# taz.de -- Else Lasker-Schüler-Ausstellung: Herrscher*in über viele Welten | |
> Das Schaffen der Künstlerin Else Lasker-Schüler war sehr vielfältig. Das | |
> kleine Lübecker Grass-Haus traut sich trotzdem eine Ausstellung über sie | |
> zu. | |
Bild: Vieldeutig: Else Lasker-Schülers Zeichnung „Die jüdischen Häuptlinge… | |
Der Ausstellungsraum ist klein für eine Künstlerin wie Else Lasker-Schüler, | |
die so vieles war: Dichterin und Performerin, Malerin und Dramatikerin. | |
Ausdrucksvielfalt ist das Konzept der Ausstellungen im Obergeschoss des | |
Lübecker [1][Günter-Grass-Hauses]. Persönlichkeiten wie Goethe und | |
Churchill und Lennon wurden hier gezeigt. Lasker-Schüler ist nach Cornelia | |
Funke und Tove Jansson erst die dritte Frau in der Reihe. | |
Auffällig der Titel, unter der die aktuelle Ausstellung firmiert: „Else | |
Lasker-Schüler: Künstlerin, Dichterin, Weltenbauerin“. Ist eine Dichterin | |
nicht auch eine Künstlerin? Was für Welten soll diese Frau gebaut haben? | |
Als Eyecatcher fallen drei prächtige Kostüme auf, die vorn im Raum drapiert | |
sind: Ein androgyner Anzug im 1920er-Jahre-Stil, ein ironischer | |
Tim-Burton-Engel und ein mit Schellen aufgetunter Teufel. | |
Künstler*innen haben sie im Auftrag der Kuratorin entworfen und genäht, | |
um die Welten dieser Frau zu visualisieren, die zu Beginn des 20. | |
Jahrhunderts als „Jussuf, Prinz von Theben“ die Berliner Cafés aufmischte. | |
## Eine genderfluide Künstlerdichterin | |
In exzentrischen Rollen, die sie üppig kostümiert verkörperte, changierte | |
Lasker-Schüler zwischen den Geschlechtern und Kulturen, befeuerte den | |
„Orientalismus“ ihrer Zeit mit Zitaten aus arabischen Kulturen und dem | |
alten Ägypten. | |
Der knappe Raum ist gut genutzt und dabei nicht überfrachtet. An einer Wand | |
hängen Bilder und Zeichnungen, zum Teil in unterschiedlichen Rahmen, weil | |
es Leihgaben aus Privatsammlungen sind: exotische Wimmelbilder, Zeichnungen | |
mit grober Kreide-Kolorierung, entrückt schauende Figuren, ägyptische | |
Ikonografie, weiße runde Lehmhäuser und ihr Alter Ego Jussuf, mit rotem | |
Topfhut auf einem Elefanten reitend. Sie alle sind, damals wohl aus | |
Kostengründen, kleinformatig. | |
Im einem Separee haben Filmemacherinnen Lasker-Schülers Filmskript von 1913 | |
„Plumm-Pascha“ in die Jetztzeit geholt, zum Beispiel mit einer scheiternden | |
Influencerin als Hauptfigur. An einer Audiostation [2][lassen sich | |
musikalische Interpretationen ihrer Gedichte] von Theodor W. Adorno bis zur | |
Metal-Vertonung [3][von „A Winter Lost“ anhören]. | |
Schaukästen zeigen erste und frühe Ausgaben von Büchern der Dichterin, etwa | |
[4][das Drama „Ichundich“, in dem sie den Untergang des Nazi-Regimes | |
prophezeite]. | |
Dazu lässt sich eine Lyrik-Auswahl lesen, expressionistische Gedichte wie | |
„O ich möchte aus der Welt“ von 1917: „Dann weinst du um mich. / Blutbuc… | |
schüren / Meine Träume kriegerisch. // Durch finster Gestrüpp / Muß ich / | |
Und Gräben und Wasser // Immer schlägt wilde Welle / An mein Herz, / Irr | |
ich ein Flackerlicht // Um Gottes Grab.“ | |
In ihren Versen tritt am Deutlichsten hervor, dass die Triebfeder dieser | |
oft bunten, üppigen Kunst die Weltflucht aus einer nie einfachen Realität | |
ist. Nach einer Kindheit in Wuppertal sterben die Eltern und der | |
Lieblingsbruder früh. Später wird sie zwei Mal geschieden und ist | |
alleinerziehend mit einem Sohn. Der stirbt mit 28 Jahren an Tuberkulose. | |
Else Lasker-Schüler unterhält Freundschaften mit Künstlerkollegen wie Karl | |
Krauss oder Franz Marc, erfährt aber auch Ablehnung: Franz Kafka und Rainer | |
Maria Rilke äußern sich herablassend über Kunst und Lebenswandel dieser | |
Frau, die sie nicht verstehen wollen. | |
Zeitlebens hat sie Geldsorgen und muss sich von (meist männlichen) | |
Künstlerkollegen alimentieren lassen. In dem Essay „Ich räume auf“ beklagt | |
sie die mangelhafte Zahlungsmoral von Verlagen. Durch die sieht sie sich | |
immer wieder in Existenznöte getrieben: Unter diesen schwierigen Umständen | |
begründet die Künstlerin mit ihren Gedichten und Romanen den literarischen | |
Expressionismus mit. | |
## Im unfreiwilligen Exil | |
Dafür bekommt sie 1932 den Kleist-Preis. Kurz danach kommt Hitler an die | |
Macht: Die Jüdin verlässt das Land und emigriert in die Schweiz. Die aber | |
lässt sie sechs Jahre später von einer Palästina-Reise nicht zurückkehren. | |
Im unfreiwilligen Exil eckt sie an als Unterstützerin des „Brit | |
Schalom“-Friedensbundes und kritisiert 1937 in „Das Hebräerland“, | |
erschreckend aktuell noch heute, die Siedlungspolitik: „Es ziemt sich | |
nicht, im heiligen Land Zwietracht zu säen“. In Armut stirbt sie 1945 in | |
Jerusalem. | |
Ihr Freund, der Dichter Gottfried Benn, nannte sie „die größte Lyrikerin, | |
die Deutschland je hatte“ und sagte: „Sie nahm die großartige und | |
rücksichtslose Freiheit, über sich selbst zu verfügen, ohne die es ja Kunst | |
nicht gibt. Ihre Themen waren vielfach jüdisch, ihre Phantasie | |
orientalisch, aber ihre Sprache war deutsch, ein üppiges, prunkvolles, | |
zartes Deutsch.“ | |
3 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Der-Nachlass-von-Guenter-Grass/!5497217 | |
[2] https://www.lieder.net/lieder/assemble_texts.html?SongCycleId=13897 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=7bbUO-IFD-M | |
[4] /Nazis-in-der-Hoellenglut/!5637340&s=Lasker+Sch%C3%BCler+Ichundich&… | |
## AUTOREN | |
Friederike Grabitz | |
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