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# taz.de -- Avi Primor zu Deutschland und Israel: „Verständnis für Israel s…
> Der ehemalige Botschafter ermuntert die Deutschen, einen ehrlichen Dialog
> mit Israel zu führen. Dazu gehöre auch Kritik.
Bild: Mathis Fragemann verbringt mit „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“…
taz: Herr Primor, Sie waren gerade 30 Jahre alt, als Israel und die
Bundesrepublik diplomatische Beziehungen aufnahmen. Was haben Sie damals
gedacht?
Avi Primor: Ich erinnere mich zunächst an 1952, als die Regierung von David
Ben-Gurion darüber entschied, mit Deutschland über
Wiedergutmachungszahlungen zu verhandeln. Ich zählte zu denen, die sehr
dagegen waren. Das war typisch für meine Generation. 1965 sah ich schon
ein, dass es ein israelisches Interesse war, Beziehungen zu Deutschland
aufzunehmen. Ich persönlich wollte allerdings nichts damit zu tun haben.
Wie kam es zu Ihrem veränderten Verhältnis zu Deutschland?
Das war ein schrittweiser Prozess. Sehen Sie, das Wiedergutmachungsabkommen
ging anfangs nicht um Geld, sondern um die Lieferung von Industriegütern.
Niemand wollte mit Israel kooperieren. Es gab den arabischen Boykott, und
Ben-Gurion behauptete, es sei die deutsche moralische Pflicht, denen, die
mit tiefen Narben den Holocaust überlebt haben, ein neues Leben zu
ermöglichen. Er wollte Investitionen in Form von Maschinen, Frachtschiffen
und Lokomotiven. Bundeskanzler Konrad Adenauer passte das gut. Es war ihm
lieber, als Bargeld zu überweisen. Nun brauchte man Leute, die bereit
waren, nach Deutschland zu gehen, Fachkräfte, die sich erklären lassen, wie
die Maschinen zu handhaben sind. Im Laufe der 50er Jahre entwickelten sich
dadurch zwischenmenschliche Beziehungen, die für mich bis heute die
Stützpfeiler der Beziehungen sind, denn sie sind viel tiefgreifender als
die Beziehungen zwischen Behörden.
Gab es für Sie so etwas wie ein Schlüsselerlebnis?
Ich kann mich erinnern, wie erstaunt ich 1961 darüber war, dass so viele
deutsche Journalisten nach Jerusalem gekommen waren, um den
Eichmann-Prozess zu verfolgen. Unsere Kritik an Deutschland war ja, dass
die Deutschen ihre Vergangenheit verdrängen. Hier kamen nun Scharen von
Journalisten und stellten unser Bild von Deutschland auf den Kopf. Dasselbe
passierte noch einmal mit dem Auschwitz-Prozess und dann noch einmal mit
der 68er Bewegung. Ich hatte wirklich sehr viel Widerstand in mir, aber ich
sah die Jugendlichen, die nichts mehr verdrängen wollten. Und schließlich
die Europapolitik – wir mussten erkennen, dass Deutschland kein deutsches
Europa, sondern ein europäisches Deutschland anstrebte. Meine
intellektuelle Meinung über Deutschland hat sich ununterbrochen verbessert,
trotzdem bin ich erst in den 90 er Jahren, als ich Botschafter wurde, nach
Deutschland gereist.
Würden Sie zustimmen, dass das Verhältnis von Deutschland aus eher durch
Verpflichtungen geprägt ist und von Israel aus eher durch Interessen?
Als ich nach Deutschland ging, dachte ich, dass ich mit der Vergangenheit
nicht mehr viel zu tun haben würde. Ich wollte mich auf die konkrete
Zusammenarbeit der Gegenwart und Zukunft konzentrieren. Tatsächlich musste
ich mich sehr viel mit der Vergangenheit beschäftigen, weil mich die
Deutschen bei jeder Gelegenheit darauf ansprachen. Ich halte Deutschland
für vorbildlich in Sachen Gewissenserforschung. Heute ist es nicht viel
anders, auch wenn Gegenwart und Zukunft wichtiger werden und die
Zusammenarbeit, aber die Vergangenheit schwebt immer noch im Hinterkopf,
vor allem weil die Deutschen es so wollen.
Wie sehen Sie die Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen?
Ich mache mir große Sorgen über die Beziehungen mit Deutschland, die für
Israel unentbehrlich geworden sind. Deutschland ist nach den USA unser
größter Partner weltweit, in dem Bereich Wissenschaft und Forschung ist die
Kooperation sogar noch enger als mit den USA. Die Wurzel, die diese
Zusammenarbeit solide macht, sind die zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir
müssen mit dem deutschen Volk zusammenarbeiten. Wir brauchen das deutsche
Verständnis für uns, und das schwindet. Das Verständnis für unsere Politik
im Nahen Osten schwindet in ganz Europa. Der Unterschied zwischen
Deutschland und den anderen ist, dass die anderen offen mit uns darüber
sprechen, während die Deutschen noch immer gehemmt sind und die Kritik nur
am Stammtisch äußern, anstatt sie uns mitzuteilen. Die sachliche
Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel ist noch nicht
beeinträchtig, und die Regierungen auf beiden Seiten wollen, dass das so
bleibt. Aber wenn wir die öffentliche Meinung in Deutschland verlieren, und
das passiert schrittweise, dann wird die Bundesregierung das irgendwann
nicht mehr ignorieren können. Ich plädiere für einen ehrlichen Dialog, zu
dem auch Kritik gehört.
Kann Deutschland eine Rolle spielen im nahöstlichen Friedensprozess?
Wer einen Friedensprozess im Nahen Osten erzwingen kann, sind die USA.
Alleine werden sie es nicht tun, und es gibt es nur einen potenziellen
Partner: die Europäische Union. Die EU wiederum wird nichts tun ohne
Deutschland, und die Deutschen halten sich zurück, weil sie in Bezug auf
Israel gehemmt sind. Das ist für die israelische Regierung gut, aber nicht
für Israel. Wenn die Deutschen aktiver innerhalb der EU agieren würden,
damit die EU den Amerikanern den Rücken stärkt, dann könnte etwas in
Bewegung kommen. Die neue Regierung in Jerusalem ist dem Friedensprozess
nicht gewachsen. Auch die palästinensische Regierung ist nicht in der Lage
dazu, wenngleich aus anderen Gründen, deshalb brauchen wir die
Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Ohne die EU wird es nicht
gehen, und ohne Deutschland wird es die EU nicht machen.
12 May 2015
## AUTOREN
Susanne Knaul
## TAGS
Antisemitismus
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Israel
Deutschland
Israel
Diplomatie
Rechtsextremismus
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