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# taz.de -- Namen für Bundeswehrkasernen: Der Hindenburg-Komplex
> Die größte Heereskaserne der Bundeswehr trägt noch immer den Namen des
> umstrittenen Reichspräsidenten. Die Bundesregierung verteidigt die
> Namensgebung.
Bild: Hitler begrüßt Hindenburg beim sogenannten Heldengedenktag im Februar 1…
Berlin taz | Taugt Paul von Hindenburg heute noch als Namenspatron für eine
Bundeswehrkaserne? Die rot-grün-gelbe Bundesregierung meint, das ließe sich
nach wie vor gut begründen – aufgrund seiner „Amtsführung als direkt
gewähltes Staatsoberhaupt der ersten deutschen parlamentarischen
Demokratie“ und seines „auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung
ausgerichtetes Handeln“. So steht es in einem Schreiben aus dem
Verteidigungsministerium an den Linken-Abgeordneten Jan Korte, das der taz
vorliegt.
Auch sonst sieht die Bundesregierung den ehemaligen Reichspräsidenten
überraschend positiv. Zwar sei Hindenburgs Rolle bei der Machtübernahme der
Nationalsozialisten 1933 „in der Geschichtswissenschaft umstritten“, heißt
es in dem Schreiben vage. Doch habe dieser sich „stets strikt an die
Verfassung gehalten und die auf Ausgleich mit den einstigen Kriegsgegnern
abzielende Locarno-Politik des Außenministers Gustav Stresemann
unterstützt“, führt sie zu seinen Gunsten an.
Korte, der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, hatte vom
Kanzleramt wissen wollen, wie die Bundesregierung dazu steht, die
Hindenburg-Kaserne in Munster umzubenennen. Das fordert nicht nur die
Linkspartei schon lange.
Bereits 2014 hatten sich rund 30 deutsche und internationale Historiker und
andere Gelehrte mit einem [1][Appell an die damalige
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen] gewandt und sie gebeten, die
Namensgebung mehrerer Kasernen zu überdenken. Als Beispiel für eine
zweifelhafte Benennung nannten sie explizit auch die Hindenburg-Kaserne in
Munster.
## Rechtsextreme Umtriebe
Doch passiert ist dort seither nicht viel. Dabei handelt es sich um eine
sehr prominente Kaserne: Munster ist, gemessen an der Zahl der Soldaten,
der größte Heeresstandort der Bundeswehr. Pikant: Die Kaserne liegt im
[2][Wahlkreis des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil].
Unter anderem werden dort derzeit ukrainische Soldaten im Umgang mit
deutschen Leopard-Panzern ausgebildet. Aus Munster stammten allerdings auch
jene rund 30 Soldaten, die im Juni 2021 aus Litauen abgezogen werden
mussten, nachdem Berichte über rechtsextreme und antisemitische Äußerungen
sowie Diskriminierung einer Soldatin publik wurden. Wie der Spiegel damals
berichtete, sollen die betroffenen Soldaten am 20. April 2021 ein
[3][Geburtstagsständchen auf Adolf Hitler angestimmt] haben.
Rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr waren der Grund, warum die
Namensgebung von Kasernen vor sechs Jahren auf die Agenda kam. 2017 wurde
der rechtsterroristische [4][Oberleutnant Franco A. festgenommen]. Es
stellte sich heraus, dass er sich als syrischer Flüchtling ausgegeben und
Anschläge geplant hatte – [5][im vergangenen Jahr wurde er dafür zu
fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt]. Als das Verteidigungsministerium nach
Franco A.s Festnahme seine und weitere Kasernen genauer unter die Lupe
nahm, stießen sie [6][an mehreren Standorten auf Wehrmachtsdevotionalien].
Die damalige Verteidigungsministerin [7][Ursula von der Leyen (CDU)
versprach daraufhin], alle Kasernen umzubenennen, die noch die Namen von
Wehrmachtsoffizieren tragen, um solchem Treiben ein Ende zu setzen. Über
Umbenennung dürfen die Soldaten vor Ort mitentscheiden, auch lokale
Politiker und Vereine reden mit – es ist [8][ein komplexer Prozess]. Die
zentrale Frage aber sei, „ob für die Angehörigen der Bundeswehr vor Ort der
Name sinnstiftend im Sinne des Traditionsverständnisses ist oder nicht“, so
das Verteidigungsministerium.
Der Umgang der Bundeswehr mit ihrer Vergangenheit wird im sogenannten
„Traditionserlass“ geregelt. Diesen ließ von der Leyen nach dem Skandal um
Franco A. überarbeiten. Im neuen [9][Traditionserlass von 2018] heißt es,
dieser nehme „erstmals“ die gesamte deutsche Militärgeschichte in den Blick
und ziehe klare Grenzen zur Wehrmacht. Denn Tradition und Identität der
Bundeswehr schlössen „jene Teile aus, die unvereinbar mit den Werten
unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind“.
## Widerstand von rechts
Mehrere Bundeswehrkasernen sind seitdem umbenannt worden, darunter die
Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover (seit 2018
[10][Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne]), die Schulz-Lutz-Kaserne in
Munster (seit 2019 Örtzetal-Kaserne), die Lent-Kaserne in Rotenburg (seit
2020 [11][Von-Düring-Kaserne]), die Feldwebel-Lilienthal-Kaserne in
Delmenhorst (seit 2021 [12][Delmetal-Kaserne]), die Marseille-Kaserne in
Pinneberg (seit 2021 [13][Jürgen-Schumann-Kaserne]) und die Mudra-Kaserne
in Wiesbaden (seit 2022 [14][Gereon-Kaserne]). Manche dieser Kasernen waren
bis dahin nach Angehörigen der Wehrmacht benannt, andere trugen Namen von
umstrittenen preußischen Generälen.
