# taz.de -- Contra & Contra Altkanzler-Ehrung: Eine Straße für Helmut Schmidt? | |
> In Hannover streitet die SPD darüber, ob die Hindenburg-Straße in | |
> Helmut-Schmidt-Straße umbenannt werden sollte. Nein, finden zwei | |
> taz-Autoren. | |
Bild: Wo der Altkanzler noch verehrt wird: Helmut-Schmidt-Büste in der Berline… | |
Contra: Der Militarist | |
Einzig, dass Schmidt in der Wehrmacht Oberleutnant war, ist angesichts der | |
unzähligen Straßen, die nach tatsächlichen Kriegsverbrechern und | |
Kolonialisten benannt sind, nicht das Problem. Zumal es in Hannover um die | |
Umbenennung der Hindenburgstraße geht: Hindenburg – Kriegstreiber, | |
Verbreiter der Dolchstoßlegende und Reichspräsident, der Hitler zum Kanzler | |
machte – sollte in einer demokratischen Bundesrepublik nicht mit der | |
Benennung von Straßen und Plätzen gefeiert werden. Ihn durch Helmut Schmidt | |
zu ersetzen, ist allerdings genauso falsch. Das militärische Denken und | |
Handeln, ja dessen Glorifizierung, setzte sich mit Schmidt nach 1945 fort. | |
Zwar sprach er später nur vom „Scheißkrieg“, wenn es um die von der | |
Nazi-Diktatur angeführte Zerstörung Europas ging, aber die 2014 erschienene | |
Schmidt-Biografie von Sabine Pamperrien zeigt, dass Schmidts Haltung bis | |
1945 weniger eindeutig war: Seine Position gegenüber den Nazis war | |
zumindest ambivalent. | |
„Nationalsozialistische Haltung tadelfrei“ vermerkten die Vorgesetzten des | |
Oberleutnants Schmidt im September 1944. Sicher war er kein überzeugter | |
Nazi, wohl auch kein Täter. Indes: Im Nachhinein wollte er zwar nicht | |
Widerständler, aber doch „Gegner der Nazis“ gewesen sein. Das ist gegenüb… | |
den wirklichen Gegnern, die durch die Nazis und die Wehrmacht vielfach zu | |
Opfern wurden, zynisch. | |
Seine Militärzeit prägte Schmidt. Sein ungebrochener militärischer Duktus | |
von Tapferkeit, Pflichterfüllung und Standhaftigkeit machten ihn auch | |
rechts der SPD durchaus beliebt. Was um 1968 herum passierte, bezeichnete | |
er als „jugendliche Massenpsychose“. Die Argumente der Demonstrierenden | |
wollte er Zeit seines Lebens nicht ernst nehmen. | |
Von Willy Brandts „Mehr Demokratie wagen“ war ab Schmidts Kanzlerschaft | |
nichts mehr zu hören. „Quatsch“ und „Unsinn“ seien die Anliegen der | |
Friedensbewegung im Zuge des Nato-Doppelbeschlusses gewesen. Belegt hat er | |
seine Sicht immer mit dem Totschlagargument der „Vernunft“. Nicht mal, als | |
400.000 Menschen gegen die zusätzlichen Atomwaffen auf dem Gebiet der | |
Bundesrepublik auf die Straße gingen, wollte Schmidt seine KritikerInnen | |
ernst nehmen. | |
Der Kanzler kanzelte die Debatte ab. Es hätte ja der Regierungsfähigkeit | |
schaden können: „Je mehr direkte Entscheidungen durch das ganze Volk, um so | |
unregierbarer das Land“, war er sich sicher. Schmidt wollte regieren. Der | |
Diskurs über wichtige Themen in der Gesellschaft war ihm zuwider. Befehle | |
werden nicht hinterfragt, sondern erteilt und ausgeführt. Das war der Tenor | |
seiner Politik. | |
Bis zu Schmidts Kanzlerschaft hielt sich die Bundesrepublik mit | |
Waffenexporten weitgehend zurück. Das änderte sich unter ihm: „Angesichts | |
der Arbeitslosigkeit stehen wir unter Druck, und es mag sein, dass wir | |
unsere Politik ändern, um Dinge wie Panzer an den Iran und die Saudis zu | |
verkaufen“, erklärte Schmidt 1975 dem US-Präsidenten Gerald Ford. Dabei | |
galt für die Bundesrepublik bis dahin, dass Waffen höchstens in | |
Nato-Staaten exportiert werden, notorische Krisengebiete wie der Nahe Osten | |
sollten nicht beliefert werden. Zumal sich die arabischen Staaten in einem, | |
wie es damals hieß, „latenten Kriegszustand“ mit Israel befanden. Schmidt | |
waren die Bedenken egal. Es war der Grundstein dafür, dass die | |
Bundesrepublik heute ein führender Waffenexporteur ist. | |
Wenn also schon irgendetwas in Hannover nach Helmut Schmidt benannt werden | |
muss, warum dann nicht die dortige Kurt-Schumacher-Kaserne? Schumacher, | |
erster Vorsitzender der Nachkriegs-SPD, wurde, nachdem er im Ersten | |
Weltkrieg gekämpft hatte, überzeugter Pazifist. Dass nach Schumachers Tod | |
eine Kaserne nach ihm benannt wurde, dürfte sicher nicht in seinem | |
Interesse gewesen sein. Schmidt dagegen würde sich deshalb wohl kaum im | |
Grabe umdrehen. | |
[1][ ANDRÉ ZUSCHLAG ] | |
## Contra: Der Fortschrittsverhinderer | |
Die SPD war noch nie gut darin, sich gegen autoritäre Pöbeleien von | |
