# taz.de -- Wissenschaft in Israel: „Treibstoff für die Wirtschaft“ | |
> Im Pro-Kopf-Vergleich gibt Israel weitaus mehr Geld für die Wissenschaft | |
> aus als etwa Deutschland. Zahlreiche Start-ups sind die Folge. | |
Bild: Entwicklung von Wasserfiltern in einem Forschungslabor der Ben-Gurion-Uni… | |
Bei den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, die Anfang dieser | |
Woche in Berlin stattfanden, spielten auch die Wissenschaften keine | |
marginale Rolle. Unter anderem wurde zwischen den Ministerien ein Programm | |
zur Förderung von angewandter Forschung und Technologietransfer in der | |
Nanotechnologie vereinbart. Vor allem durch die Gründung neuer Unternehmen | |
in beiden Ländern soll die Querschnittstechnologie „Nano“ in | |
unterschiedliche Anwendungsfelder gebracht werden: Photonik, neue | |
Werkstoffe, personalisierte Medizin, Nanobiotechnologie oder nachhaltige | |
Energieversorgung und sauberes Wasser. | |
„Nanotechnologie ist ein ideales Forschungsfeld, das die | |
deutsch-israelische Zusammenarbeit um eine neue strategische Komponente | |
bereichert“, erklärte der Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, | |
Thomas Rachel. | |
Dass die heutigen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel trotz der | |
historischen Belastung durch NS-Judenverfolgung und Holocaust wieder einen | |
Pegel der Normalität erreicht haben, ist in besonderen Maß der Wissenschaft | |
zuzurechnen. Vor 50 Jahren wurde zwischen Wissenschaftlern der deutschen | |
Max-Planck-Gesellschaft und ihren israelischen Kollegen erste gemeinsame | |
Forschungsprojekte vereinbart. Was damals politische Sensation war, gilt | |
heute als der „Beginn der diplomatischen Beziehungen“ zwischen der | |
Bundesrepublik und Israel. Wissenschaft spielte den Eisbrecher. | |
Seitdem haben Wissenschaft und technologische Anwendung in dem kleinen | |
Nahoststaat (Israel ist mit 8,3 Millionen Einwohnern kleiner als | |
Baden-Württemberg mit 10,7 Millionen) einen enormen Einfluss gewonnen. Das | |
Wüstenland wurde mit innovativer Agrartechnik wie der Tröpfchenbewässerung | |
und weltweit führenden Technologien der Meerwasserentsalzung zur | |
landwirtschaftlichen Exportnation. Auch in den Exzellenzbereich der | |
Grundlagenforschung drang Israel erfolgreich vor: So wurde der Nobelpreis | |
in den Jahren von 2002 bis 2013 an acht Israelis verliehen – in zwei | |
Fächern: Chemie und Wirtschaftswissenschaften. | |
Deutschland kam im gleichen Zeitraum auf sechs Nobel-Laureaten, darunter | |
auch der Literaturpreis. Die FuE-Quote (der Anteil des gesamten | |
Bruttoinlandsprodukts des Landes, der für Forschung und Entwicklung | |
ausgegeben wird) liegt nach OECD-Angaben in Israel bei 4,1 Prozent. | |
Deutschland stagniert bei 2,9 Prozent. | |
## Start-up-Firmen und Risikokapital | |
Die fünf Universitäten des Landes sind, neben einigen wenigen | |
außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die zentralen | |
Innovationsmaschinen des Landes. Beispiel Technion – das Israel Institute | |
of Technology, die technische Universität mit 14.000 Studierenden in der | |
Hafenstadt Haifa ist zugleich die älteste Universität des Landes. „Der | |
Einfluss des Technion auf die israelische Wirtschaft und Hochtechnologie | |
ist herausragend“, sagt Boaz Golani, der Vizepräsident für Forschung. | |
Mehr als 60 Start-up-Firmen wurden 2014 von Forschern und Absolventen | |
gegründet, die 72 Millionen Dollar an Risikokapital einwarben. Aus Patenten | |
und Lizenzen nahm die Uni im gleichen Jahr über 30 Millionen Dollar ein. In | |
der Summe bescherte das Technion der „Start-up-Nation Israel“ über 1.600 | |
neue Unternehmen mit heute rund 100.000 Beschäftigten. | |
