# taz.de -- Straßenumbenennung in Hannover: NS-Wegbereiter weicht NS-Opfer | |
> In Hannover geht der Streit um die Hindenburgstraße zu Ende. Nach | |
> Beschluss des Bezirksrats Mitte soll die Straße bald Loebensteinstraße | |
> heißen. | |
Bild: Ermöglicher des Nationalsozialismus: Paul von Hindenburg mit Adolf Hitle… | |
HANNOVER taz | Im Jahr 2013 entschloss sich Hannover, neue Wege im Umgang | |
mit der deutschen NS-Vergangenheit zu gehen. Ein wissenschaftlicher Beirat | |
prüfte das Wirken von Namensgeber*innen öffentlicher Orte während der Zeit | |
des Nationalsozialismus. Expert*innen arbeiteten an der Erstellung eines | |
umfangreichen Berichts, der 2018 erschien. 17 Personen mit zweifelhafter | |
Vita wurden schließlich benannt. | |
Unter ihnen ist auch Paul von Hindenburg, 1915 zum Ehrenbürger der Stadt | |
Hannover gekürt, NS-Ermöglicher und konservativer Steigbügelhalter, der im | |
Zuge der so genannten Machtergreifung 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler | |
ernannte. Als Fazit hielt der Beirat fest: „Der Reichspräsident Hindenburg | |
hatte bei der Zerstörung der Republik und beim Ausbau der Diktatur unter | |
einem antisemitischen Regierungsprogramm die zentrale Rolle.“ Auch später | |
habe er die Maßnahmen mitgetragen, die am Ende die nationalsozialistische | |
Diktatur ermöglichten. | |
Im August 2018 stellte die SPD im Bezirksrat Mitte einen Antrag auf | |
Umbenennung der Hindenburgstraße. Diese wird von prunkvollen Villen aus der | |
Gründerzeit gesäumt, verläuft entlang des Stadtwaldes Eilenriede und ist | |
unter anderem die Adresse der Landeszentrale der CDU. Informationstafeln | |
zur historischen Einordnung sollen dort auch aufgestellt werden. | |
Die Grünen und die Linkspartei schlossen sich dem Antrag der SPD an. Die | |
FDP und die CDU wiederum positionierten sich bereits damals | |
öffentlichkeitswirksam dagegen, wünschten eine Anwohner*innenbefragung | |
und schlugen vor, statt der Umbenennung nur eine Tafel zur historischen | |
Einordnung anzubringen. Der Antrag zur Namensänderung wurde am 20. August | |
2018 beschlossen. | |
Am 14. September 2018 brachte die CDU an ihrer Landeszentrale ein Banner | |
mit einem riesigen Abdruck des Straßenschildes an, darauf die Aufschrift; | |
„#wirsindhindenburgstraße“. Die Bild-Zeitung sah „ein Stück Heimat“ f… | |
Anwohner*innen verloren. Fünf Anwohner gründeten die „Initiative | |
Hindenburgstraße“ und sammelten Unterschriften gegen die Umbenennung. Einer | |
der Initiatoren, Ludwig Meyer, sagte der Neuen Presse damals: „Geschichte | |
muss aufgearbeitet werden. Sie kann nicht einfach gelöscht werden, indem | |
man die Straßennamen auswechselt.“ | |
Die Gegner*innen holten ein Gutachten ein, das die historische Einschätzung | |
der Stadt widerlegen sollte. Darin drängen die Gutachter auf den Erhalt des | |
Namens und die Schaffung einer Infotafel. 298 der 500 Anwohner*innen sahen | |
das laut einer Umfrage der Stadt auch so. | |
Aber auch die Befürworter*innen der Umbennung wurden offenbar aktiv: Am 23. | |
September 2018 entfernten Unbekannte die Straßenschilder. | |
Dem Widerstand der Anwohner*innen zum Trotz ist nun, am 9. November 2020, | |
dem Jahrestag der antisemitischen Novemberpogrome, die Entscheidung über | |
einen neuen Namen gefallen. 247 Namensvorschläge waren eingegangen, eine | |
rot-rot-grüne Mehrheit beschloss: Loebensteinstraße soll sie nun heißen. | |
„Wo derzeit noch ein Politiker geehrt wird, welcher der faschistischen | |
Gewaltherrschaft erheblichen Vorschub geleistet hat, wird künftig eine | |
Erinnerung daran zu finden sein, wohin diese letztlich führte“, sagt | |
Linken-Politiker Dirk Machentanz zur Entscheidung. CDU und FDP | |
positionieren sich weiterhin gegen die Umbenennung. Und in sozialen | |
Netzwerken kochen erneut die Gemüter hoch. | |
Die neue Namensgeberin ist Lotte-Lore Loebenstein, die bis zu ihrer Flucht | |
vor den Nationalsozialisten 1937 in die Niederlande in der Hausnummer 34 | |
der Straße lebte. 1943 wurde sie mit ihrer Familie deportiert und im | |
Vernichtungslager Sobibór ermordet. Sie wurde nur 10 Jahre alt. Heute | |
erinnert lediglich ihr Name auf dem Shoah-Mahnmal am Opernplatz und ein | |
Stolperstein in Nijmegen an sie. Die liberale jüdische Gemeinde Hannover | |
wurde in den Prozess der Namensfindung eingebunden. | |
Aber nicht nur die Hindenburgstraße hat in Hannover einen problematischen | |
Namensgeber. Die Gruppe „Decolonize Hannover“ will die koloniale | |
Vergangenheit der Stadt sichtbar machen und deren Auswirkungen auf die | |
Gegenwart aufzeigen. Zahlreiche weitere Namen von öffentlichen Orten | |
sollten, laut der Gruppe, überdacht und aufgearbeitet werden. So ist | |
beispielsweise eine Schleuse in Hannover-Anderten ebenfalls nach Hindenburg | |
benannt. | |
Eine Aktivist*in der Initiative sagt: „Die Umbenennung einzelner Orte ist | |
aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Es muss immer auch Aufklärung | |
erfolgen.“ Der Prozess der Aufarbeitung dauere in zahlreichen Städten | |
etliche Jahre, manchmal würde bei Umbenennungen auch unbedacht gehandelt | |
wie vor Kurzem in Berlin geschehen. Aus Sicht der Initiative sollten | |
Betroffene an den Tisch geholt werden, um einen derartigen Fauxpas zu | |
vermeiden. | |
Nun steht eine erneute Befragung der Anwohner*innen im Verwaltungsprozess | |
an, diese ist jedoch nicht bindend für die weiteren Entscheidungen des | |
Bezirksrats. Im Frühjahr 2021 ist wohl mit einem Austausch der Schilder zu | |
rechnen. Dann steht an der prominenten Straße im Zooviertel nicht mehr der | |
Name eines NS-Ermöglichers, sondern eines Opfers der Schreckensherrschaft | |
der Nationalsozialisten. | |
18 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Michael Trammer | |
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