# taz.de -- 150. Jahrestag der Pariser Kommune: Vorbote der neuen Zeit | |
> Vor 150 Jahren erhob sich die Pariser Stadtgesellschaft und forderte ein | |
> besseres Leben. Das Ereignis ist im welthistorischen Bewusstsein | |
> geblieben. | |
Bild: Der Sturz der Siegessäule Colonne Vendôme 1871 in Paris | |
Der Aufstand der Pariser Kommune begann am 18. März und endete am 28. Mai | |
1871. Trotz seiner Kürze bleibt das Ereignis im welthistorischen | |
Bewusstsein und als Gegenstand der Forschung bis heute präsent. | |
Vorstellungen, Projekte und Ziele der Kommune für ein anderes Arbeiten, | |
Leben und Zusammenleben haben sich seither generationenübergreifend mit | |
großer Wucht weiterverbreitet. | |
[1][Das Pathos von Karl Marx’ Schlusssätzen] in seinem Bericht für die | |
Internationale Arbeiterassoziation (IAA) – die sogenannte Erste | |
Internationale – erinnert daran, wie sehr dieser Aufstand einst die Gemüter | |
bewegte: „Das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune, wird ewig gefeiert | |
werden als der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft. Seine Märtyrer | |
sind eingeschreint in dem großen Herzen der Arbeiterklasse. Seine Vertilger | |
hat die Geschichte schon jetzt an jenen Schandpfahl genagelt, von dem sie | |
zu erlösen alle Gebete ihrer Pfaffen ohnmächtig sind.“ Auslöser des | |
Aufstands war der dynastisch motivierte Konflikt zwischen Preußen und dem | |
französischen Kaiserreich Napoleons III.: Ein Krieg um die imperiale | |
Vorherrschaft in Europa brach aus. | |
Wenige Wochen nach Kriegsbeginn im Sommer 1870 erwies sich [2][die | |
militärische Überlegenheit der preußisch-deutschen Truppen]. Die | |
französische Armee, die die in der Festung Metz eingekesselten Verbände | |
befreien sollte, wurde in der Schlacht bei Sedan am 1. September 1870 | |
aufgerieben. Napoleon III. wurde gefangen genommen. Von der französischen | |
Armee blieben nur klägliche Reste einsatzfähig. Frankreich kapitulierte. | |
## Proklamation der Republik | |
Als die Nachricht nach Paris gelangte, brachen Unruhen aus. Das Parlament | |
proklamierte am 4. September die Republik, machte Jules Favre, Léon | |
Gambetta und General Louis Jules Trochu zu Ministern einer „Regierung der | |
nationalen Verteidigung“. Der Kaiser wurde abgesetzt. | |
Bei den Parlamentswahlen im Februar 1871 erlangten die Anhänger Napoleons | |
III. allerdings 450 der 750 Sitze. Während sich die | |
bürgerlich-republikanischen Nationalgarden radikalisierten, die | |
Waffenarsenale plünderten und soziale Spannungen in Demonstrationen gegen | |
den „Krieg der Fürsten“ mündeten, wurden auch Rufe nach einer anderen | |
Regierung, einer Republik sowie der Bildung einer Kommune nach dem Vorbild | |
von 1792/93 laut. | |
Der Versuch der Regierung Thiers im Februar 1871, den Nationalgarden die | |
erbeuteten Waffen wieder abzunehmen, scheiterte am Widerstand der | |
Meuternden und daran, dass auch weitere Teile der bisherigen | |
Regierungstruppen den Gehorsam verweigerten. Regierung und Parlament | |
verlegten ihren Sitz nach Versailles. Die meuternden Truppen bildeten | |
hingegen den „Hauptausschuss des Republikanischen Bundes“. Und in Paris | |
brachen die legendären Tage der Kommune an. | |
## Gegen jeden Zentralismus | |
Diese Pariser Kommune forderte die anderen Städte in den französischen | |
Provinzen auf, es ihr gleichzutun. Dem Aufruf folgten rund 30 Städte, | |
darunter Lyon, Le Creusot und Marseille. Einige waren den Pariser:innen | |
sogar zuvorgekommen. Sie hatten die Proklamation der Kommune bereits | |
zeitlich vor den Hauptstädtern unterzeichnet, wie Detlef Hartmann und | |
Christopher Wimmer in ihrem Buch „Die Kommunen vor der Kommune“ | |
dokumentieren. Ihre Erhebung richtete sich auch gegen den Pariser | |
Zentralismus. Aber vor allen gegen die Zerstörung der Existenzgrundlage | |
einfacher Leute durch eine ungebremste und räuberische kapitalistische | |
Entwicklung. | |
Auch gegen die damit verbundene Beschneidung alter Gewohnheits- und | |
Nutzungsrechte an der Natur, an Wäldern, Allmenden und Flüssen. Für Karl | |
Marx war „die große soziale Maßregel der Kommune ihr eigenes arbeitendes | |
Dasein“, mit dem sie freilich „nur die Richtung andeuten“ konnte, „in d… | |
eine Regierung des Volks durch das Volk sich bewegt“. Nach Marx war „die | |
Kommune die wahre Vertreterin aller gesunden Elemente der französischen | |
Gesellschaft“. Kurz: „eine Arbeiterregierung“ und „kühne Vorkämpferin… | |
Befreiung der Arbeit, in vollem Sinne des Wortes international. Unter den | |
Augen der preußischen Armee, die zwei französische Provinzen in Deutschland | |
annexiert hatte, annexierte die Kommune die Arbeiter der ganzen Welt an | |
Frankreich.“ | |
Marx’ These, wonach „die Arbeiterklasse, die einzige Klasse“ sei, „die … | |
