# taz.de -- Hamburgs „Kriegsklotz“ von 1936: Das Ding aus einer anderen Zeit | |
> Hamburgs militaristisches Ehrenmal von 1936 wirkt deplatziert wie eh und | |
> je. Die zwei kommentierenden „Gegendenkmäler“ ändern daran nichts. | |
Bild: Aus der Zeit gefallen: Richard Kuöhls militaristischer Monolith | |
HAMBURG taz | Er sieht aus wie ein Altar, und irgendwie ist er auch einer: | |
der riesige, graue Quader aus Muschelkalk, gut sichtbar am Hamburger | |
Dammtor-Bahnhof beim Zugang zum Park „Planten un Blomen“. Eingefasst ist | |
der Monolith von einem Fries aus 88 lebensgroßen Soldaten im Gleichschritt. | |
Fast rituell umkreisen sie den Block – wie den Gral vielleicht oder das | |
berühmte goldene Kalb. „Gemeinschaft der Frontsoldaten“ heißt das Relief. | |
Es huldigt den Kriegern, die sich opfern, für den Krieg. | |
Initiiert wurde das 1936 geweihte Denkmal von Veteranen des | |
Infanterieregiments 76, den sogenannten Traditionsvereinen. Gewidmet ist es | |
den im Ersten Weltkrieg „gefallenen“ Soldaten. „Deutschland muss leben, u… | |
wenn wir sterben müssen“ steht über den Köpfen der Marschierenden. Die | |
Zeile entstammt dem Gedicht „Soldatenabschied“ des Arbeiterdichters | |
Heinrich Lersch (1889–1936), der sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst | |
meldete. | |
Der Text suggeriert – historisch falsch –, dass es im von Deutschland mit | |
ausgelösten Ersten Weltkrieg um das Überleben des Landes gegangen sei, und | |
dass das auch im kommenden Krieg so sein werde, den der NS-Staat 1936 | |
längst plante. Auch die Inschrift auf einer Steintafel am Rand des | |
einstigen, drumherum gebauten Aufmarschplatzes – „Großtaten der | |
Vergangenheit sind Brückenpfeiler der Zukunft“ – fügt sich in diese | |
NS-Propaganda. | |
Das klingt weniger nach Trauer um die Toten des 76er-Regiments als nach | |
Revanche für den verlorenen Ersten Weltkrieg. Nach „zukunftsgerichteter“ | |
Aufrüstung und Mobilmachung. Und das musste natürlich in heroischem Duktus | |
passieren, nicht in trauerndem – weshalb das 76er-Denkmal als Gegenpart zu | |
Ernst Barlachs Antikriegsrelief an Hamburgs Rathausmarkt von 1931 gedacht | |
war. Barlach zeigt dort eine trauernde schwangere Witwe mit Kleinkind. | |
Solche Hinterbliebenen-Schicksale hatten im Heldenpathos der 76er-Veteranen | |
keinen Platz. | |
Allerdings, Hamburgs sozialliberaler Senat der Weimarer Republik zögerte, | |
wollte keine Heroen-Denkmäler für einzelne Regimenter. 1932, da erstarkte | |
die NSDAP in Hamburg schon deutlich, trotzte der „Bund der 76er-Vereine“ | |
dem Senat dann doch noch ein Heldendenkmal ab. 1933, nach Machtantritt der | |
NSDAP, nahm die Sache Fahrt auf: Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben, | |
Spenden gesammelt, die Stadt schoss Geld zu. | |
Den Auftrag bekam Richard Kuöhl, bereits bekannt für seine | |
heroisch-monumentalen Kriegerdenkmäler. Heraus kam besagter Klotz, Zentrum | |
eines Aufmarschplatzes und „Ehrenhains“. Dass Kuöhl die stahlbehelmten | |
Soldaten aus politischen Gründen rechts herum marschieren ließ, kann man | |
vermuten. Sicher ist, dass sich so ihr links geschultertes Gewehr und die | |
Orden gut zeigen ließen. Fast neun Meter lang und sechs Meter hoch wurde | |
das Teil. Die Einweihung 1936 samt Militärparade war pompös; sogar Hitler | |
schickte einen Gruß, passten Heroismus und Ent-Individualisierung der | |
Soldaten doch exzellent zur [1][NS-Propaganda]. | |
So ist das im Volksmund „Kriegsklotz“ gerufene Denkmal ein politisch | |
durchaus gewollter Link zwischen zwei Kriegen geworden. Dabei hatte das | |
1937 neu aufgestellte 76er-Regiment im Zweiten Weltkrieg erneut besonders | |
viele Tote zu verzeichnen, musste oft „neu aufgefüllt“ werden. | |
## Ungestörtes Heldengedenken | |
Den Pazifismus der Veteranen hat das nicht befördert. Eisern hielten sie am | |
Soldatentod als sinnerfüllte „Heldentat“ fest – und sie standen nicht | |
allein. Als die Alliierten nach 1945 die Entfernung aller militaristischen | |
Denkmäler anordneten, schaffte es Hamburgs Denkmalbehörde, den | |