Ex-Kanzlern durchzusetzen, selbst wenn sie Gerhard Schröder heißen. | |
Dabei lagen die Genossen um den Hannoverschen | |
SPD-Bezirksbürgermeister Lothar Pollähme mit ihren Zweifeln, wegen | |
derer sie von Schröder abgewatscht wurden, völlig richtig: In | |
Hannover eine Straße nach Helmut Schmidt zu benennen, ist | |
problematisch, ja falsch. Und zwar weniger, weil man sich dann statt | |
in Niedersachsens Hauptstadt in der Freien und Helmut-Schmidt-Stadt | |
Hamburg wähnen könnte, wo schon jeder zweite Pisspott nach dem | |
Ex-Wehrmachtsoffizier heißt. Auch diese nazisoldatische | |
Vergangenheit ist kein Ausschlussgrund: Es gibt so viele Straßen, die | |
nach echten Kriegsverbrechern und kolonialistischen | |
Völkermördern heißen, da macht des Ex-Kanzlers Militarismus auch | |
den Sumpf nicht nass. | |
Wirklich schlimm ist Schmidt aus anderen Gründen, und zumal das | |
70er-Jahre-verbaute Hannover und die Sozialdemokratische | |
Partei Deutschlands hätten alle Ursache, ihm Gram zu sein: Er hat den | |
historischen Moment versäumt, die Bundesrepublik zu einer | |
ökologischen Ökonomie und die SPD in eine umweltbewusste Partei | |
zu transformieren. Er hat den historischen Moment versäumt, die | |
Welt zu retten. | |
Dabei waren alle nötigen Daten fürs Umdenken schon zu Beginn seiner | |
Kanzlerschaft vorhanden, alle gesellschaftlichen Impulse zu | |
spüren. Doch während noch sein Vorgänger Willy Brandt von einem blauen | |
Himmel überm Ruhrgebiet träumte, hielt Schmidt alle, die derartige | |
Visionen hatten, für geistesgestört – und schickte sie zum Arzt. | |
Hätte die große Industrienation Westdeutschland damals Mut | |
gehabt, eine Pionierfunktion einzunehmen, aufgrund der | |
Empfehlungen des Club of Rome – dann hätte dieses Land einmal eine | |
weltpolitisch gute Rolle gespielt! Das hätte funktionieren können! | |
Schmidt aber übernahm die Herrschaft und setzte auf qualmende | |
Schlote, schließlich rauchte er ja selbst auch. | |
Und während der damalige schwedische Ministerpräsident Olof | |
Palme wenigstens den Klimaschutz als notwendiges | |
umweltpolitisches Ziel für eine Sozialdemokratie an der | |
Schwelle zum 21. Jahrhunderts erkannte und sich aus diesem Grund für | |
den Irrweg der Kernenergie entschied, propagierte Schmidt die | |
Atomkraft, weil ihn umtrieb, dass in seinem Sommerhaus am Brahmsee | |
die Stromlieferung für die Nachtspeicherheizung „für das | |
Winterhalbjahr gesperrt“ werde: Dafür, dass solche kleinlichen | |
Befürchtungen ein wichtiger Antrieb waren, spricht auch, dass er den | |
Nuklear-SkeptikerInnen immer ihre vermeintlich unbegründete und | |
übertriebene Angst vorwarf. Und dass sein am häufigsten | |
wiederkehrendes Pro-Atom-Argument ein Sicherheitsargument ist: | |
Aus seinen Reden geht hervor, dass Schmidt dem Glauben anhing, man | |
könne mit Kernkraft Energie-Autarkie herstellen. Ganz realisiert, | |
dass Uran genau wie Erdöl importiert wird, hat er wohl nie. | |
Helmut Schmidt war nicht weitsichtiger als der verbrettertste | |
Verwaltungsbeamte. Dass er zugleich ein taktisches Geschick an den | |
Tag legte, macht den Schaden eher größer. Als er merkte, dass eine große | |
Wählerschaft sich für Natur und derartigen Tünnkram | |
interessierte, ließ er seine Frau vorreiten, die den | |
VerbraucherInnen die Schuld am Artensterben suggerierte: Man | |
solle die Blumen am Wegesrand stehen lassen, statt sie zu pflücken, | |
dann werde es schon wieder, das war die Wohltätigkeits-Aktion der | |
Gattin des Kanzlers. Tolles Konzept. | |
Ohne Betongeist Schmidt hätte es die Grünenpartei nie gegeben, die | |
damals der SPD deren politisch-kreativen Nachwuchs fast vollständig | |
entzog: Diese Schwächung hat Helmut Kohl groß und zu Schmidts | |
Nachfolger gemacht, die SPD in den Abstiegsstrudel geführt. Wenn man | |
also eine Straße nach Schmidt benennen muss – wirklich wollen kann das | |
ja niemand –, dann sollte es eine sein, die zu ihm und seinem Wirken | |
passt: Eine fehlgeplante Schmalspur-Teerpiste, die in einem | |
Industriegebiet entspringt und deren totes Ende in einem Nichts endet, | |
einer versiegelten Brache, deren Betondecke schon rissig wird. | |
[2][BENNO SCHIRRMEISTER] | |
9 Jun 2016 | |
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## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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