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# taz.de -- Debatte Deutsch-Israelische Diplomatie: Risse im Fundament
> Deutschland und Israel scheinen eng verbunden. Doch das israelische „Nie
> wieder Opfer“ reibt sich mit dem deutschen „Nie wieder Krieg“.
Bild: Ein Unwetter in Israel fasziniert die Verteidigungsministerin.
50 Jahre nach dem Notenaustausch zwischen Deutschland und Israel im Mai
1965 ist es Zeit für eine kritische Bestandsaufnahme. Auf den ersten Blick
machen die deutsch-israelischen Beziehungen einen stabilen Eindruck. Das
Geflecht zwischen den beiden Ländern ist über die Jahre immer dichter
geworden. Es gibt einen regen Austausch von Politik, Wirtschaft und
Zivilgesellschaft, Medizin, Kultur und Wissenschaft, im Sport und im
Jugendaustausch. Ein genaueres Hinsehen zeigt jedoch Risse im Fundament.
Deutschland und Israel sind durch die Schoah unlösbar verbunden. Dieses
Urereignis prägt den besonderen Charakter unserer Beziehungen. Umfragen
zeigen jedoch, dass eine Mehrheit der jüngeren Deutschen keine besondere
Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Staat mehr empfindet.
Auch viele Migrant/innen aus muslimisch geprägten Ländern sehen nicht ein,
dass sie in unsere historischen Verbindlichkeiten eintreten sollen. Die
Rede von der besonderen Verantwortung Deutschlands ist ein Diskurs der
politischen und kulturellen Eliten, der von wachsenden Teilen der
Bevölkerung nicht mehr geteilt wird.
Dazu kommt eine zunehmende Asymmetrie in der gegenseitigen Wertschätzung.
Das Ansehen Israels in Deutschland sinkt dramatisch: 62 Prozent geben an,
eine schlechte Meinung über Israel zu haben. Dagegen gewinnt Deutschland an
Ansehen in Israel: 68 Prozent der Israelis haben eine insgesamt positive
Einstellung gegenüber Deutschland.
## Israel als Störenfried
In der deutschen Öffentlichkeit wird Israel fast ausschließlich durch das
Prisma der Besatzungspolitik wahrgenommen. Die Darstellung Israels als
aggressiver Störenfried, dem die geläuterten Deutschen den rechten Weg zum
Frieden weisen sollten, entlastet zwar unser latentes Schuldbewusstsein,
ist aber doppelt anmaßend: Sie ist abgelöst vom Kontext der Schoah, aus dem
heraus wir gegenüber Israel nicht im Status der moralischen Überlegenheit
auftreten können; und sie ignoriert das Erstarken radikalislamischer Kräfte
in der Region, die offen auf die Vernichtung Israels aus sind. Wenn man
diese reale Bedrohung ausblendet, erscheint das Sicherheitsbedürfnis vieler
Israelis als bloßes historisches Trauma.
Man kann mit guten Gründen argumentieren, dass eine Zwei-Staaten-Lösung im
besten Interesse Israels liegt. Aber es vereinfacht die Dinge allzu sehr,
wenn man so tut, als läge es allein am guten Willen Israels, einen Konflikt
zu beenden, der sich tief in beide Gesellschaften eingefressen hat und
vielfach mit den Umwälzungen verknüpft ist, die gegenwärtig den Nahen und
Mittleren Osten erschüttern.
In mancher Hinsicht leben Israelis und Deutsche in verschiedenen Welten:
Das nur zu gut verständliche israelische „Nie wieder Opfer“ reibt sich mit
dem deutschen „Nie wieder Krieg“. Während für Israel die eigene
Wehrhaftigkeit als unerlässliche Garantie für das Überleben des jüdischen
Staates gesehen wird, dominiert in Deutschland die Vorstellung, alle
Konflikte ließen sich friedlich-schiedlich lösen.
## National vs. postnational
Auch die Rolle der Religion entwickelt sich gegenläufig: In Deutschland
verblasst die prägende Kraft der christlichen Tradition. Dagegen nimmt in
Israel die identitätsstiftende Bedeutung der Religion zu. Eine primär
religiöse Selbstdefinition gefährdet jedoch den Doppelcharakter Israels als
jüdischer und demokratischer Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger.
Die EU ist ein postnationales Projekt. In Israel bleibt der Nationalstaat
eine zentrale Bezugsgröße. Israel verkörpert die jüdische politische
Souveränität – der einzige Staat, in dem Juden nicht befürchten müssen,
erneut diskriminiert und verfolgt zu werden.
Dennoch sind wir über alle Differenzen hinweg auf doppelte Weise verbunden:
durch eine Vergangenheit, die nicht vergehen will, und durch die gemeinsame
Berufung auf demokratische Werte, Rechtsstaat und eine aktive
Zivilgesellschaft. Genau diese Werte gilt es auf beiden Seiten zu
verteidigen.
Wenn die Rede von der besonderen Verantwortung Deutschlands einen Sinn
haben soll, muss sie sich auf die Sicherheit Israels beziehen. Die
Staatenordnung des Nahen Ostens wankt, der Iran baut Mittelstreckenraketen,
mit seiner Hilfe hat die Hisbollah ein gewaltiges Waffenarsenal angelegt.
## Israel boykottieren?
Wie halten wir es vor diesem Hintergrund mit Rüstungsexporten nach Israel,
die seine Abschreckungsmacht garantieren sollen? Kritiker des aktuellen
U-Boot-Deals berufen sich auf den Grundsatz, keine Waffen in
Spannungsgebiete zu liefern – von einer besonderen Verpflichtung für
Israels Sicherheit bleibt da nichts übrig.
Auch in Deutschland gewinnt die BDS-Bewegung an Boden (Boykott,
Desinvestment, Sanktionen). Ein kollektiver Boykott, der sich wahllos gegen
die israelische Zivilgesellschaft richtet, ist weder gerecht noch trägt er
zur Lösung des Konflikts bei.
Im Gegenteil: Er wird nur die Wagenburgmentalität in Israel stärken und der
israelischen Rechten in die Hände spielen. Jenseits dieses funktionalen
Arguments verbietet sich für jeden, der noch einen Funken historisches
Bewusstsein hat, eine Kampagne, die auf Isolierung und Stigmatisierung des
jüdischen Staates zielt. Vielmehr sollten wir Dialog und Kooperation
zwischen unseren Gesellschaften ausbauen, und zwar unabhängig davon, wer
jeweils in Jerusalem oder in Berlin regiert.
Gleichzeitig sollte Deutschland im Verein mit der EU eine aktivere
Vermittlungsrolle im Nahostkonflikt spielen. Letztlich können nur die
beiden Parteien – Israelis und Palästinenser – miteinander Frieden
schließen. Sie müssen bereit sein, ihren Kampf um ein und dasselbe
Territorium mit einem historischen Kompromiss zu beenden. Aber alle
Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass bilaterale Verhandlungen nur
eine Erfolgschance haben, wenn sie in einen internationalen Prozess
eingebunden sind.
Dazu braucht es Staaten, die bereit sind, als Garantiemächte für eine
Zweistaatenlösung aufzutreten. Auch das wäre ein Akt der besonderen
Verantwortung Deutschlands für Israel.
12 May 2015
## AUTOREN
Ralf Fücks
## TAGS
Diplomatie
Holocaust
Jerusalem
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
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Geografie
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70 Jahre Befreiung
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