| # taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Ein utopischer Realist | |
| > Der Philosoph Martin Buber hatte sich der Versöhnung von Juden und | |
| > Arabern verschrieben. Vor 50 Jahren ist er gestorben. | |
| Bild: Eine Frau schaut aus dem Fenster eines zerstörten Hauses im östlichen T… | |
| Vor fünfzig Jahren, am 13. Juni 1965, starb in Jerusalem der jüdische | |
| Religionsphilosoph Martin Buber, geboren im Februar 1878 in Wien. Buber, | |
| der sich zunächst Fragen einer mystischen Religionsphilosophie zugewandt | |
| hatte, wurde früh Zionist, entwickelte Ende der 1920er Jahre eine damals | |
| neue Philosophie der Intersubjektivität und emigrierte 1938 aus Hitlers | |
| Deutschland ins damalige Palästina. | |
| Buber, während des Ersten Weltkriegs ohne jeden Zweifel deutscher | |
| Nationalist, hatte darauf gehofft, dass die kaiserlichen Waffen eine | |
| jüdische Besiedlung Palästinas ermöglichen würden. Nach den Schrecken des | |
| Krieges wandelte er sich zum Internationalisten, ja zum Anarchisten und | |
| verfasste in den 1940er Jahren eine Reihe von Aufsätzen zum | |
| jüdisch-palästinensischen Konflikt, die unter dem Titel „Ein Land und zwei | |
| Völker“ erschienen. | |
| Die Literatur zu Buber, der als versöhnungsbereiter Jude in der frühen | |
| Bundesrepublik ungemein beliebt war, ist kaum zu übersehen: Wer sich für | |
| sein politisches Denken interessiert, kann sich in dem 2010 bei | |
| Zweitausendundeins erschienenen Band seiner politischen Schriften bestens | |
| informieren; wer ihn als Philosophen und Theologen kennenlernen will, sei | |
| auf die kürzlich erschienene Monografie des Tübinger Theologen Karl-Josef | |
| Kuschel verwiesen. | |
| Auf jeden Fall war Buber als jüdischer Philosoph in der Weimarer Republik | |
| und der frühen Bundesrepublik durchaus umstritten: Theodor W. Adorno etwa | |
| bezeichnete ihn bereits in der Weimarer Republik als „Religionstiroler“ und | |
| hielt ihm später, in der 1964 publizierten Schrift „Jargon der | |
| Eigentlichkeit“ vor, „Sprache mit Leuchtfarbe beschmiert“ zu haben. | |
| Freilich hatte Adorno für Bubers politisches Engagement weder Sinn noch | |
| Verständnis. | |
| 1942 wandte sich Buber mit einer Reihe anderer jüdischer Intellektueller | |
| aus Jerusalem an die Welt, um mit dem Aufruf „Al Domi“ – „Schweige nich… | |
| auf die Katastrophe des nationalsozialistischen Massenmordes an den | |
| europäischen Juden hinzuweisen; früher schon, nach seiner Ankunft in | |
| Palästina, wurde er Mitglied des von anderen jüdischen Gelehrten, etwa | |
| Gerschom Scholem, gegründeten Brith Schalom, des „Bundes des Friedens“, der | |
| für eine Versöhnung von Juden und Arabern und ein gemeinsames politisches | |
| Projekt beider Völker warb. | |
| ## Zwischen Autonomie und Staatlichkeit | |
| 1948, nach dem von israelischer Seite so genannten Befreiungskrieg und der | |
| Staatsgründung, schien die von dieser Gruppe vorgeschlagene Lösung des | |
| Konflikts, eine politische Föderation von Juden und Arabern, illusorisch – | |
| heute, mehr als sechzig Jahre später, rückt sie in den Bereich des | |
| Möglichen und Realistischen. 1947 schrieb Buber hellsichtig: „Was jedes der | |
| beiden in Palästina nebeneinander und durcheinander lebenden Völker | |
| tatsächlich braucht, ist Selbstbestimmung, Autonomie, freie | |
| Entscheidungsmöglichkeit. Das bedeutet aber keineswegs, daß es einen Staat | |
| braucht, den es dominiert. | |
| Die arabische Bevölkerung braucht zur freien Entfaltung ihrer Kräfte keinen | |
| arabischen Staat und die jüdische braucht zur freien Entfaltung der ihren | |
| keinen jüdischen; beides kann in einem binationalen Gemeinwesen | |
| gewährleistet werden, in dem jedes Volk seine spezifischen Angelegenheiten | |
| verwaltet und beide ihre gemeinsamen Angelegenheiten“. | |
| Es war Hegel, der in seinen geschichtsphilosophischen Überlegungen auf die | |
| „List der Vernunft“ setzte: auf einen Gang der Geschichte, in dem am Ende | |
| ausgerechnet das, was von den jeweils herrschenden Mächten am stärksten | |
| bekämpft wird, genau dadurch, dass es bekämpft wurde, die Oberhand gewinnt. | |
| Genau dies geschieht derzeit im sogenannten Nahostkonflikt, dem | |
| Israel-Palästina-Konflikt, der im Vergleich zu den mörderischen Kriegen in | |
| Syrien und im Irak derzeit geradezu läppisch erscheint. Gleichwohl: | |
| Niemand, der heute auch nur über ein Quäntchen politischen Realitätssinns | |
| verfügt, hält die immer wieder beschworene „Zweistaatenlösung“ noch für | |
| realisierbar. | |
| ## Kein Prediger der Gewaltfreiheit | |
| Die von israelischen Regierungen seit bald fünfzig Jahren betriebene, | |
| völkerrechtswidrige Besiedlung des Westjordanlandes verweist die | |
| Zweistaatenlösung in den Bereich politischer Mythologie. Allen | |
| vermeintlichen Realisten, die von einer grundlegenden Unvereinbarkeit | |
| jüdischer und arabischer Interessen ausgingen, hielt Buber in den 1940er | |
| Jahren entgegen, dass erst der Glaube an die Macht des Verhängnisses das | |
| Verhängnis eintreten lasse. | |
| Buber, in Israel in den späten Vierzigern und danach zwar als Gelehrter | |
| hoch respektiert, aber als politischer Denker für hoffnungslos naiv | |
| gehalten, dürfte am Ende recht behalten – ebenso wie er gegen Mahatma | |
| Gandhi recht behielt, der den von den Nazis verfolgten Juden 1939 (!) allen | |
| Ernstes anriet, gewaltlosen Widerstand zu üben. Martin Buber war kein | |
| naiver Prediger der Gewaltfreiheit, Gandhi hielt er entgegen: „… wenn ich | |
| nicht anders als durch sie [Gewalt, Anm. M. B.] verhindern kann, daß das | |
| Übel das Gute vernichtet, werde ich hoffentlich Gewalt üben und mich in | |
| Gottes Hände begeben“. | |
| 12 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Micha Brumlik | |
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