards und -kurse, Klamotten, Longboards. Supremesurf | |
heißt ihr Unternehmen, und das sind inzwischen drei Schulen, zehn | |
Angestellte, zwei Auszubildende, ein Geschäft in bester Innenstadtlage, | |
zwei Festivals mit insgesamt 6.000 Besuchern. Aber das ist nur die halbe | |
Wahrheit. | |
Es gibt ein kleines Wirtschaftsmärchen in Mecklenburg-Vorpommern, das | |
handelt von jungen Männern, die nach Rostock kommen, während andere | |
wegziehen. Die ein Unternehmen aufbauen, dessen Potenzial andere übersahen, | |
das noch da ist, als Konkurrenten längst wieder verschwinden. Doch Daniel | |
Weiß, der dieses Wirtschaftsmärchen erzählen könnte, taucht zum Interview | |
nicht auf. Stattdessen: eine SMS. „Ich bin doch verhindert, sorry.“ | |
## Kurz mal nach Dänemark | |
Es ist der Wind, der ihn verhindert. Stärke sieben. Er türmt die Wellen | |
auf, fünf Meter hoch, nicht in Rostock, sondern im Norden Dänemarks. | |
Idealbedingungen für einen Windsurfer. Deshalb muss Weiß jetzt dorthin, | |
sechs Stunden fahren, ebenso viele zurück. Wellen kennen keinen | |
Terminkalender. | |
Zum zweiten Treffen kommt Daniel Weiß zu spät, so wie auch zum dritten und | |
vierten. Er musste noch den Wetsuit für die Kundin holen. Löhne überweisen. | |
Das Abwasser der Warnemünder Surfschule loswerden, Leergut wegbringen. Die | |
Freiheit vom Vortag ist den Kleinigkeiten des Alltags gewichen. | |
Mitte August, in allen Bundesländern sind Sommerferien, Hochsaison. Es | |
regnet wieder. Daniel Weiß sitzt in seinem alten T3 und sieht nichts. Der | |
Scheibenwischer springt raus, er muss sich aus dem Fenster lehnen, um ihn | |
festzuhalten. „Schreib das“, sagt er. Ihm gefällt das Bild: der Unternehmer | |
im klapprigen VW-Bus, weit weg von Krawatte, Handelskammer und | |
Businessplänen. Deshalb ist es vielleicht gespielt, wenn er es peinlich | |
findet zu erzählen, wie es überhaupt zu Supremesurf kam: Es begann damit, | |
dass Daniel Weiß von Potsdam nach Rostock zog, als er sich für ein Studium | |
entschied, alle anderen Universitäten sich aber gegen ihn entschieden. | |
## Fähren bringen Wellen | |
Am Strand von Warnemünde gab es damals nicht viele Surfer, aber diesen | |
einen, der im selben Hörsaal saß wie Weiß. So freundete er sich mit Hans | |
Jensen an. Der erste Laden: Jensens WG-Zimmer. Der erste Marketing-Coup: Es | |
spricht sich herum, dass man in Rostock wellenreiten kann – wenn die Fähren | |
nach Skandinavien ablegen und das Meer zum Wogen bringen. Die Supremesurfer | |
werden von nun an belächelt. Und bekannt. | |
Es gab auch vor Daniel Weiß und Hans Jensen Surfer hier, DDR-Bürger suchten | |
sich mit selbst gebauten Brettern Buchten, in denen es die Grenzschützer | |
nicht so genau nahmen. Während der Sport sich in Westdeutschland in den | |
1990er Jahren mit Kitesurfen und Stand-up-Paddling weiter entwickelte, | |
schaffte er es an der Ostsee nicht aus seiner Nische heraus. Heute schwer | |
zu glauben. | |
Da sind die VW-Busse, die durch die Alleen im Umland rollen. Jugendliche, | |
die einander nicht mehr am DLRG-Wachturm anschmachten, sondern unter den | |
