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# taz.de -- Erinnerung an die Sedan-Schlacht 1870: Unangebrachte Ehrung
> In vielen Städten im Norden gibt es Sedanstraßen und -plätze. In Hamburg
> fordern Friedensaktivisten erneut eine Umbenennung.
Bild: Relikt des einstigen Kasernenkomplexes: Ehemaliges Bekleidungsamt in der …
Hamburg taz | Er klingt fremd, fast poetisch, und eigentlich müsste man ihn
französisch aussprechen: Den Namen „Sedan“ tragen fast 100 Straßen
hierzulande, und die meisten Anwohner denken sich wohl nichts dabei. Dabei
gäbe es gute Gründe: Sedan – eine französische Kleinstadt an der belgischen
Grenze – war am 1. und 2. September 1870 Ort der brutalen
Entscheidungsschlacht des deutsch-französischen Krieges.
1940, im Zweiten Weltkrieg, war Sedan abermals Kampfstätte. Die
Straßennamen preisen allerdings die Schlacht von 1870, bei der 6.000
Soldaten starben und 20.000 verwundet wurden. Auslöser des Krieges war die
Weigerung Frankreichs gewesen, den preußischen Prinzen Leopold von
Hohenzollern als spanischen Thronfolger zu akzeptieren – man fürchtete eine
preußische Übermacht.
Nach wechselseitigen Provokationen – die Schuldfrage ist ungeklärt – begann
im Juli 1870 der Krieg. Das Besondere: Auf preußischer Seite kämpften
erstmals süddeutsche Fürsten und Monarchen gemeinsam mit dem „Norddeutschen
Bund“. Unter der Ägide von [1][Reichskanzler Bismarck] besiegten sie quasi
„gesamtdeutsch“ den „Erzfeind“ Frankreich und nahmen Kaiser Napoleon II…
gefangen.
Es war mehr als ein militärischer Sieg: Wenige Monate später – am 18. 1.
1871 – wurde Preußenkönig Wilhelm I. in Versailles als deutscher Kaiser
proklamiert und das „Zweite Deutsche Reich“ gegründet. Frankreich musste
Teile des Elsasses und Lothringens abtreten. Die Deutung dieser
„Reichsgründung“ war allerdings ambivalent: Während Wilhelm I. sie als
Verdienst besagter Fürsten betrachtete, sah Bismarck sie als Sieg des
„Volks unter Waffen“.
## Sehnsucht nach dem Mittelalter
Man habe diese Nationalstaatsgründung als Wiedererstehen eines
mittelalterlichen Reichs verstanden, das in den Napoleonischen Kriegen
vernichtet worden sei, erklärt der Historiker und Bismarck-Forscher
Christoph Nonn, Professor für Neuere Geschichte an der Düsseldorfer
Heinrich-Heine-Universität. „Aber das ist eine historische Konstruktion.
Dieses mittelalterliche Reich war etwas ganz anderes – und es war auch kein
deutsches Reich. Aber so lautete damals der nationale Mythos.“
Auch glaubte man, der (preußische, protestantische) Gott habe den Sieg
befördert. „Also schlug der westfälische Pastor Friedrich Wilhelm von
Bodelschwingh 1872 den 2. September als Datum für ein Dank- und
Friedensfest vor“, sagt der ehemalige Hamburger evangelische Pastor Ulrich
Hentschel, der inzwischen im Ruhestand ist.
„Der Sedantag wurde aber nie offizieller Feiertag“, sagt Historiker Nonn.
„Es war ein beliebtes, teils antifranzösisches Volksfest mit
Veteranenaufmärschen, das im Lauf der Zeit an Popularität verlor.“ Umso
erstaunlicher sei, dass Hamburg noch 1899 die einstige Louisenstraße –
benannt nach der Ehefrau des Stiftsgründers Johann Heinrichs von Schröder –
in Sedanstraße umbenannte.
Initiatoren könnten Soldaten im nahen Kasernenquartier gewesen sein, von
dem in der Sedanstraße noch das einstige Bekleidungsamt zeugt, ein
wuchtiger Backsteinbau. In dem Kasernenkomplex residierte damals das
„Infanterie-Regiment 76“, dem der umstrittene [2][„Kriegsklotz“] von 19…
am Dammtor-Bahnhof gilt. Vielleicht, sinniert René Senenko von der
Hamburger Geschichtswerkstatt [3][“Willi-Bredel-Gesellschaft“,] sei die
Umbenennung in Sedanstraße auch im Vorwege des Hamburg-Besuchs von Kaiser
Wilhelm II. geschehen. Genau wisse man es nicht.
Jedenfalls, sagt Pastor Hentschel, sei die Sedanstraße „eindeutig völkisch
und militaristisch konnotiert“. Sie erinnere an ein grausames Gemetzel und
deutschen Größenwahn und gehöre umbenannt.
