# taz.de -- Ehrenbürgerwürde von Hindenburg: In Berlin nicht mehr unbesiegt | |
> Rot-Rot-Grün wird Hindenburg die Ehrenbürgerwürde aberkennen. Mit | |
> erschreckenden Argumenten wollten CDU und FDP das verhindern. | |
Bild: Seit' an Seit': Hitler und Hindenburg 1933 in Tannenberg | |
Berlin taz | Es ist sicherlich nicht falsch, einen Text über Paul von | |
Hindenburg mit der CDU zu beginnen. Hindenburg war einer jener deutschen | |
Militärs, die ganz gerne Krieg um des Krieges willen führten, die | |
Demokratie verachteten, die berüchtigte Dolchstoßlegende mitkonstruierten | |
und schließlich aktiv den Nazis bei der Machtergreifung halfen. | |
Letzteres ist auch der Grund, warum der Generalfeldmarschall Berliner | |
Ehrenbürger ist. Bis heute. Die CDU im Generellen wiederum zeigt ebenfalls | |
Tendenzen, die Zusammenarbeit mit der teilfaschistischen AfD zu | |
intensivieren. Nicht nur, wenn es um Hindenburg geht. Da haben wir sie | |
wieder, die deutschen Kontinuitäten. | |
Am 30. Januar jährt sich die Machtergreifung der Nationalsozialisten. 87 | |
Jahre danach will das Berliner Abgeordnetenhaus den Senat auffordern, | |
Hindenburg die Ehrenbürgerwürde endlich abzuerkennen. Die Entscheidung ist | |
spruchreif, die Debatten dazu wurden im November und Dezember im Parlament | |
geführt. | |
Die Begründung der Koalition für die Entehrung: Hindenburg habe | |
entscheidend dazu beigetragen, Hitler an die Macht zu bringen und damit | |
eine autoritäre, antidemokratische Regierung ganz in dessen Sinne. | |
Bei der Union hingegen (und der FDP, ganz zu schweigen von der AfD) wird | |
für den „Held von Tannenberg“ lautstark getrommelt. „Es wird sich auch d… | |
eine oder andere journalistische Hofschranze finden, die das hochjubeln | |
wird. Keine Frage!“, erklärte Robbin Juhnke, immerhin kulturpolitischer | |
Sprecher der CDU-Fraktion, in seiner Rede zum Thema im Parlament. Da zeigt | |
sich das Niveau der Debatte auf konservativer Seite. | |
## „Mit dickem Radiergummi“ | |
Seit 20 Jahren bemühen sich Grüne und Linke um die Aberkennung der | |
Ehrenbürgerwürde Hindenburgs. 2002 brachten die Grünen einen Antrag dazu | |
ins Abgeordnetenhaus ein; er wurde genauso abgelehnt wie jener der Linken | |
aus dem Jahr 2014. Damals übrigens mit den Stimmen der SPD. Deren | |
Abgeordneter Alex Lubawinski führte ins Feld: „Ich halte nichts davon, dank | |
der Gnade der späten Geburt mit einem dicken Radiergummi durch Deutschland | |
zu gehen und alle Namen zu löschen, die nicht mehr in unser Weltbild | |
passen. Das ist geschichtsvergessen.“ | |
Und, mag man hinzufügen, genau die Art und Weise, wie heute noch Union, FDP | |
und die AfD argumentieren: „Es geht hier wieder einmal um den festen Willen | |
zur Revision von Geschichte“, sagte Juhnke im November 2019 in Richtung von | |
Rot-Rot-Grün. Denn Hindenburg sei der „Skalp für Ihre ideologische | |
Trophäenwand“. „Machen Sie die Ehrenbürgerliste nicht zum Kampfinstrument | |
der politischen Korrektheit“, forderte Stefan Förster für die FDP. | |
Inzwischen hat es auch die SPD geschafft, sich von Hindenburg zu | |
distanzieren. Auf ihrem Parteitag im Herbst 2018 hatte sie beschlossen, ihm | |
die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen und sogar die [1][„Straßenbenennungen | |
kritisch zu prüfen“]. Und auch in der Fraktion sei die Mehrheit für den | |
gemeinsamen Antrag der Koalition breit gewesen, berichtet die Abgeordnete | |
und Historikerin Susanne Kitschun. Im Jahr 2014 sei der Forschungsstand | |
noch ein anderer gewesen. | |
Laut Kitschun hat sich die SPD „geschichtspolitisch weiterentwickelt“. So | |
habe sich die Partei lange mit der Einordnung der Revolution in Deutschland | |
1918/19 schwergetan. Die jüngste Beschäftigung damit zum 100. Jahrestag | |
habe auch die Rolle von Hindenburg in jener Zeit deutlicher werden lassen. | |
„Es ist jetzt klar: Bei Hindenburg ist eine Grenze überschritten.“ Er kön… | |
nicht länger Ehrenbürger Berlins bleiben, da ein starker NS-Bezug bestehe. | |
Hindenburg kam kurz nach der Machtübernahme der Nazis am 20. April 1933 – | |
dem Geburtstag Adolf Hitlers – zu dieser Ehre, gemeinsam mit dem „Führer“ | |
und auf Vorschlag der NSDAP-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung. | |
Und zwar, um deren „Verdienste um die nationale Wiedergeburt der Stadt | |
Berlin“ zu würdigen. | |
Das Ehrenbürgerrecht – immerhin die bedeutendste Auszeichnung Berlins – | |
kann der Senat Deutschen wie Ausländern verleihen, die sich „in | |
hervorragender Weise um Berlin verdient gemacht“ haben, wie das | |
