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# taz.de -- Forschung für Frieden: Sesame – öffne dich!
> Ein internationales Forschungsprojekt versucht die Länder des Nahen
> Ostens zu vereinen. Es will politische Konflikte überbrücken.
Bild: Eine Vakuumkammer für das Sesame-Projekt wird am Cern für einen Test vo…
In einem abgelegenen Ort in Jordanien, nahe der Hauptstadt Amman und nicht
weit entfernt von der Grenze zu Syrien, erforscht ein internationales
Wissenschaftlerteam eine neue Lichtquelle. Die Forscherinnen und Forscher
kommen aus Israel, Palästina, Ägypten, Zypern, Iran, Jordanien, Pakistan,
Bahrain und der Türkei. Gemeinsam versuchen sie synchrotrones Licht so zu
bündeln, dass es zu einem nützlichen Instrument für die Medizin, die
Archäologie, die Chemie, die Nanowissenschaft oder die Gewinnung von
Sonnenenergie wird.
Die Geschichte klingt wie ein Science-Fiction – vor allem in Kriegszeiten
wie diesen. Dennoch ist sie real. „Es ist eine einzigartige Initiative.
Noch nie haben diese Länder an einem gemeinsamen Forschungsprojekt
gearbeitet. In diesem Sinne ist es auch ein Friedensprojekt“, erklärt Maria
Grazia Betti. Sie vertritt Italien im europäischen
Synchrotron-Forschungskomitee ESRF und ist Physik-Dozentin an der römischen
Universität La Sapienza, wo das Projekt mit dem Namen Sesame vorgestellt
wurde.
Italien ist eines der europäischen Länder, das die Einrichtung mit
Finanzmitteln und Forschungstransfer besonders unterstützt. Giorgio
Paolucci vom Triester Synchrotron-Laboratoriums Elettra ist
wissenschaftlicher Leiter des Projekts und Fernando Ferroni, Präsident des
Instituts für Kernphysik, einer seiner überzeugtesten Unterstützer. Sesame
war dank einer Initiative der Europäischen Organisation für Atomforschung
Cern ins Leben gerufen worden. Das Projekt startete 2008 mit der
Schirmherrschaft von 45 Nobelpreisträgern aus allen
Naturwissenschaftsdisziplinen.
Weitere Unterstützerländer sind Frankreich, Spanien, Brasilien, China,
Japan, Deutschland, Griechenland, Kuwait, Russland, Schweden, die Schweiz,
die USA und Großbritannien. Die Basis der Struktur in Jordanien stammt aus
Berlin. Dort wurde ein Teil des Beschleunigungsrings der älteren
Forschungseinrichtung Bessy abgebaut und in Amman neu montiert und
angepasst. „Jedes Land gibt einen anderen Input, seien es Finanzmittel,
Material oder Wissenstransfer“, sagt Betti.
Der Name Sesame steht für Synchrotron-light for Experimental Science and
Applications in the Middle East. Im Nahen Osten ist es das einzige
Laboratorium, das die Möglichkeiten des synchrotronen Lichts erforscht.
Weltweit gibt es rund 50 derartige Laboratorien in 23 Ländern. Sie
funktionieren alle nach dem gleichen Prinzip. Geladene Partikel, Elektronen
und Positronen, werden in einer kreisförmigen Bewegung beschleunigt, bis
sie annähernd Lichtgeschwindigkeit erreichen und elektromagnetische
Strahlungen aussenden, die synchrotrones Licht genannt werden.
## Praktische Anwendungen
Die ausgestrahlte Energie reicht von Infrarot- bis Röntgenstrahlen, die in
vielen Bereichen praktische Anwendung finden: bei der Produktion von
Mikrochips oder beim Studium von archäologischen Funden und menschlichem
Gewebe, beispielsweise bei der Mammografie und bei der Krebstherapie. In
Italien konnte eine antike Pergamentrolle mithilfe des synchrotronen Lichts
entziffert werden, ohne dass man sie öffnete und dem Risiko einer
Beschädigung aussetzte. Ein weiteres Werk der neuen Strahlentechnologie ist
die Restaurierung einer Orgel von Lorenzo da Pavia aus dem 15. Jahrhundert.
Unter den Synchrotron-Laboratorien kommt dem Projekt Sesame eine besondere
Bedeutung zu. Es wird unterstützt von der Unesco-Kampagne „Forschung für
den Frieden“. „Das Projekt soll eine wissenschaftliche Kooperation aufbauen
und ein besseres gegenseitiges Verständnis zwischen Menschen
unterschiedlichen Glaubens und aus unterschiedlichen politischen Systemen
schaffen“, erklärt Chris Llewellyn Smith, Direktor vom Energy Research,
Oxford University, und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rats von Sesame.
Zudem soll das Projekt einen Anreiz für junge Forscher aus dem Nahen Osten
schaffen, wieder in ihre Heimatregion zurückzukehren, wo die
Beschäftigungsmöglichkeiten immer weniger werden.
Zwei der Forscher von Sesame sind Engin Ozdas von der Hacettepe-Universität
in Ankara und die Iranerin Azadeh Shashavar von der Uni Kopenhagen. Für
Ozdas bedeutet das Projekt „persönliche Freundschaften zwischen den
Forschern, die politische Konflikte überbrücken“, für Shashavar „eine
Chance für den Nahen Osten, exzellente Wissenschaftler zusammenzubringen“.
Vor allem Llewellyn Smith hat keine Zweifel.
## Probleme gibt es genug
„Sesame ist die Realisierung eines Traums, der unrealisierbar erschien.
Natürlich überwindet die gemeinsame Forschungsarbeit nicht automatisch
politische Konflikte, aber es ist der Beginn eines Austauschs über
gemeinsame Interessen“, so der Engländer. Er erzählt, welche
Schwierigkeiten schon überwunden wurden – wie beispielsweise der Neubau des
Daches, das im Winter 2013 unter einer Schneedecke zusammengebrochen ist,
obwohl es in dieser Gegend nur äußerst selten schneit. Auch in Zukunft gibt
es noch genügend Probleme zu lösen.
Das Projekt bräuchte längerfristig gesicherte finanzielle Unterstützung.
Llewellyn Smith und sein internationales Team würden auch gern neue
Mitglieder aus den Golf- und den Maghrebstaaten gewinnen, die bislang nicht
an Sesame beteiligt sind. Ein Problem sind auch die Reiserestriktionen für
die Forscher, vor allem aus den Staaten des Nahen Ostens, die ein immer
größeres Hindernis für internationale Wissenschaftsprojekte darstellen.
Für die nächste Zukunft stehen der Bau eines Gästehauses und eines
Konferenzzentrums auf dem Plan. So könnten in dem Laboratorium auch
internationale Treffen zu anderen Themen wie Welternährung,
Wasserversorgung oder Archäologie stattfinden. „Dadurch könnten neue,
kleine Sesames entstehen“, hofft Llewellyn Smith. Aber das ist im Moment
wirklich noch Zukunftsmusik.
31 Jan 2016
## AUTOREN
Michaela Namuth
## TAGS
Teilchenbeschleuniger
CERN
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
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