| # taz.de -- Gefallen oder provozieren: „Ich wollte etwas Feines machen“ | |
| > Der Installationskünstler Volker Lang saß mit seiner Sehnsucht nach | |
| > Schönheit immer zwischen den Stühlen. Jetzt baut er das Hamburger | |
| > Deserteursdenkmal. | |
| Bild: An der Kunsthochschule attestierte man Volker Lang "leichte Verstaubtheit… | |
| taz: Herr Lang, wenn Sie Ihre Gedanken zeichnen müssten: Wie sähe das aus? | |
| Volker Lang: Am ehesten wäre es eine Art Zickzacklinie. Auf jeden Fall wäre | |
| es eine Linie, die erheblich ausschlagen würde. | |
| Aber alles verliefe streng logisch? | |
| Oft schon, aber es entstehen auch Überraschungen. Es ist schon ein | |
| besonderes Reich, über das ich walte in meinem Kopf. Ich bevorzuge es | |
| übrigens, wenn die Oberfläche ruhig ist wie bei einem Fluss, sodass ich auf | |
| den Grund sehen kann. | |
| Wie schaffen Sie das? | |
| Indem ich mich zurückziehe oder in Länder reise, wo mich niemand kennt. | |
| Und da lesen Sie Gedichte, bevor Sie eine Installation, ein Kunstwerk | |
| beginnen. | |
| Ja. Als Student habe ich mich zum Beispiel lange mit Goethes Pflanzen-, | |
| Farben- und Gesteinslehre befasst. Diese Gedichte sind wissenschaftlich | |
| fundiert, aber auch symbolisch und poetisch. Letztlich schuf Goethe darin | |
| ein System, das gegen die Teleologie gerichtet war, also die reine | |
| Zweckmäßigkeit der Dinge. Das hat mich zu Beginn meines Studiums stark | |
| beeinflusst. | |
| Inwiefern? | |
| Ich kam aus einer romantischen Tradition und hatte ein Werk aufgebaut, das | |
| viele als kitschig empfanden, weil es sich stark mit Natur beschäftigte. | |
| Ich habe zum Beispiel Pflanzen gezeichnet, aber auch ein Zelt bemalt, in | |
| dem ich übernachtete. Als ich dann die Schriften und Gedichte von Goethe | |
| fand, aber auch Henri Bergsons Abhandlungen über die fließende Zeit, konnte | |
| ich weiterarbeiten, weil ich Rückhalt gefunden hatte. | |
| Worin bestand er? | |
| Darin, dass Goethe annahm, dass es Archetypen wie die „Urpflanze“ gab, aus | |
| denen sich alles entwickelt hatte. Also keine strengen Ordnungsmuster, wie | |
| sie während meines Studiums die Minimal Art proklamierte: „You see what you | |
| see“ hieß es da. Jegliche Art von Inhalt gehöre ins 19. Jahrhundert. Dieser | |
| Dogmatismus hat mich abgeschreckt, und ich fühlte mich eingeengt. | |
| Hat man Ihnen Rückwärtsgewandtheit vorgeworfen? | |
| Nicht direkt, aber eine leichte Verstaubtheit schon; ich galt als | |
| Anthroposoph. Allerdings habe ich mich dieser Konfrontation auch gestellt. | |
| Einmal gab es an der Hochschule eine hitzige Debatte über ein Kapitell in | |
| Pflanzenform, das ich gebaut hatte. Da steckte viel Arbeit drin, es hatte | |
| auch Schönheit – Kriterien, die in Künstlerkreisen heute eher zu | |
| Stirnrunzeln führen. | |
| Was bedeutet Ihnen Sprache? | |
| Sie kann Verbindlichkeiten schaffen, kann aber auch – etwa als Poesie – ein | |
| Fließen initiieren. Ein Fließen im Menschen, ein Fließen in Assoziationen. | |
| Auch in die Architektur hinein. | |
| Ja. Ich suchte immer ein Gehäuse für einen bestimmten Text. Ich baue | |
| einfach gern Räume. | |