Der seit Jahrzehnten kirchenkritische und [4][friedensbewegte Pastor
Hentschel] ist nicht der Erste, der sich an dem Straßennamen stört: Seit
Jahrzehnten schon macht der Hamburger Soziologe und Friedensforscher Peter
Lock entsprechende Eingaben beim Hamburger Senat.
Gefruchtet hat es nichts: Selbst ein Schreiben von 2015 an den damaligen
Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Bevollmächtigter der Bundesrepublik
Deutschland für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen, blieb
folgenlos. „Man teilte mir mit, solche Namen erinnerten eben an historische
Ereignisse. Und wenn man die Sedanstraße umbenenne, müsste man ja auch das
ganze Generalsviertel im Stadtteil Eimsbüttel umbenennen, das an Militärs
von 1870/71 erinnere.“
Dabei gäbe es für die Sedanstraße eine würdige Alternative: „Man könnte …
Straße nach dem dort gleich um die Ecke geborenen Deserteur [5][Ludwig
Baumann] benennen, der 2018 verstarb“, sagt Günter Knebel, Vorstand der
Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz. Baumann war 1942 aus der
Wehrmacht desertiert, hatte das lebensgefährliche „Bewährungsbataillon 500�…
an der Ostfront überlebt und, zeitlebens traumatisiert, stetig für
Rehabilitierung der Deserteure gekämpft. Der Bundestag gewährte sie
schließlich 2002.
Historiker Nonn indes will keine Empfehlung für oder gegen eine Umbenennung
der Sedanstraße abgeben. „Natürlich müssen Namen von NS-Tätern und solche,
die eindeutig Kolonialgreuel oder Militarismus verherrlichen, von
Straßenschildern entfernt werden“, sagt er. Wenn man allerdings alle
Straßen nach Heldenfiguren wie Sophie Scholl umbenenne, verzerre man die
Geschichte. „Manchmal genügt vielleicht auch ein zusätzliches Schild, das
über die Bedeutung des Straßennamens und sein Zustandekommen informiert.
Aber darüber müssen die Bürger oder deren gewählte Vertreter entscheiden.“
## Göttingen schaffte den Namen schon 1947 ab
Das tun sie – mit unterschiedlichen Resultaten. In Göttingen hat man – wohl
auf Druck der britischen Alliierten – die Sedanstraße schon 1947 umbenannt.
Im traditionell vom Militär geprägten Kiel dagegen – nach Kriegsende 1945
gleichfalls britische Besatzungszone – gibt es neben der Sedanstraße gleich
ein ganzes Viertel mit Straßen, die Ortsnamen von 1870/71er-Schlachten im
Elsass und in Lothringen tragen. „Das Viertel wird im Volksmund
als,französisches Viertel' bezeichnet und ist inzwischen positiv besetzt,
ohne dass dies ein bewusster oder gesteuerter Prozess gewesen wäre“, sagt
Stadtarchivar Johannes Rosenplänter. Eine Initiative zur Umbenennung der
Kieler Sedanstraße gebe es seines Wissens nicht.
Auch in Bremen moniert niemand die Namen „Sedanstraße“, „Sedanplatz“ o…
„Elsass-Viertel“. Nur in Hannover bewegt sich etwas: Hatte der einschlägige
Beirat die „Sedanstraße“ bis dato unproblematisch gefunden, haben Linke und
Piraten just dieser Tage – am 8. Januar dieses Jahres – im Kulturausschuss
einen Antrag auf Umbenennung von Straßen eingereicht, die nach Schlachten
benannt sind – darunter Sedan und Tannenberg.
## Antrag der Hamburger AfD
Nun könnte man argumentieren, das alles sei lange her und die Erinnerung an
Nationalistisches und Militaristisches längst aus dem kollektiven
Gedächtnis getilgt. Aber das täuscht: Erinnerung kann jederzeit
aufgefrischt und instrumentalisiert werden. Das zeigt ein aktueller Antrag
der Hamburger AfD-Fraktion auf Wiederaufstellung des 1903 geweihten, heute
in den Wallanlagen stehenden Reiterstandbilds von Kaiser Wilhelm I. auf
Hamburgs Rathausmarkt. Anlass ist der 150. Jahrestag der „Reichsgründung“
am 21. 1. 2021.
Es gehe, so der AfD-Antrag, um die Erinnerung an die „Gründung einer Nation
als den entscheidenden Ausdruck des politischen Willens eines Volkes“.
Zudem sei man in Hamburg schon früh nach dem Tod Kaiser Wilhelms I. bemüht
gewesen, „dem beliebten Monarchen ein Denkmal zu errichten“. Um ein Mahnmal
für Demokratie geht es hier also nicht.
11 Jan 2021
## LINKS
[1] /Historiker-ueber-Bismarck-Verehrung/!5709404
[2] /Neues-Denkmal-am-Dammtor/!5212412
[3] http://www.bredelgesellschaft.de/schoeps/home.html
[4] /Theologe-kritisiert-Volkstrauertag/!5723671
[5] /NS-Justiz/!5159457
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
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