# taz.de -- Erinnerungen im Bunker: „Wir sammeln Beweise“ | |
> Marcus Meyer ist wissenschaftlicher Leiter des „Denkort Bunker Valentin“, | |
> der jetzt, 70 Jahre nach Kriegsende, eröffnet wird. Auch Neonazis finden | |
> die Ruine faszinierend. | |
Bild: „Hier geht es nicht um U-Boot-Technik“, sagt Marcus Meyer über den G… | |
taz: Ist es nicht eher peinlich, dass der Bunker Valentin erst 70 Jahre | |
nach Kriegsende zur Gedenkstätte wird, Herr Meyer? | |
Marcus Meyer: Ja, klar. | |
Dabei wurde die Forderung danach schon Anfang der Achtziger Jahre erhoben. | |
Aber so eine Gedenkstätte ließ sich schwer mit der Nutzung des Bunkers | |
durch die Bundeswehr vereinbaren. Erst als die entschied, diesen Standort | |
2010 aufzugeben, war der Weg frei, das Gelände zu einem zivilen Ort zu | |
machen. Das ist wahnsinnig spät – die meisten, die hier gearbeitet haben, | |
sind mittlerweile verstorben. Und letzten Endes machen wir unsere Arbeit ja | |
für diese Zwangsarbeiter. | |
Dabei ist so eine Gedenkstätte aus heutiger Perspektive die naheliegendste | |
Idee. | |
Ja, aber das ehemalige KZ in Neuengamme ist auch lange Zeit ein Gefängnis | |
gewesen. In Flossenbürg wurde eine Chipfabrik auf dem Appellplatz gebaut. | |
Noch immer ist ein Teil des Bunkers vermietet. | |
Ich finde das unangemessen, habe das aber nicht zu entscheiden. Es ist | |
jedoch ein sichtbarer Anlass für Gespräche darüber, inwieweit man diese | |
Verwertungslogik akzeptabel findet. | |
Der Bundeswehr war die Nazi-Vergangenheit ihres Materialdepots egal? | |
Der Einzug der Bundesmarine in den Sechzigerjahren verursachte keine | |
Proteste. Aber nach 2000 hat die Bundeswehr eingesehen, dass es sich hier | |
nicht um einen x-beliebigen Ort handelt. Seither gab es Führungen – was | |
schon eher ungewöhnlich ist. Vorher war das kein Thema, die Bundeswehr hat | |
sich alle Mühe gegeben, den Bunker verschwinden zulassen, sei es durch die | |
Bäume drumherum, sei es auf Luftbildern aus der Zeit des Kalten Krieges. | |
Gibt es hier eine Kontinuität zwischen Wehrmacht und Bundeswehr? | |
Der Bunker entstand im Auftrag der Kriegsmarine. Dass er später als | |
Marine-Materialdepot dient, ist eine der typische Nachkriegs-Kontinuitäten. | |
Jene beiden Ingenieure, die diesen Bau geplant haben, durften nach 1945 im | |
Auftrag der Amerikaner über eine neue Nutzung nachdenken. Einer von ihnen | |
machte später Karriere als Präsident der Hafenbauverwaltung in Bremen. Der | |
andere sagte 1981, nach der Zwangsarbeit befragt: Damit hatte er nichts zu | |
tun. Seines Wissens waren die Lebensbedingungen auf der Baustelle für alle | |
gleich. Das ist eine glatte Lüge. Er muss gesehen haben, was hier passiert | |
ist. | |
Was kann man davon heute noch sehen? | |
Sie können einmal quer durch den Bunker laufen und auf einem Rundweg mit 25 | |
Stationen auf Spurensuche gehen. Wir versuchen dabei, die Informationen, | |
die es über diesen Ort gibt, mit den Stimmen der Häftlinge und Geschichten, | |
die man sich merken kann, zu verknüpfen. Es geht dabei um mehr als nur | |
Gedenken: Wir wollen zeigen, was hier passiert ist. Die Bewertung | |
überlassen wir den Menschen, die das zur Kenntnis nehmen. Wir machen hier | |
bewusst keine moralischen Vorgaben. | |
Der Bunker fasziniert erst einmal durch seine schiere Größe. Kann man das | |
durchbrechen? | |
Vielleicht nicht. Aber man kann es einordnen. Wir wollen die Möglichkeit | |
schaffen, zu verstehen, warum und unter welchen Umständen der Bunker gebaut | |
worden ist. Das relativiert die Faszination, wenn man sich darauf einlässt. | |
Aber sie ist auch ein Vorteil: Viele Leute, die hierher kommen, würden sich | |
nie in eine KZ-Gedenkstätte verirren. Sie kommen, weil es der zweitgrößte | |
überirdische Bunker Europas ist. Dass das ein NS-Bau ist, ist vielen nicht | |
klar. Dieser Bunker ist auch ein Ort für jene, die das erste Mal mit dem | |
Thema Zwangsarbeit konfrontiert werden. Gerade in Bremen gab es viele | |
ZwangsarbeiterInnen. Lange Zeit wurde das als völlig normaler Bestandteil | |
des Krieges wahrgenommen. | |
Ging es hier um „Vernichtung durch Arbeit“? | |
Nein, es ging um Arbeit unter Inkaufnahme von Vernichtung. Die Menschen | |
sollten keine sinnlosen Dinge tun, damit sie daran sterben, sondern primär | |
die Kriegswirtschaft am Laufen halten. Deshalb steigen da auch die | |
Nahrungsmittelrationen, wenn es zu wenig Arbeitskräfte gibt oder Dinge | |
schneller fertig werden sollen. Trotzdem war die Ernährung der Häftlinge | |