| Zum Beispiel das „Wellenhaus“, das Sie 2001 an Cuxhavens Strand stellten. | |
| Darin erklangen Texte aus Virginia Woolfs „To the Waves“. | |
| Ja, und kürzlich wurde mir noch klarer, warum es richtig war, diesen Text | |
| ans Wasser zu bringen: Ich las den „Sketch of the Past“, einen der letzten | |
| autobiografischen Texte Woolfs. Sie hat ihn von 1939 bis zu ihrem Suizid im | |
| März 1941, während der Luftangriffe der Deutschen auf England, verfasst. | |
| Sie erinnert darin an die Sommer ihrer Kindheit in Cornwall, aus deren | |
| Atmosphäre sich Texte wie „The Waves“ und „To the Lighthouse“ speisten. | |
| Woran haben Sie gemerkt, dass das „Wellenhaus“ als Gesamtkunstwerk | |
| funktionierte? | |
| An der Zuordnung der Stimmen dieses Romans zu den Fenstern und zum Blick | |
| aufs Wasser. Das hatte schon was, an einem regnerischen Tag da reinzugehen, | |
| und dann sprechen plötzlich Stimmen über den Zerfall des Selbst … | |
| Berührt Sie dieser Text? | |
| Ja, man identifiziert sich mit verschiedenen Personen oder Situationen, die | |
| man plötzlich an sich selbst wiedererkennt. | |
| Das Hamburger Deserteursdenkmal, das Sie gerade bauen, wird Teile von | |
| Helmut Heißenbüttels Collage „Deutschland 1944“ enthalten. Woher stammt d… | |
| Text? | |
| Aus seinem „Textbuch Nr. 6“ von 1967. Darin sind alle Texte in 13 Zeilen | |
| gegliedert, ganz im Zeichen eines strukturellen Verfahrens der konkreten | |
| Poesie. Er verarbeitet darin Originaltöne aus Nachrichten, Reden Hitlers | |
| und Himmlers sowie von Dichtern der NS-Zeit. Als ich die Texte dieser | |
| regimetreuen Autoren las, habe ich erstmals verstanden, was Adorno meinte, | |
| als er sagte: „Nach Auschwitz kann kein Gedicht mehr geschrieben werden.“ | |
| Denn wenn man die Texte dieser NS-Dichter liest, läuft es einem kalt über | |
| den Rücken. | |
| Wegen des Kitschs? | |
| Das kann man gar nicht mehr kitschig nennen, das trieft vor Glitsch und | |
| Gehorsam. Und ich denke, Adorno meinte: Diese Nazi-Dichter haben das Genre | |
| derart missbraucht, dass es schwierig sei, wieder etwas daraus zu machen. | |
| Aber Heißenbüttel hat es getan. | |
| Er, Celan und andere, und heute würde man sagen, Adornos Satz ist absurd. | |
| Aber in jenem historischen Moment war er gültig. | |
| Viele Deserteure waren einst Nazis und fallen in eine andere Opferkategorie | |
| als die Toten des Holocaust. Warum bauen Sie dieses Denkmal? | |
| Weil nicht alle Wehrmachtssoldaten Nazis waren. Manche waren | |
| Widerstandskämpfer, manche wurden zum Kriegsdienst gezwungen, andere | |
| bemerkten im Laufe des Krieges, dass sie diese Brutalität nicht mehr | |
| mittragen wollen – und desertierten. Auch ihre späte Rehabilitation im Jahr | |
| 1997 ist eine wichtige Motivation für mich. | |
| Gilt Ihr Denkmal ausschließlich Hamburger Deserteuren? | |
| Ja. Es wird wegen der 227 hingerichteten Hamburger gebaut, deren Namen man | |
| kennt. Vermutlich waren es aber weit mehr. | |
| Warum bauen Sie ein Dreieck? | |
| Weil es so etwas Expressives, Dynamisches bekommt und Bezüge zu allen | |
| Seiten aufnimmt. Daran, dass das orange Dreieck im KZ von | |