einer gesellschaftlichen Initiative fähig“ gewesen sei, hält historischer | |
Überprüfung allerdings nicht stand. Der französische Historiker Jacques | |
Rougerie hat überzeugend dargelegt, wie kompliziert es ist, herauszufinden, | |
wer sich damals als Arbeiter verstanden hat. Und wer als solcher bezeichnet | |
wurde. Ganz zu schweigen vom sperrigen Problem, wer sein politisches | |
Handeln und Denken tatsächlich an Klassenvorstellungen orientierte. | |
## Verbrecherischer Irrsinn | |
Stimmig an Marx’ These ist, dass sich die Kommune vom Krieg als | |
„verbrecherischem Irrsinn“ und „ruinösem Spiel zwischen Fürsten“ | |
distanzierte (Eugène Varlin, 1839–1871). Die bürgerlichen Republikaner | |
hingegen verfielen angesichts der deutschen Truppen vor Paris zum größten | |
Teil einem nationalen Chauvinismus und forderten, die Anhänger der Kommune | |
„auszurotten“ – so Jules Favre wörtlich. | |
Unabhängig von Idealisierungen und geschichtsphilosophisch inspirierten | |
Spekulationen hat Marx in seiner Kommuneschrift Grundzüge einer | |
oppositionellen Politik beschrieben, die weit über den Anlass der | |
Überlegungen hinausweisen. Er begriff die Kommune als „ausdehnungsfähige | |
politische Form“. Sie sei in der Lage, anderen Formen des Arbeitens, Lebens | |
und Zusammenlebens Spielräume und Gestalt zu verleihen. | |
Dazu gehört die – maßgebliche – Beteiligung von Frauen an einer sozialen | |
Revolution durch die von der russischen Emigrantin Elisabeth Dmitrieff | |
(1850–1902) gegründete Union des femmes pour la défense de Paris mit | |
Zehntausenden Mitgliedern. Marx sah in der Kommunebewegung Ansätze dafür, | |
„Produktionsmittel“ (Boden und Kapital), d. h. bisher „Mittel zur Knechtu… | |
und Ausbeutung der Arbeit“ […] in „Werkzeuge der freien und assoziierten | |
Arbeit“ zu verwandeln. | |
## Heterogene Bewegung | |
Die Kommunebewegung war sozial und politisch so wenig homogen wie spätere | |
Interpretationen der Kommune. In der Bewegung fanden sich diverse Gruppen | |
zusammen: alte Jakobiner wie der Radikalrepublikaner Louis-Auguste Blanqui | |
(1805–1881) und andere militante Oppositionelle. Diese beriefen sich oft | |
und gern auf „unsere Väter von 1792/93“ (Jacques Rougerie); dann gab es | |
auch anarchistische Kommunisten wie Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865) und | |
Anarchisten wie Michail Bakunin (1814–1876) sowie junge demokratische | |
Republikaner, radikalisiert nach der 1848er Revolution. | |
Von einzelnen Arbeitervereinen und Clubs gingen eindeutig sozialistische | |
Impulse aus. So sprach eine Vereinigung der Schneidergesellen öffentlich | |
von der „Nutzlosigkeit des Arbeitgebertums“ angesichts des Erfolgs der | |
Selbstorganisation der Arbeiter von unten. Anarchistische Kommunisten | |
wiederum sahen bereits in der Abschaffung des Erbrechts einen Vorboten der | |
anstehenden universellen Assoziation und Kooperation in einer egalitär | |
verfassten „Weltrepublik“, wie sie der adlige deutsche Flüchtling | |
Anacharsís Cloots (1755–1794) bereits in der großen Französischen | |
Revolution propagierte. | |
Zarte Ansätze zu kollektiver Produktion und gerechter Verteilung während | |
der Kommune gerieten da schnell zu griffigen Zukunftsvisionen: „Das Land | |
den Bauern, das Werkzeug den Arbeitern, Arbeit für alle“ (André Léo, | |
1824–1900 und Benoît Malon, 1841–1893). Im „Manifest der Fédération des | |
Artistes“, an dem auch der Maler [3][Gustave Courbet] (1819–1877) | |
mitwirkte, hieß es im April 1871: „Das Komitee wird zur Herstellung eines | |
gemeinschaftlichen Luxus zum Glanz der Zukunft der Weltrepublik […] | |
beitragen.“ | |
## Fahrplan für den kommenden Aufstand | |
Diese utopischen Projekte verdienen es, so wenig vergessen zu sein wie | |
Lenins Kommuneinterpretation in „Staat und Revolution“ (1917/18) | |
unterschätzt werden sollte – mit all ihren verheerenden Folgen. Lenin | |
bastelte im revolutionären Handgemenge aus den Erfahrungen der Kommune und | |
Marx’ Kommentar eine Art Fahrplan für jeden kommenden Aufstand. So | |
begründete er die angebliche Notwendigkeit einer „Diktatur des | |
Proletariats“ – und einer Partei, die in dessen Namen auftritt und zur | |
alleinigen Machtausübung entschlossen ist. Als eine „Diktatur des | |
Proletariats“ bezeichnete Friedrich Engels die Pariser Kommune bereits | |
1891. | |
Mit dem französischen Historiker Ernest Labrousse – und gegen Engels und | |
Lenin – muss man allerdings festhalten, dass die Kommune weder Sozialismus, | |
noch Anarchismus, noch den Föderalismus nach Proudhon verwirklichte, jedoch | |
produktive Potenziale all dieser Strömungen in sich trug. | |
18 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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