# taz.de -- Besonderes Kriegerdenkmal in Hamburg: Tod statt Triumph | |
> An der Fontenay in Hamburg steht ein einzigartiges Kriegerdenkmal: Es | |
> feiert nichts Heroisches, sondern zeigt die Drastik des Sterbens. | |
Bild: Erschütternd, egal aus welcher Perspektive: Johannes Schillings Kriegerd… | |
Am Westufer der Außenalster in Hamburg, etwas abseits beim Abzweig zur | |
Straße Fontenay, steht ein Kriegerdenkmal. Es erschüttert mich immer wieder | |
aufs Neue. Denn es trifft mich, gleich aus welcher Perspektive ich darauf | |
schaue. | |
Drei tote Soldaten sind so gruppiert, dass ich mindestens einen von ihnen | |
sehe, gleich von welcher Seite ich mich dem Denkmal nähere. Wie Michael | |
Ballhaus für das Kino seine „360-Grad-Kamerafahrt“ schuf, das Umkreisen | |
eines Geschehens, so dass wir es unmittelbar zu sehen scheinen, wirkt auch | |
dieses bildhauerische Werk. In seiner ästhetischen Umsetzung dementiert es | |
das Heroische, verdeutlicht vielmehr die Finalität des Todes in aller | |
Drastik. | |
Das Werk des Bildhauers Johannes Schilling (1828–1910) sticht auch deshalb | |
hervor, weil von den über 150 Kriegsdenkmälern in Hamburg nur dieses eine | |
das Sterben zeigt. „In seiner Ehrlichkeit sucht dieses Kriegerdenkmal in | |
Hamburg seinesgleichen“, hat Kerstin Klingel festgestellt. Ihre | |
[1][Publikation „Eichenlaub und Dornenkrone“] war 2006 der erste Versuch, | |
Hamburgs Kriegerdenkmale nach Stadtteilen zu erfassen und einzeln zu | |
beschreiben. Damals wurde debattiert, ob es Gedenkorte für die Gefallenen | |
der Bundeswehr-Auslandseinsätze geben solle. | |
Nach dem [2][Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71] lobten Senat und | |
Bürgerschaft einen Wettbewerb zur Erstellung eines Denkmals der Dankbarkeit | |
gegenüber den Gefallenen aus. Damals war der Stolz auf den Sieg über die | |
Franzosen, auf die Reichseinigung und auf die Monarchie allgemein. | |
Den Auftrag für das „Kriegerdenkmal des Infanterie-Regiments (2. | |
hanseatisches) No. 76“ erhielt der Dresdner Bildhauer Johannes Schilling. | |
„Der preisgekrönte Entwurf Johannes Schillings fügte einen Reiter, einen | |
Kanonier, einen Grenadier und die Siegesgöttin, die ihnen im Tode Trost | |
spendet, zu einer Komposition zusammen“, beschrieb der Kunsthistoriker und | |
Senatsdirektor der Kulturbehörde Volker Plagemann das Werk. | |
Schilling überzeugte mit einer mehr als zweieinhalb Meter hohen bronzenen | |
Figurengruppe, sie zeigt eine Szene nach der Schlacht. In plastischer | |
Rundumansicht ist die tödliche Wirklichkeit des Krieges zu sehen. Die | |
Siegesgöttin mit weit gespannten Schwingen küsst einem Reiter die Stirn. | |
Sein Kopf ist an ihre Brust gesunken, während er seine linke Hand zum | |
Herzen geführt hat, die andere hält noch den nutzlos gewordenen Säbel. Dem | |
bärtigen Kanonier, er umklammert die zerborstene Granate noch im Tod mit | |
beiden Händen, reicht sie den Lorbeerkranz, dem Feldsoldaten bedeckt sie | |
die entblößte Brust mit einem Palmenzweig. Am Boden liegt der Helm, der | |
niemandes Haupt mehr schützt. Auch ein verendetes Pferd gehört zur | |
Komposition. | |
Hier ist der Tod also gleich vierfach zu sehen, als entsetzliches Knäuel | |
von Mensch und Tier. Die Ehrbezeugung der Siegesgöttin für alle drei | |
Gefallenen – der Palmenzweig als Symbol des Friedens, der Lorbeer für den | |
Sieg und der Kuss für den Abschied – scheint mehr Tröstung zu sein als | |
Sinngebung. Kein Triumph, nirgends. Der Tod in der Schlacht ist hier | |
schonungslos konkret zu sehen, die Drastik des gewaltsamen Todes, nicht die | |
Verherrlichung der Gefallenen, sondern ihr Leid. | |
Der Denkmalssockel bleibt konkret wie die Bronzeskulptur: In den rotbraunen | |
Marmor sind in golden ausgemalten Lettern die Kriegsorte auf französischem | |
