# taz.de -- Buch über Deutsch-Französischen Krieg: Als Preußen expandieren w… | |
> Das Buch „Der Bruderkrieg 1870/71. Deutsche und Franzosen“ ist eine | |
> panoramatische Erzählung. Es handelt vom beginnenden Nationalismus in | |
> Europa. | |
Bild: Bayerische Soldaten bei der Belagerung von Paris im Jahr 1870 | |
„Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Den | |
Satz des Preußen Carl von Clausewitz kennen alle. Weniger bekannt ist, was | |
er weiter in seiner Schrift „Vom Kriege“ dargelegt hatte. So wies der | |
Generalmajor und Militärhistoriker etwa auf die Gefahr hin, dass die | |
Schwere eines bewaffneten Konflikts das politische Moment in den | |
Hintergrund drängen könnte. „Umso reiner kriegerisch, desto weniger | |
politisch scheint der Krieg zu sein.“ Dieses Zitat findet sich in „Der | |
Bruderkrieg 1870/71. Deutsche und Franzosen“ von Hermann Pölking und Linn | |
Sackarnd. | |
Sie belegen damit die These, dass der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 – | |
ähnlich wie der US-Bürgerkrieg wenige Jahre zuvor – durch den Einsatz der | |
Eisenbahn als Transportmittel und zerstörerischer Präzisionswaffen zwar | |
bereits industrialisiert war, aber noch kein [1][totaler Krieg], zu dem die | |
[2][gewaltigen Verheerungen] im nahen 20. Jahrhundert werden sollten. | |
Er wies noch viele Elemente traditioneller Kriegsführung auf, | |
Gefechtsaufstellungen, Marschordnungen und dergleichen. Zunächst spielte | |
sich sein Geschehen auf dem Feld von Erbfolge, Geheimdiplomatie und | |
politischer Intrige ab. Auslöser war das Tauziehen um die spanische | |
Thronfolge nach einem Putsch in Madrid 1868, demzufolge der spanische König | |
aus einer europäischen Dynastie stammen sollte. | |
## Geheimdiplomatie und Erbfolge | |
Der preußische Reichskanzler Bismarck wollte Prinz Leopold von | |
Hohenzollern-Sigmaringen als spanischen König installieren, während | |
Frankreich unbedingt eine preußische Expansion verhindern wollte, um den | |
Status als europäische Hegemonialmacht zu behalten. | |
Auch wenn der Titel „Der Bruderkrieg“ nach Kanonenkugel klingt und das Buch | |
auch fast so viel wiegt, es ist ein verdienstvolles Werk, das entlegene | |
Quellen auswertet und neueste historische Einordnungen aufbietet, um eine | |
seltsam ferne Zeit aufzufächern. Auf nahezu 700 Seiten sammeln die | |
Autoren:Innen Stimmen aus jener Phase des beginnenden Nationalismus in | |
Deutschland, einer gerade entstehenden Nation im Clinch mit der Weltmacht | |
Frankreich. | |
## Erzfeindschaft in der Schule | |
So harmonisch das [3][deutsch-französische Verhältnis] als Motor der | |
europäischen Union seit dem Élyssée-Vertrag von 1963 ist, knapp 100 Jahre | |
zuvor wurde die „Erzfeindschaft“ zwischen Frankreich und Deutschland schon | |
in der Schule gelehrt, sie geht auf diesen Krieg zurück. Obwohl Victor Hugo | |
in seiner Reiseprosa „Der Rhein“ pathetisch schrieb, die beiden Völker | |
seien „unbestreitbar blutsverwandt“, metzelten sich Deutsche und Franzosen | |
auf den Schlachtfeldern von 1870/71 brutal nieder. | |
„Bald nahm die Anzahl der Toten zu, sodass ein Ausweichen mit dem Geschütz | |
nicht mehr möglich war … Es war grausig, die Schädel unter den Rädern | |
knirschen und Arme und Beine dumpf gegen die Speichen schlagen zu hören“, | |
schrieb der Obergefreite Friedrich Freudenthal vom Schleswig-Holsteinischen | |
Feldartillerie-Regiment 9 im August 1870. | |
In Berlin erinnert die Siegessäule im Tiergarten an diesen Krieg. Es gibt | |
heute in vielen deutschen Städten französische Straßennamen und – wie in | |
München – Franzosenviertel. In Vergessenheit geraten ist, dass jene Namen | |
auf die Schlachten von 1870/71, Orte wie etwa Sedan zurückgehen. Der | |
Bauboom der Gründerzeit: Mitfinanziert wurde er durch die | |
Reparationszahlungen in Milliardenhöhe, die Frankreich nach 1871 abverlangt | |
wurden. | |
Anders als im angloamerikanischen Raum, wo der Konflikt „Prussian-Franco | |
War“ genannt wird, ist die Bezeichnung „Deutsch-Französischer Krieg | |
1870/71“ überdies irreführend, denn ein zusammenhängendes Deutsches Reich | |
war in den 1860er Jahren unter preußischer Führung erst im Entstehen, und | |
seine durch Annexion nach 1871 erweiterten Grenzen waren eine weitere Folge | |
dieses Konflikts. Er brachte die diversen deutschen Fürstentümer und | |
Königreiche unter Führung des strippenziehenden Reichskanzlers Otto von | |
Bismarck näher zusammen, in denen zuvor noch unterschiedliche Längenmaße | |
und Uhrzeiten gegolten hatten. | |
Hermann Pölking und Linn Sackarnd, die auch eine Dokuserie zum Thema für | |
Arte realisiert haben, betreiben mit „Der Bruderkrieg“ keine | |
[4][Herrschaftsgeschichte]. Aussagen von Adligen, Generälen und | |
Historikerurteile werden bewertet und von Tagebucheinträgen einfacher | |
Soldaten, Zeugenaussaugen französischer Bäuerinnen, Gedichten (Rimbaud!) | |
und Korrespondentenberichten aus britischen und amerikanischen Zeitungen | |
flankiert. | |
## Leid der Zivilbevölkerung | |
So ist ihr Buch beides: panoramatische Erzählung aus dem langen 19. | |
Jahrhundert und zeitgemäße Erinnerungskultur an eine Zeit, die einiges von | |
dem vorwegnimmt, was im 20. Jahrhundert an hohlem Patriotismus in | |
Deutschland produziert wurde. Der Wahnsinn des Krieges 1870/71 spricht aus | |
nackten Zahlen. Bei der Belagerung von Paris fallen allein zwischen 30. | |
November und 2. Dezember 1870 12.000 Franzosen und 5.000 Deutsche. | |
Das Leid der Zivilbevölkerung in den beiden Kriegsjahren war immens, viele | |
Menschen stimmen nicht ein in die Heroisierung von Gewalt und den | |
angeblichen Heldenmut von Soldaten. Die Französin Geneviève Bréton schreibt | |
am 8. August 1870 in ihr Tagebuch: „Man sieht, wenn sich die Leute eine | |
Nachricht zuflüstern, die Männer erbleichen, die Frauen weinen, die Kinder | |
sich wundern über die Erschütterung, die ein Stück Papier in ihre Familie | |
bringt.“ | |
10 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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