„Kriegsklotz“ als Opfer-Gedenkstein zu deklarieren und nicht einmal | |
Inschrift und Relief zu entfernen. | |
So stand es, zwar immer wieder ob seines Militarismus kritisiert, aber im | |
Grunde unbehelligt da. Veteranenverbände ließen weitere Gedenksteine für | |
ihre „Gefallenen“ anbringen und legten am [2][Volkstrauertag] Kränze | |
nieder. In den 1960ern wurde der Protest dann lauter: Bürgerverbände | |
forderten den Abriss, zumindest die Entfernung der Inschrift. Konservative | |
und rechte Kreise hielten dagegen. Die 1970er gingen ins Land, Neonazis | |
marschierten auf und agitierten für den „Kriegsklotz“. Die Friedensbewegung | |
hielt dagegen. Immer wieder wurde das Denkmal beschmiert, einmal sogar eine | |
Ecke abschlagen. | |
Anfang der 1980er endlich schrieb Hamburgs Kulturbehörde den Wettbewerb für | |
ein kommentierendes Gegendenkmal aus. Beauftragt wurde dann keiner der über | |
100 BewerberInnen, sondern Jurymitglied und Politkünstler Alfred Hrdlicka. | |
Eine vierteilige Antwort wollte er auf den „Kriegsklotz“ geben, fertig | |
wurden die ersten zwei: Teil eins, in Bronze, zeigt Opfer des | |
[3][„Feuersturms“], des für Hamburg traumatischen Phosphorbomben-Angriffs | |
der Briten 1943. Teil zwei, in Marmor, thematisiert die Ertrinkenden der | |
„[4][Cap Arcona“], eines von Alliierten versehentlich bombardierten Schiffs | |
mit aus Neuengamme evakuierten KZ-Häftlingen in der Lübecker Bucht. Über | |
7.000 von ihnen starben. | |
Die 1985 und 1986 enthüllten Werke sind riesige, barock-theatralische | |
Aktionswände, auf denen Menschen dramatisch mit dem Material verschmelzen. | |
Die Teile „Soldatentod“ und „Frauenbild und Faschismus“ entfielen, weil | |
sich Hrdlicka mit der Stadt überwarf. | |
## Ratloses Publikum | |
Aber auch die fertigen Teile nehmen keinen Kontakt zum „Kriegsklotz“ auf. | |
Vielmehr tun sie so, als sei das Kriegerdenkmal gar nicht da. Sie drehen | |
ihm den Rücken zu, „schauen“ Richtung Innenstadt, verdecken so teils die | |
Sicht auf den „Kriegsklotz“. Das ist auch eine Aussage, aber so war die vom | |
Senat gewünschte „Umgestaltung der Denkmalsanlage“ nicht gedacht. Hinzu | |
kommt, dass Hrdlickas Male 25 Meter vom „Kriegsklotz“ entfernt stehen und | |
eher Distanz als Kontext erzeugen. | |
Folglich lief das Publikum ratlos zwischen diesen stilistisch konträren, in | |
ihrer Monumentalität aber wesensverwandten Denkmälern herum. Peinlich | |
außerdem: Ausgerechnet die „pazifistische Antwort“ auf den „Kriegsklotz�… | |
war ein Torso geblieben. | |
## Deserteursdenkmal soll es richten | |
Um die verfahrene Situation aufzulösen, beschloss Hamburgs Bürgerschaft | |
2012 einen Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz, | |
der den Dialog zwischen „Kriegsklotz“ und Hrdlicka schaffen sollte. Der | |
Hamburger Künstler Volker Lang gewann den Wettbewerb und stellte 2015 ein | |
begehbares Dreieck zwischen die beiden anderen Denkmäler. Umhüllt wird es | |
von Bronzegittern aus Buchstaben, die aus Helmut Heißenbüttels Collage | |
„Deutschland 1944“ zitieren, montiert aus O-Tönen von Hitler-Reden und | |
NS-Dichtern. Innen kann man auf Tonspuren dieses Gedicht sowie die Namen | |
der 277 von Hamburgs-NS-Justiz erschossenen [5][Deserteure] anhören. | |
Und wenn man durch das Wortgitter zum Kriegsklotz schaut, scheinen die | |
Soldaten tatsächlich oberhalb der Worte zu marschieren. Das kommt der | |
Kommentar-Idee nahe. Den Dialog mit Hrdlicka schafft das | |
[6][Deserteursdenkmal] zwar nicht – wohl aber den mit dem Publikum. Oft | |
sieht man Menschen dort hineingehen, die Tonspuren anhören und sich anhand | |
der eingravierten Texte bewusst machen, dass die Todesurteile der NS-Justiz | |
wegen Desertion erst 2002 aufgehoben wurden. | |
Eine wichtige Information. Doch das Gesamtensemble kann auch das | |
Deserteursdenkmal nicht retten. Vielmehr zeugt das Areal von der | |
Unentschlossenheit eines Senats, der nicht wagt, Militaristisches zu | |
entfernen und stattdessen immer neue „Kommentare“ dazusetzt. | |
30 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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