| # taz.de -- Deutsch-jüdisches Viertel in Jerusalem: Wo Scholem und Buber strit… | |
| > Mit seinem Buch „Grunewald im Orient“ erinnert Thomas Sparr an Rechavia, | |
| > ein deutsch-jüdisches Stadtviertel im Westen Jerusalems. | |
| Bild: Die Windmühle von Rechavia, ein Wahrzeichen des Stadtviertels | |
| An Büchern über Jerusalem besteht kein Mangel. Doch Thomas Sparr, | |
| langjähriger Lektor beim Suhrkamp-Verlag, schreibt in seinem Band | |
| „Grunewald im Orient“ über ein Kapitel der Stadt, das in Vergessenheit zu | |
| geraten drohte, obwohl es untrennbar gerade mit der deutschen Geschichte | |
| verbunden ist. Es geht um Rechavia, im Westen der Stadt gelegen, weit | |
| außerhalb der touristischen Ziele. | |
| Der heutige Besucher findet dort in den von Schatten spendenden Bäumen | |
| bestandenen Straßen hübsche, mit dem Jerusalem-Stein verkleidete Ein- und | |
| Mehrfamilienhäuser, 70 bis 80 Jahre alt, darin lebend wohlhabende jüdische | |
| Bürger der Stadt. Nur wenig erinnert auf den ersten Blick daran, dass | |
| dieses Viertel einmal das Refugium der ausgestoßenen deutschen Judenheit | |
| gewesen ist, zumindest derer, die aus zionistischer Gesinnung schon in den | |
| 1920er Jahren nach Jerusalem gezogen waren, vor allem aber für jene, die | |
| Nazi-Deutschland nach 1933 überstürzt verlassen mussten. | |
| Nun war Rechavia nicht nur einfach ein x-beliebiger Exil-Wohnort. Thomas | |
| Sparr beginnt sein Buch mit einem fiktiven Treffen ehemals | |
| deutsch-jüdischer Bürger im berühmten Café Atara in der Ben-Jehuda-Straße | |
| Anfang der 1960er Jahre. Da begegnet Gershom Scholem dem Nachbarn und | |
| Religionsphilosophen Martin Buber (natürlich streitet man miteinander). An | |
| einem anderen Tisch sitzt Hannah Arendt, selbst keine Rechavia-Bewohnerin, | |
| die über den Eichmann-Prozess schreibt, die Dichterin Mascha Kaléko betritt | |
| das Café, und schließlich gesellt sich der Schriftsteller Werner Kraft | |
| dazu. | |
| Sparr entfaltet den Blick zurück in eine deutsch-jüdische Welt der | |
| Gelehrten, die sich über ein Dutzend Straßen im hebräischen West-Jerusalem | |
| ausgebreitet und lange Zeit erhalten hat. Rechavia, so schreibt er, sei | |
| auch eine „geistige Lebensform“ gewesen, in der intensiv diskutiert, | |
| deutsch gekocht und selbstverständlich deutsch gesprochen wurde, zu einer | |
| Zeit auch noch, als die Sprache Hitlers in Jerusalem verpönt war. | |
| Sparrs Reise führt zurück zu den Anfängen des Viertels, mit Gebäuden, deren | |
| Architektur zwischen Bauhaus und Tradition zu verorten ist. Geplant und | |
| gebaut worden ist Rechavia von dem deutsch-jüdischen Architekten Richard | |
| Kauffmann und seiner Assistentin Lotte Cohn. Sie wollten weit weg von den | |
| engen Gassen der Altstadt einen Ort nach dem Vorbild europäischer | |
| Gartenstädte errichten, mit viel Grün und modernen Gebäuden mit allem | |
| Komfort. Rasch entdeckten die deutschen Einwanderer, abschätzig von den | |
| Alteingesessenen Jeckes genannt, das Viertel für sich. | |
| ## Archivar des Zionismus | |
| Und der Autor führt uns zu den damaligen Bewohnern, Georg Herlitz etwa, dem | |
| Archivar des Zionismus, der die Sammlung der Bewegung 1933 – damals war das | |
| noch möglich – in 154 Kisten verpackt nach Jerusalem expedieren ließ, bevor | |
| er ihr selbst nach Erez Israel folgte. Wir begegnen dem Ideenhistoriker | |
| George Lichtheim, einem Gelehrten des Sozialismus und Marxismus, ebenso wie | |
| der Dichterin Else Lasker-Schüler, deren Bild von Rechavia sich in ihrem | |
| Buch „Das Hebräerland“ andeutet. | |
| Vor allem aber sind wir zu Besuch zwischen den Bücherwänden in Gershom | |
| Scholems Haus in der Arbarbanelstraße 38, der sich 1936 im | |
| Adressverzeichnis mit der Berufsbezeichnung „Kabbalist“ eintragen ließ und | |
| doch alles andere als ein engstirniger Religionsforscher war. Im Gegenteil | |
| beteiligte sich Scholem in den 1930er Jahren aktiv an der Friedensbewegung | |
| Brit Schalom, die einen gemeinsamen Staat mit den Arabern propagierte. | |
| Es ist ein großartiger, aber auch wehmütiger Blick, an dem uns Sparr | |
| teilhaben lässt. Denn die Zeiten haben sich geändert. In Rechavia residiert | |
| heute, in einem 1938 von Richard Kauffmann erbauten Haus, Israels | |
| Premierminister Benjamin Netanjahu. | |
| 15 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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