Plastikpalmen der Warnemünder Surfschule. Die Tourismuszentrale, die in | |
Videos mit Surfern wirbt. Was Supremesurf gelingt: Sie vernetzen sich mit | |
Marken, die einen Lifestyle verkörpern – einem Bulli-Händler, Red Bull, der | |
Rostocker Brauerei, den gängigen Sportmarken. Deshalb stehen nun Menschen, | |
wie der Surfer mit den grauen Haaren, am Strand, der sagt: „Es ist ja auch | |
mal schön, wenn gute Dinge aus dem Westen importiert werden“. Das ist es, | |
was Daniel Weiß und sein Partner, was ihr Unternehmen Supremesurf | |
eigentlich verkaufen: etwas, was die Region besonders macht. Einen Grund zu | |
bleiben. | |
Aber dann ist da noch das Problem mit den Vögeln. | |
## Die freiwillige Vereinbarung | |
Jürgen Weigel steht verloren vor dem großen Mann in Neopren. „Dann zählen | |
wir mal die Vögel“, sagt der Mann zu Weigel und verschränkt seine Arme vor | |
der Brust. „Ich sehe vier Möwen und ein paar Enten.“ Der Bucht-Ranger, so | |
seine offizielle Bezeichnung, antwortet: „Wir wollen ja selbst nicht, dass | |
es zu weiteren Naturschutzgebieten kommt.“ Was er aber eigentlich meint: Ja | |
eben, vier Möwen und ein paar Enten, die Höckerschwäne, die Haubentaucher, | |
die Mittelsäger, alle fort – wegen Leuten wie Ihnen! Doch weil Weigel | |
diesen Dialog schon so oft geführt hat, weiß er, wen seine Argumente | |
erreichen. | |
Es ist sein Job, aufzuklären – über die Regeln einer freiwilligen | |
Vereinbarung, die das Land mit Gemeinden, Vereinen und Wassersportlern in | |
der Wismarbucht geschlossen hat. Sie legt fest, in welchen Gebieten | |
gesurft, gesegelt, geangelt werden darf und wo die Vögel ihre Ruhe haben | |
sollen. Bestrafen darf Weigel Verstöße aber nicht, weil sich die Sportler | |
nur daran halten müssen, wenn sie wollen. „Na gut“, sagt der große Mann in | |
Neopren, „Sie haben mich ja jetzt aufgeklärt“. Weigel starrt aufs Wasser, | |
dann steigt er ins Auto und fährt davon. Der große Mann geht surfen. | |
Es ist ein mühseliger Kampf, den Weigel hier moderieren soll. | |
Untersuchungen haben ergeben, dass es den Vogelbeständen vor Wismar nicht | |
gut geht, ausgerechnet in einem europäischen Vogelschutzgebiet. Die | |
Vermutung: Sie werden zu häufig von Seglern und Motorbooten aufgeschreckt, | |
aber auch von den Windsurfern und Kitern, deren Schirme Raubvögeln ähneln. | |
Vielleicht verschwinden sie auch, weil ihre Nahrungsgründe an den Ufern | |
zerstört werden. Vielleicht auch aus ganz anderen Gründen. Eine | |
wissenschaftliche Studie zu den Vogelbeständen in der Wismarbucht gibt es | |
nicht. | |
## Der Wind macht, was er will | |
Aber Wind hält sich nicht an Linien, die Behörden in Landkarten zeichnen. | |
Gute Geschäfte warten nicht die Brutzeit von Höckerschwänen ab. Deshalb | |
will Daniel Weiß sich nicht an die Logik von Politik halten. Was er hört, | |
ist: Das Land will den Surfern keine klare Zusage geben. | |
In der Wismarbucht ist nicht nur eine der ältesten Windsurfschulen | |
Deutschlands beheimatet, sondern auch die neueste von Supremesurf. Deshalb | |
hat sich Weiß mit Vereinen und anderen Surfschulen zusammengetan und die | |