In manchen Fällen entschieden sich die Beteiligten aber auch gegen eine
Umbenennung. So behielten die [15][Rommel-Kasernen in Dornstadt
(Baden-Württemberg) und Augustdorf (Nordrhein-Westfalen)] und die
[16][Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne in Hagenow] (Mecklenburg-Vorpommern) ihren
Namen. Dort hatte die AfD gegen eine Umbenennung agitiert.
Auch Paul von Hindenburg, der im August 1934 im Alter von 86 Jahren starb,
ist eine höchst umstrittene historische Figur. Als Mitglied der Obersten
Heeresleitung verantworte er ab 1916 im Ersten Weltkrieg den
uneingeschränkten U-Boot-Krieg.
Nach Kriegsende verbreitete er die Dolchstoßlegende und ermöglichte später,
als zweiter und letzter frei gewählter Reichspräsident der Weimarer
Republik, den Nationalsozialisten aktiv den Weg zur Macht. 1933 ernannte er
Hitler zum Reichskanzler, löste den Reichstag auf und unterzeichnete die
Notverordnungen der Nazis, mit denen diese die Presse- und Meinungsfreiheit
einschränkten und die Grundrechte aufhoben.
## Nicht mehr Ehrenbürger
Der Handschlag von Hindenburg und Hitler am „Tag von Potsdam“ im März 1933
läutete symbolträchtig das Ende der Weimarer Republik ein. In seinem
Testament schrieb Hindenburg: „Mein Kanzler Adolf Hitler und seine Bewegung
haben zu dem großen Ziele, das deutsche Volk über alle Standes- und
Klassenunterschiede zur inneren Einheit zusammenzufassen, einen
entscheidenden Schritt von historischer Tragweite getan.“
Mehrere Städte haben Hindenburg in den vergangenen Jahren die
Ehrenbürgerschaft aberkannt, darunter Hamburg und Oldenburg, [17][Berlin],
Potsdam und Eisenach. Das von Boris Pistorius (SPD) geführte
Bundesverteidigungsministerium will jedoch bislang nicht von ihm ablassen.
Eine Sprecherin erklärte gegenüber der taz, die Debatte zur Umbenennung der
Kaserne in Munster sei noch nicht abgeschlossen. Das Vorschlagsrecht für
die Namensgebung einer Liegenschaft liege bei den Angehörigen der dort
stationierten Dienststellen.
Um die Diskussion zu versachlichen, habe die Bundeswehr ein
wissenschaftliches Gutachten zur Person Hindenburg in Auftrag gegeben, das
noch in Arbeit sei. „Nach derzeitiger Einschätzung“ werde er aber „unter
anderem mit der Stabilisierung der ersten Demokratie auf deutschem Boden in
Verbindung gebracht“. Gesichert sei, „dass er Hitler persönlich ablehnte
und lange Zeit versuchte, die Nationalsozialisten trotz anderslautendem
Wählervotums von einer Regierungsbeteiligung oder Regierungsübernahme
fernzuhalten.“
Jan Korte findet das „unfassbar“. Paul von Hindenburg könne „aus
demokratischer Sicht in keiner Weise traditions- oder sinnstiftend sein“,
sagt der Linken-Abgeordnete. Hindenburg sei einer der „maßgeblichen
Totengräber der Weimarer Republik“ und „einer der wichtigsten
Steigbügelhalter der Nationalsozialisten“ gewesen. „Die Kaserne in Munster
muss deshalb endlich umbenannt werden“. Es sei an der „Zeit, dass die
Bundesregierung ihre Traditionserlasse endlich selbst ernst nimmt“, so
Korte.
5 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/kasernen-umbenennung-historiker-…
[2] /SPD-Generalsekretaer-Klingbeil/!5789323
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ein-geburtstagsstaendchen-fuer-h…
[4] /Bundeswehrsoldat-festgenommen/!5405118
[5] /Prozess-gegen-Franco-A/!5865056
[6] /In-Bundeswehr-Kasernen/!5417134
[7] /Kasernen-der-Bundeswehr/!5427083
[8] /Bundeswehrkasernen-mit-Nazi-Namen/!5408111
[9] https://www.bmvg.de/de/aktuelles/der-neue-traditionserlass-23232
[10] /Umbennung-von-Bundeswehr-Kasernen/!5492622
[11] /Kaserne-wird-umbenannt/!5629854
[12] https://www.bundeswehr.de/de/organisation/streitkraeftebasis/aktuelles/umb…
[13] https://www.bundeswehr.de/de/organisation/luftwaffe/aktuelles/juergen-schu…
[14] https://www.bundeswehr.de/de/organisation/personal/aus-mudra-wird-gereon-k…
[15] https://www.dbwv.de/aktuelle-themen/blickpunkt/beitrag/kasernennamen-unter…
[16] https://www.nordkurier.de/regional/mecklenburg-vorpommern/kasernen-umbenen…
[17] /Ehrenbuergerwuerde-von-Hindenburg/!5656919
## AUTOREN
Daniel Bax
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