schon für das pure Existieren eine absolute Katastrophe. Aber hinter der | |
Logik der Zwangsarbeit steckt ein ökonomisches Verständnis. | |
Die Spuren dieser Zwangsarbeit sind so gut wie verwischt. | |
Dafür haben wir ein Informationssystem entwickelt, das die Ausbeutung und | |
die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter in den Vordergrund stellt. Wir | |
sammeln Beweise für das, was hier passiert ist und bringen sie an den | |
entsprechenden Ort. Ein Kollege nennt das „forensische Pädagogik“. Sie | |
können das Geschehen nicht wiederherstellen oder simulieren. Also haben wir | |
einen stark biografischen Ansatz gewählt. So kann man eine Idee davon | |
kriegen, wie es hier war. Den Menschen hilft es sehr, wenn sie wissen, dass | |
es einen französischen Häftling namens Raymond Portefaix gab, der mit 19 | |
nur 46 Kilo wog, aber 50 Kilo schwere Zementsäcke schleppte. Das macht es | |
greifbar. Die Zahl von 10.000 Häftlingen pro Tag muss abstrakt bleiben. | |
Wie verhindern Sie, dass die Schüler hier durchlaufen und in der Nase | |
bohren? | |
Das kann man nicht verhindern. Man kann ihnen nur ein Angebot machen, das | |
anders funktioniert als Schule. Wir wollen ihnen einen Raum für ihre Fragen | |
geben. Das ist für viele eine neue Erfahrung. | |
Was wollen sie wissen? | |
Wie groß ist der Bunker? Wie lange haben die daran gebaut? Gab’s hier auch | |
’n KZ und Krematorien? Hat der Führer sich hier versteckt? Und darum geht | |
es: Möglichst vielen Leuten die Chance geben, solche Fragen zu stellen, | |
auch wenn das manchmal nervt. Manchmal kommt einer hier rein und sagt: Da | |
kann man doch eine Disco draus machen! Und wenn er dann am Ende sagt: Oh, | |
das ist vielleicht doch keine so gute Idee, ist sehr viel erreicht. | |
Wie viel Vorwissen bringen die Schüler mit? | |
Das variiert stark und hängt sehr von den einzelnen LehrerInnen ab. Man | |
muss bereit sein, auch mal bei null anzufangen. | |
Die Fotos, die sie hier sehen, zeigen die Täterperspektive. | |
Das erklären wir auch. Aber die Fotos sind kein Propagandamaterial, sondern | |
eine technische Bau-Dokumentation. Die Zwangsarbeiter sind Teil dieses | |
Arbeitsprozesses, winzige Räder im Getriebe. Einige Fotos lassen | |
Rückschlüsse darauf zu, wie hier gearbeitet wurde. Aber man muss da | |
vorsichtig sein – weil man viele Dinge nicht sieht. | |
Zum Beispiel Häftlinge, die geschlagen werden. | |
Es gibt auf den Fotos keine direkte Interaktion zwischen Häftlingen und | |
Wachsoldaten. Die Fotos alleine vermitteln ein falsches Bild. Ihr Subtext | |
ist: Das ist eine unfassbare große Super-Hightech-Baustelle. | |
Was unterscheidet diesen Denkort vom Historisch-Technischen Museum in | |
Peenemünde, wo die Nazis Raketen entwickelten? | |
Wir haben einen klaren Fokus auf Zwangsarbeit. Peenemünde sieht sich als | |
Wiege der Raumfahrt. Uns geht es nicht um Betontechnik und schon gar nicht | |
um U-Boot-Technik. Der Bunker ist ein ausgesprochen rationales Bauwerk. Er | |
ist genauso groß, wie er sein muss, um diese U-Boote hier bombengeschützt | |
bauen zu können. Das ist eine funktionale Werft, nicht das „8. Weltwunder | |
am Weserstrand“, wie der Weser-Kurier 1955 schrieb. In der Nachkriegszeit | |
war der Bunker Projektionsfläche für Technikfantasien der | |
Wirtschaftswunderjahre. Das thematisieren wir auch. | |
In der wachsenden rechten Szene rund um den Bunker wird er immer noch | |
gefeiert. | |
Die rechten „Farge Ultras“ haben einen Aufkleber: „Unzerstörbar“ steht | |
darauf, mit dem Bunker im Hintergrund. Offenbar in Unkenntnis der Tatsache, | |
dass er zerstört worden ist. | |
Kann dieser Denkort gegen solche Leute ankommen? | |
Das ist immer eine Überforderung. Irgendjemand hat mal gesagt, wenn jede | |
deutsche Schulklasse mal in einer KZ-Gedenkstätte war, haben wir kein | |
Problem mehr mit Neonazis. Das halte ich für total falsch. In der kurzen | |
Zeit, in der sie hier sind, kann man nicht kompensieren, was in Familie, | |
Gesellschaft und Schule nicht vermittelt wird. Die Leute sollen an solchen | |
Orten ein kritisches Geschichtsbewusstsein entwickeln, aber wir können sie | |
nicht zu reinen Demokraten erziehen. | |
Den ganzen Schwerpunkt „Der Bunker“ lesen Sie in der gedruckten Ausgabe der | |
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7 Nov 2015 | |
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Jan Zier | |
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