Territorium gemeißelt – darunter Metz, Loigny, Paris, Beauvancy und | |
Cravant, sowie die Daten der Schlachten. | |
Drei Bronzetafeln verzeichnen die Namen der 222 Gefallenen des Regiments, | |
vom Musketier J. Ahrens, dem Unteroffizier C. Eckert bis zum Musketier J. | |
Ohlrogge und seinem Regimentskameraden P. Zimmermann. Die Namensnennung | |
jedes einzelnen Getöteten gibt das Versprechen, die Gemeinschaft behielte | |
ihn in Erinnerung, so wie es die Stadt Hamburg auf einer der Bronzetafeln | |
mit der Inschrift unter dem städtischen Wappen bekundet: „Den tapferen | |
Söhnen./Die dankbare Vaterstadt./1870–1871“. | |
Schillings Monument zu Ehren des Infanterie-Regiments No. 76 stand | |
ursprünglich auf der Esplanade, einer der Hauptverkehrsachsen durch die | |
Stadt, aufgestellt am 18. Oktober 1877 in der Mitte der Straße vor der | |
Lombardsbrücke. So fiel es denen, die von Osten kamen, sofort ins Auge. | |
Zudem sahen es viele Menschen, weil die Esplanade seinerzeit eine viel | |
begangene Flaniermeile war. | |
Damals war sicher die Inschrift im Fries aus Lorbeerzweigen gut lesbar, der | |
die Bronzeskulptur umrandet. Inzwischen verwittert, steht dort: „Johannes | |
Schilling Dresden 1876/gegossen v. Ch. Lenz Nürnberg 1877“. Ironisch | |
gelesen haben der Bildhauer und der Kunstgießer nicht nur den Gefallenen, | |
sondern auch sich selbst den Lorbeerkranz geflochten. | |
Doch 50 Jahre nach seiner Errichtung war das Denkmal der Straßenplanung im | |
Weg. Es wurde 1926 aus verkehrstechnischen Gründen an den jetzigen Standort | |
an der Außenalster versetzt. Dort wurde es erfolgreich marginalisiert. Bis | |
heute ist sein kleines Areal von zwei halbkreisförmigen steinernen | |
Rundbänken umgeben. Laternen beleuchten es abends. Man kann den | |
Alsterspaziergang unterbrechen und die Leidens-Darstellung der Soldaten | |
betrachten, die für die „Vaterstadt“ Hamburg starben. | |
Wofür aber stirbt der Einzelne und welche Spuren hinterlässt er? „Der Toten | |
zu gedenken, gehört zur menschlichen Kultur. Der Gefangenen zu gedenken, | |
der gewaltsam Umgebrachten, derer, die im Kampf, im Bürgerkrieg oder Krieg | |
umgekommen sind, gehört zur politischen Kultur“, so der Historiker Reinhart | |
Koselleck. Seine Unterscheidung ist hilfreich, gerade weil der | |
Deutsch-Französische Krieg von 1870/71, der letzte der deutschen | |
Einigungskriege, den meisten heute kaum präsent sein wird. | |
Auch ein weiteres Denkmal von Johannes Schilling in Hamburg – ein | |
Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm I. –, wurde „umgetopft“, sogar gleich | |
mehrfach. 1903 auf dem Rathausmarkt errichtet, steht es inzwischen am | |
Johannes-Brahms-Platz in Planten un Blomen. | |
Jedes Denkmal sei eine Versteinerung oder eine Verbronzung, darauf hat | |
Koselleck hingewiesen. Auch sei es ein Abschluss. Doch so wie sich die | |
politische Kultur im Laufe der Zeit wandelt, ändern sich auch manche | |
Denkmal-Standorte und damit der Stellenwert [3][einst allgegenwärtiger | |
Herrscher]- und Erinnerungszeichen. | |
Als vom nahegelegenen Luxushotel die Mitglieder einer Familie zu Schillings | |
Kriegerdenkmal herüberkommen, lesen sie einander die im Sockel | |
eingravierten [4][französischen Ortsnamen] vor. Anschließend machen sie | |
Selfies und gehen weiter an die Alster. Die Gefallenen-Darstellung haben | |
sie gar nicht angeschaut. Ein [5][Denkmal] ist eben, was wir an ihm | |
wahrnehmen. | |
13 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hamburg.de/contentblob/4341526/086d9590a8d3ca2b2df005cce4dfc71d… | |
[2] /Buch-ueber-Deutsch-Franzoesischen-Krieg/!5727883 | |
[3] /Bismarck-und-die-Rechten/!5644694 | |
[4] /Radtour-in-Frankreich/!5871261 | |
[5] /Denkmal/!t5008125 | |
## AUTOREN | |
Frauke Hamann | |
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