„Unsere Wurzeln liegen sogar in Berlin“, bemerkt Golani mit Hinweis auf das | |
Engagement deutscher Techniker vor dem Ersten Weltkrieg im Rahmen der | |
damaligen zionistischen Bewegung. Ab 1948 wurde dann aber das | |
US-amerikanische MIT zum Vorbild genommen. „Damals wurden wir von einer | |
Lehrhochschule zu einer Forschungsuniversität umgebaut.“ In den letzten | |
Jahren wurde die alleinige Ausrichtung auf Fachdisziplinen aufgegeben. | |
„Seitdem haben wir interdisziplinäre Forschungszentren etwa die | |
Anwendungsbereiche Energie, Luft- und Raumfahrt oder Nanotechnologie | |
eingerichtet“, erklärt der Technion-Vize. | |
## Opulente Ausstattung | |
Auch für Daniel Zajfman ist „Wissenschaft der wichtigste Treibstoff für die | |
Wirtschaft“. Aber an seiner Einrichtung, dem Weizmann-Institut mit 4.000 | |
Beschäftigten in Rehovot, nahe Tel Aviv, ist die Forschung anders | |
organisiert: nicht direkt auf den Transfer in die Unternehmen, sondern | |
gebaut um die Kreativität einzelner Forscher. „Den Trend, den ich jetzt | |
überall sehe, direkt auf die Lösung von Problemen zur orientieren, ist in | |
unserem Bereich nicht der richtige Weg“, sagt der Teilchenphysiker Zajfman. | |
Die 250 Weizmann-Professoren erhalten mit ihrer Berufung eine opulente | |
Ausstattung um Forschungsthemen ihrer eigenen Wahl zu behandeln. „Diese | |
akademische Freiheit ist uns sehr wichtig“, betont der Chef der | |
Einrichtung, die es mit diesem Ansatz geschafft hat, zu den zehn besten | |
Forschungsinstituten der Welt aufzusteigen, nach neun | |
US-amerikanischenInstituten. | |
Zajfman hat lange Jahre als Forscher am Max-Planck-Institut für Kernphysik | |
in Heidelberg gearbeitet und stellt somit ein personelles Bindeglied der | |
deutsch-israelischen Wissenschaftskooperation dar. | |
Mit dem Vordringen in das Neuland der Erkenntnisse fallen, so die | |
Weizmann-Philosophie, im Nebeneffekt auch verwertbare Innovationen an, wie | |
etwa ein Medikament gegen Multiple Sklerose. Mit den Hightech-Produkten, | |
die über Weizmann-Entdeckungen entstanden sind, wurde laut | |
Institutsstatistik 2014 ein Umsatz von 29 Milliarden Dollar weltweit | |
erzielt. An einer anderen Schnittstelle, der zwischen Wissenschaft und | |
Politik, wird an weiteren Optimierungen gearbeitet. Die | |
Psychologieprofessorin Nurit Yermiya ist seit 2014 Chief Scientist im | |
Jerusalemer Wissenschaftsministerium und soll in dieser Funktion der | |
Politik Vorschläge unterbreiten, wie die Wissenschaft besser unterstützt | |
werden kann. | |
## Im Tal des Todes | |
„Wir haben gerade Empfehlungen zur alternden Bevölkerung und zum | |
sogenannten Tal des Todes in der Gründungsförderung abgegeben“, berichtete | |
Yermiya Ende letzten Jahres in einem Gespräch, das sie mit Vertretern der | |
deutschen Wissenschafts-Pressekonferenz (WPK) in der Hebrew-Universität in | |
Jerusalem führte. | |
Das „Death Valley“ erreichen Start-up-Firmen, wenn das Geld für ihr | |
Forschungsprojekt zu Ende ist, aber noch kein Risikokapital von | |
Wirtschaftsinvestoren bereit steht. Das ist auch in Israel ein Problem. Im | |
letzten Jahr war Yermiya im Zuge des deutsch-israelischen Jubiläums | |
allerdings viel auf Reisen, allein sechsmal in Deutschland, so etwa auf der | |
Wissenschaftskonferenz „Falling Walls“ in Berlin. | |
Dort wurde zudem die israelische Raketentechnikerin Shani Elitzur von der | |
Technion-Fakultät für Luftfahrt als beste Nachwuchsforscherin | |
ausgezeichnet. Die Wissenschaftsbeziehung zwischen Deutschland und Israel | |
werden erkennbar immer enger. | |
19 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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