freiwillige Vereinbarung aufgekündigt, eine Demonstration angemeldet, | |
mitten im Wahlkampf. Viel Zeit, Geld und Sprit investiert Weiß in | |
Verhandlungen. „Das hätte ich lieber in die Qualität meiner Schule | |
gesteckt.“ Und die Vögel? „Löwen haben sich ja auch an Autos im | |
Nationalpark gewöhnt.“ | |
Es ist einer der wenigen Momente, in denen Daniel Weiß nicht lacht. In | |
denen er nicht der lässige Surfer ist, der so wirken will, als sei sein | |
Erfolg Zufall statt Kalkül. Es ist die Ernsthaftigkeit eines Unternehmers, | |
der weiß, dass er mehr braucht als nur eine gute Geschäftsidee. „Wir haben | |
keine Cashcow“, sagt Daniel Weiß. | |
Auch im elften Geschäftsjahr läuft es nicht von alleine, Supremesurf muss | |
sich ständig verändern. Mecklenburg-Vorpommerns Kaufkraft ist schwach, noch | |
schwächer aber, so fühlt es sich für die Surfer an, ist die Unterstützung | |
vom Land. Denn die Entscheidungen, wie viel Platz sie bekommen, treffen | |
Gemeinden, Bürgermeister und Ortsbeiräte. Die Pacht für die Surfschule am | |
Warnemünder Strand: immer nur ein Jahr gültig. Toiletten und Duschen für | |
die Schule auf dem Darß: seit fünf Jahren im Genehmigungsverfahren. | |
## Zeitweiliger Kompromiss | |
Und nun der Streit in der Wismarbucht, der aus Sicht des Umweltministeriums | |
mit einem temporären Kompromiss enden soll: eine neue freiwillige | |
Vereinbarung, veränderte Surfgebiete, die zum Teil in Gegenden liegen, die | |
laut Weiß für die Sportler nicht zugänglich sind. Neue Untersuchungen | |
sollen folgen und irgendwann, vielleicht, zu einer Entscheidung führen, ob | |
die Surfer dort bleiben dürfen oder nicht. Der Umweltminister, Till | |
Backhaus, lässt dazu mitteilen: „Dieser Kompromiss ist somit auch ein | |
positives Signal für die bedeutsame Tourismusbranche im Land, die es zu | |
berücksichtigen galt.“ Daniel Weiß sagt: „Hier muss man in den Menschen | |
erst mal das Tourismusthema wecken.“ | |
Am Abend, als die Schiffe auslaufen und sich mit gesetzten Segeln von ihrer | |
prächtigen Seite zeigen, steht Daniel Weiß an der Kaimauer und ist zu spät, | |
aber er weiß, die nächste Gelegenheit kommt. Die besten Ideen, sagt er, die | |
kamen ihm und seinem Partner damals am WG-Küchentisch, nachts, wenn die | |
Angst vor Übermut am kleinsten ist. Das Pangea-Festival ist so entstanden, | |
auf dem Erwachsene wie Kinder toben können, die Idee für den roten | |
Doppeldeckerbus, der mal Surfschule ist, mal Partyshuttle. Die Zeiten sind | |
vorbei, Jensen und Weiß leben längst mit ihren Familien zusammen. | |
Ein Dreimaster fährt vorbei, die verpasste Fahrt. „Tschuldigung“, ruft Wei… | |
einem Fremden zu, der gerade mit seinem Motorboot anlegt, „kannst du mich | |
dorthin fahren?“ Und als sei die Frage völlig normal, lässt der Mann Weiß | |
aufspringen und fährt los. „Am Segelschiff angekommen, dreht sich Weiß zu | |
ihm um, ruft Danke und: „Falls du was zum Surfen brauchst, komm zum Shop, | |
ich mache dir einen guten Deal!“ | |
3 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Christina Schmidt | |
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