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# taz.de -- Adorno-Vorlesungen: Kritik am Hundekot im Badezimmer
> Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen referierte in Frankfurt zur
> „Ästhetik nachpopulärer Künste“. Vieles waberte im Diffusen.
Bild: Läge hier Hundekot, hieße das Indexialisierung. So ist es einfach nur e…
Zum 13. Mal fanden letzte Woche in Frankfurt die vom Institut für
Sozialforschung (IfS) und dem Suhrkamp Verlag getragenen und organisierten
Adorno-Vorlesungen statt. Diese dienen nicht der Adorno-Exegese oder der
Schulgründung, sondern sollen herausragenden Sozialwissenschaftlern und
Philosophen die Möglichkeit geben, die Bedeutung von oder auch den Verzicht
auf Adornos Arbeiten bei ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit darzustellen.
Das ehrgeizige, schon einmal 1953 in einem etwas anderen Kontext
formulierte Ziel ist es, „mit Adorno über Adorno hinaus“ zu denken, wie
Axel Honneth, Philosoph und Direktor des IfS, sich ausdrückte.
Die Wahl der Veranstalter für den diesjährigen Referenten fiel auf Diedrich
Diederichsen, den Kritiker, Kurator und Poptheoretiker, der seit 2006 an
der Akademie der bildenden Künste in Wien lehrt und in Frankfurt „Zur
Ästhetik der nachpopulären Künste“ referierte. Es spricht für das
intellektuelle Format und die Offenheit der Organisatoren, dass sie mit
Diederichsen einen Vertreter einer rührigen Subbranche der Philosophie
einluden – nämlich einen Exponenten der philosophisch drapierten
Ausstellungskuratorenprosa.
Eine solche Wahl hat natürlich ihre Tücken, denn der Jargon dieser Branche
ist nur Insidern geläufig und deren Argumentationsrhetorik
gewöhnungsbedürftig: „Das kann man aufklärerisch, pornographisch oder
pornographisch-aufklärerisch“ deuten (Diederichsen). Manch einer dürfte
sich gefühlt haben wie weiland im Ober-Seminar.
## Index, Verursachung, Folge
Das zahlreich erschienene Publikum erwies sich als hoch interessiert und
hörte gespannt zu, auch wenn Vieles im
„kulturtheoretisch-kulturindustriell“ Diffusen waberte. In der ersten
Vorlesung referierte Diederichsen über „Index, Verursachung und Folge“,
also über drei anspruchsvolle philosophische Begriffe, die jedoch kaum
diskursiv geklärt, sondern nur assoziativ umschwärmt wurden, wobei
besonders der Begriff „Index“ und der abgeleitete Neologismus
„Indexalisierung“ auch auf Nachfrage aus dem Publikum unklar blieben.
„Index“ meint in der Zeichentheorie den Einbruch eines rüden
Realitätspartikels ins fiktionale Arrangement eines Kunstwerks – etwa durch
einen Haufen Hundekot im Badezimmer oder einen Kaugummi im Weinglas des
Gastes. Solche provokativen Momente produzierten bereits Surrealismus und
Slapstick-Filme, die auf das Staunen oder den Protest des Publikums
setzten.
Diederichsen vermutet eine neue Qualität dieses Index-Effekts, wenn er in
Medien angewendet wird, die nicht nur alte analoge (zeichnerische,
verbale), sondern moderne Speichermedien verwenden wie Tonband, CD, Film
und Fernsehen. Indizes markieren einen Bruch und wirken insofern
desillusionierend, bannen jedoch mit ihren technischen Apparaturen
gleichzeitig eine illusionäre Welt auf Tonträger und Filmleinwände.
## Warhol, Kommune1, Muehl
Unklar blieb die These Diederichsens, warum sich erst durch diese Medien
seit den 60er Jahren der Index-Effekt auf Personen zentriert und sich
dadurch in einen Begehr-Effekt aus Sex und Gewalt verwandelt. Daran schloss
sich in diesen Medien ein Überbietungswettlauf um politische, sexuelle und
andere Grenzüberschreitungen zwischen Schulen, Sekten und „Familien“ an –
von der Warhol-Factory über die Kommune 1 bis zur Otto-Muehl-"Familie“.
Der Hundekot im Badezimmer und der Kaugummi im Weinglas stehen für
Wirklichkeiten verfremdende und diese (potentiell) erhellende Effekte. Aber
warum sollte die desillusionierende Darstellung einer schönen Frau in einem
Hollywood- oder Fernsehfilm das Begehren von Zuschauern oder Fans nach
dieser Realfiktion steigern? Vielleicht sind es ganz andere Mechanismen des
kulturindustriellen Geschäftsmodells, die die Rezeption von Artefakten
unterschiedlichen ästhetischen Niveaus steuern.
Ein schwacher Punkt in allen drei Vorlesungen Diederichsens waren seine
Ausweichmanöver zu Fragen des ästhetischen Niveaus. Adornos Unterscheidung
zwischen Hoch- und Massenkultur nach dem Niveau der ästhetischen
Materialbeherrschung ist unhaltbar, was man an seinem grotesken Fehlurteil
über den Jazz ablesen kann. Aber Diederichsen kündigte die Debatte über
Qualitätskriterien auf und hantierte stattdessen mit der Residualkategorie
„Schmutz“. An die Stelle von stringenten Thesen und Begründungen trat immer
mehr ein zwar immens szenekundiges, aber analytisch unergiebiges
name-dropping.
22 Jun 2015
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Adorno
Diedrich Diederichsen
Philosophie
Hundekot
Zweistaatenlösung
Slavoj Zizek
Studentenproteste
Hamburg
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