| Widerstandskämpfern und politischen Gefangenen getragen werden musste, habe | |
| ich erst später gedacht. Es ist auch zweitrangig. | |
| Die bronzenen Außengitter bestehen aus Heißenbüttel-Texten. | |
| Ja. Ich wollte eine offene, gitterartige Struktur, die Transparenz und | |
| Isolation zugleich symbolisiert. Außerdem sollte man den Raum betreten | |
| können. Wobei ich ursprünglich keine Texte wollte, sondern geometrische | |
| Zeichnungen. Dann merkte ich, dass in diesem Kontext alles mit Bedeutung | |
| aufgeladen wird – das Vier-, Fünf-, Sechseck … Ein Text war der einzige | |
| Ausweg, und so kam ich auf Heißenbüttel. | |
| Den man sich auch auf Band anhören kann. | |
| Ja, man kann zwischen zwei Tonspuren wählen: den Opfernamen und dem | |
| literarischen Text, von Heißenbüttel selbst gelesen. | |
| Wie lautet der erste Satz? | |
| „Hängt ihr am Leben / sie geben es brünstig für Höheres / niemand zwang s… | |
| dazu denn ihres Herzens Schlag / ihrer Seele Gebot ...“ Heißenbüttel liest | |
| das sehr schnell und rhythmisch. Es gibt auch Stellen, an denen es um die | |
| Judenermordung geht. Ich denke schon, dass es zu kontroversen Diskussionen | |
| kommen wird. | |
| Die Vielstimmigkeit des Textes lädt dazu ein. | |
| Ja. Gemeint ist er aber eindeutig, sowohl von Heißenbüttel als auch von | |
| mir: Es ist ein Pamphlet gegen Nationalsozialismus, Gewaltherrschaft, gegen | |
| den Angriffs- und Vernichtungskrieg, den das nationalsozialistische | |
| Deutschland ausgelöst hat. | |
| Ihr Mahnmal wird zwischen den hymnischen „Kriegsklotz“ Richard Kuöhls von | |
| 1936 und dem unfertigen Anti-Kriegsdenkmal von Alfred Hrdlicka stehen. Ist | |
| das nicht etwas viel? | |
| Ja, aber so war die Vorgabe: dass das Deserteursdenkmal das Bindeglied | |
| zwischen den vorhandenen Denkmälern bilden sollte. Und der Hauptinitiator, | |
| der Hamburger Deserteur Ludwig Baumann, wollte einen klaren Kommentar zum | |
| „Kriegsklotz“, der ja den Soldatentod verherrlicht. Außerdem wollte man | |
| einen Dialog, den das Hrdlicka-Denkmal nicht in dem Maße aufnimmt. | |
| Den sollen Sie herstellen. | |
| Ich versuche es. Außerdem wollte ich etwas Feines machen, das nicht so | |
| monumental auftritt. | |
| Wird Ihr Denkmal ein Ort der Versöhnung? | |
| Nein. Ich möchte durch den Heißenbüttel-Text den O-Ton dieser verlogenen | |
| Politik der Gewaltherrschaft zeigen. Deshalb habe ich einen Text mit | |
| Originalzitaten der Nazizeit gewählt. | |
| Aber kann man diese Facetten in einem Kunstwerk vermitteln, das an einer | |
| belebten Straße stehen wird? | |
| Es ist ein hoher Anspruch, das in den öffentlichen Raum zu bringen. Aber | |
| das habe ich auch schon beim „Wellenhaus“ mit den Woolf-Texten getan: einen | |
| feinen Text in einen Raum gegeben, wo Wandergruppen Schutz suchen, vor | |
| Langeweile den Text anhören und dann ihre Kommentare abgeben. Es ist | |
| vielleicht sehr idealistisch zu meinen, man könne die Leute mit so etwas | |
| konfrontieren. Aber ich tue es. | |
| 10 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Hamburg | |
| Deserteur | |
| Schwerpunkt Erster Weltkrieg | |
| Adorno | |
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