Abgeordnetenhaus [2][auf seiner Webseite] erläutert. Sie erhalten eine | |
Reihe von Vergünstigungen, darunter das Recht auf ein Ehrengrab, und sie | |
dürfen auch einen Künstler auswählen, der auf Kosten des Landes Berlin ein | |
Bild von ihnen malt. | |
Adolf Hitler wurde die Berliner Ehrenbürgerschaft bereits im Dezember 1948 | |
aberkannt, zeitgleich mit Joseph Goebbels, Hermann Göring und Wilhelm | |
Frick. Hindenburg nicht. „Da hat sich einfach niemand drum gekümmert“, sagt | |
die grüne Abgeordnete June Tomiak. | |
In vielen Städten [3][war das anders]: Halle, Leipzig und Köln etwa | |
beschlossen die Aberkennung der dortigen Ehrenbürgerwürde schon vor 30 | |
Jahren, in Stuttgart im Jahr 2010. In Hamburg hingegen haben sich 2013 SPD, | |
Linke, Grüne und FDP nach langer Debatte gegen eine Aberkennung | |
entschieden; stattdessen soll fortan besser über die jeweiligen | |
Persönlichkeiten informiert werden. | |
In Berlin ist dies keine Option. „Die Aberkennung ist eine Entscheidung mit | |
Symbolcharakter“, sagte Regine Kittler (Linkspartei) der taz. Auch heute | |
gehe es wieder um den Schutz der Demokratie gegen erstarkte rechte Parteien | |
und Nationalisten. Und: Man könne die Bewertung historischer Personen nicht | |
abkoppeln von deren aktueller Bedeutung – ein Argument gegen die These, | |
dass Hindenburg 1948 offenbar noch als verdienstvoller Mensch angesehen | |
wurde und man das doch nicht im Nachhinein korrigieren sollte. | |
Allerdings zeigt laut Kittler die Hindenburg-Debatte, dass der | |
antifaschistische Grundkonsens im Parlament brüchiger sei als gedacht. So | |
hatten sich zum Beispiel vor dem letzten Wahlkampf alle Fraktionen im | |
„Berliner Konsens“ verpflichtet, zu eigenen Veranstaltungen keine Vertreter | |
der AfD einzuladen; auch gab es gemeinsame Initiativen gegen | |
Antisemitismus. | |
Nun sagt die Linken-Abgeordnete: „CDU und FDP verharmlosen die Geschichte. | |
Das halte ich für sehr gefährlich.“ Hindenburg habe die Dolchstoßlegende | |
mit erfunden, er hat das Ermächtigungsgesetz unterzeichnet. Ihn jetzt als | |
Kämpfer gegen Hitler darzustellen, etwa weil er 1932 auch der Kandidat der | |
SPD für das Reichspräsidentenamt war, sei nicht weit weg von der Position | |
der AfD. „Es ist ein Irrtum der Parteien rechts von der SPD, dass sie gegen | |
die Rechtspopulisten erfolgreich sein können, wenn sie ebenfalls nach | |
rechts rücken.“ | |
## Aufklärung ist nötig | |
Die „flachen“ Argumente der Opposition in der Debatte hätten sie zwar | |
schockiert, sagt die Grüne June Tomiak, aber nicht überrascht. „Da nehmen | |
sich CDU und FDP nichts.“ Es zeige sich dabei allerdings, welche | |
Aufklärungsarbeit in Deutschland noch nötig sei. | |
Tomiak hofft, dass der Beschluss des Abgeordnetenhauses auch zu einer | |
Debatte in den Bezirken führt, ob diese auch Straßen umbenennen sollten, | |
allen voran den Hindenburgdamm in Steglitz-Zehlendorf. Die Straßenschilder | |
lediglich mit einem Zusatz zur Person zu versehen, sei nicht ausreichend, | |
betont Kittler. „Was soll da draufstehen: Er war ein Kriegstreiber? Dann | |
fragt man sich doch, warum er überhaupt einen Straßennamen bekommen hat.“ | |
Es gebe genug andere Möglichkeiten, über Hindenburg aufzuklären, nicht nur | |
im Geschichtsunterricht. | |
Kittler hofft zudem, dass die Debatte um Hindenburg nur ein Auftakt ist, | |
die Liste der – einschließlich Hindenburg – 116 Ehrenbürgerinnen und | |
Ehrenbürger genauer zu überprüfen, gerade auch im Hinblick auf die Debatte | |
um Postkolonialismus. Ähnlich sieht das Susanne Kitschun. „Ich denke, wir | |
müssen viele von ihnen deutlicher kommentieren.“ | |
Eines ihrer Lieblingsbeispiele: der Generalfeldmarschall Friedrich Heinrich | |
Ernst Graf von Wrangel. Er wurde 1850 zum 29. Ehrenbürger gemacht, nachdem | |
er „1848 die revolutionäre Bewegung in Berlin niedergeschlagen und die | |
Autorität des Königs wieder hergestellt“ hatte, wie es auf der Webseite des | |
Parlaments offiziell heißt. | |
Ein Reaktionär, ein Kämpfer gegen die demokratische Bewegung und die | |
Pressefreiheit als Ehrenbürger einer Stadt, die zuletzt immer wieder den | |
Begriff „Freiheit“ in ihrer Eigenwerbung genutzt hat? | |
Das kann eigentlich auch nicht sein. | |
30 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://parteitag.spd-berlin.de/cvtx_antrag/hindenburg-von-der-ehrenbuergerl… | |
[2] http://www.parlament-berlin.de/de/Das-Haus/Berliner-Ehrenbuerger | |
[3] /Streit-ueber-Strassen-Umbenennung/!5073529 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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