# taz.de -- Straßenumbenennungen in Bayern: Aufstand der Hindenburg-Fans | |
> Was tun mit Straßen, die nach dem Hitler-Wegbereiter Hindenburg benannt | |
> sind? Mehrere bayerische Orte tun sich schwer, sie umzubenennen. | |
Bild: Nicht nur in Bayern ein Problem: „Hindenburgstraße“ in Darmstadt. | |
MÜNCHEN taz | Das Schicksal Hindenburgs hing letztlich an einer einzigen | |
Schraube. Und die ließ sich herausdrehen. Es war der 1. Juli 2014. Der | |
Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner und zwei Helfer machten sich an | |
der Klostermauer des Dörfchens Dietramszell, 40 Kilometer südlich von | |
München, zu schaffen – und entfernten eine massive bronzene Büste. | |
Für Kastner war es eine Anregung zum Nachdenken: 1939 hatte der Bildhauer | |
und glühende Nationalsozialist Josef Thorak die Büste geschaffen. Sie zeigt | |
das bullige Gesicht des ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. | |
Die Büste im faschistischen Realismus bringt den gegenwärtigen | |
Forschungsstand zur Rolle des preußischen Generalfeldmarschalls auf den | |
Punkt: Seit der monumentalen Biografie des Stuttgarter Historikers Wolfram | |
Pyta 2007 besteht kein Zweifel mehr daran, dass Hindenburg nicht etwa ein | |
greiser Spielball agitierender Landjunker war, sondern aktiver Wegbereiter | |
Hitlers: als militärisches Idol im Ersten Weltkrieg, als zutiefst | |
antidemokratischer Politiker in der Weimarer Republik und Mitverbreiter der | |
„Dolchstoßlegende“ und als rücksichtsloser Machtstratege, der in Adolf | |
Hitler einen würdigen Treuhänder für sein politisches Vorhaben einer | |
„Volksgemeinschaft“ sah. | |
Seit einigen Jahren wird daher in zahlreichen Gemeinden Deutschlands über | |
die Umbenennung ihrer Hindenburgstraßen diskutiert – zuletzt im Juni in Bad | |
Oldesloe. Drei Beispiele aus Bayern zeigen sehr unterschiedliche Wege der | |
Auseinandersetzung mit einer historischen Altlast. | |
## Angst vor der Blamage | |
Wie hartnäckig BürgerInnen an ihrer Hindenburgstraße festhalten können, | |
bekam der Gemeinderat von Garmisch-Partenkirchen zu spüren. Dieser nahm die | |
neuen historischen Deutungen zum Anlass, die Hindenburgstraße umzubenennen | |
– der Beschluss ging durch den Rat. Doch dann machte die Bürgerinitiative | |
„Pro Hindenburg“ mobil – mit einer Mischung aus dem Unmut der Anwohner | |
darüber, beim Amt die Adresse ändern zu müssen, und einem historischen | |
Unverständnis, das auf dem überkommenen Hindenburg-Bild beruhte. Die | |
Initiatoren sorgten mit einem triumphalen Ergebnis bei einem Volksbegehren | |
im April 2013 für die Revision der Entscheidung. | |
Aus diesem Dilemma konservativer BürgerInnenbeteiligung scheinen die | |
Politiker im kleinen Bad Tölz mit seinen rund 18.000 Einwohnern gelernt zu | |
haben. Ihr Weg ist elegant. Doch auch hier brauchte es Zeit. | |
Die Kurstadt widmete Hindenburg einst eine prächtige Allee und verlieh ihm | |
bei einem Kurzbesuch 1926 die Ehrenbürgerwürde. Das stets auf hohes | |
nationales Ansehen bedachte Jodheilbad ließ keine Gelegenheit aus, sich mit | |
den jeweiligen Trends der Zeit zu schmücken. So rühmte sich Tölz auch | |
während der NS-Zeit 1935 auf Berliner Plakatwänden, der erste judenfreie | |
Kurort im Reich zu sein. Aus der Weimarer Zeit ist bis heute die | |
Hindenburgstraße übrig geblieben. Einrichtungen wie das Gymnasium, das | |
Jugendcafé und die städtische Bibliothek tragen den Namen in ihrer | |
Adresszeile. | |
Im 50 Kilometer entfernten Garmisch-Partenkirchen war die Debatte über | |
Hindenburg bereits im Gange, die Lokalzeitung Tölzer Kurier brachte sie | |
nach Tölz: Zunächst einmal ging es im Stadtrat im Juni 2013 darum, | |
Hindenburg die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. Die Politiker schlitterten an | |
einer Blamage vorbei – und entzogen nach einer langen Debatte Hindenburg | |
mit nur einer Stimme Mehrheit die Ehrenbürgerschaft. | |
## Neun Stelen an der Straße | |
Gegner argumentierten vor allem damit, mit dem Revidieren der damaligen | |
Entscheidung die damals regierenden Stadtväter zu entehren. Dies und das | |
Umbenennungsdebakel von Garmisch brachten auch die SPD-Opposition | |
schließlich von der Idee ab, die Tölzer Hindenburgstraße umzubenennen. Der | |
Bürgermeister Josef Janker von der CSU unterstützte stattdessen den | |
Vorschlag, ein „begehbares Mahnmal“ zu schaffen. | |
Hierfür votierte der Stadtrat einstimmig. Eine Projektgruppe aus | |
Journalisten, Publizisten, Historikern und einer Lehrerin des örtlichen | |
Gymnasiums erarbeitete die Texte für einen kritischen Informationsweg, der | |
sich seit April dieses Jahres auf neun massiven Stelen über die Länge der | |
Hindenburgstraße zieht. Der Historiker Pyta, eigens aus Stuttgart | |
angereist, zeigte sich bei der Eröffnung beeindruckt: Bad Tölz sei einen | |
„avantgardistischen“ Weg gegangen. Die Kommission geschichtsinteressierter | |
BürgerInnen, darunter auch zwei Historiker, hat damit deutschlandweit ein | |
Exempel statuiert. | |
Weder nennenswerte Kritik noch Schmierereien an den Stelen habe es bisher | |
gegeben, freut sich Christof Botzenhart, Dritter Bürgermeister und Mitglied | |
der Projektgruppe. Stattdessen sieht man immer wieder AnwohnerInnen stehen, | |
die sich dort informieren. Und die froh seien, dass sie ihre Adresse nicht | |
ändern müssten. | |
## Morddrohung gegen Hindenburg-Entferner? | |
Solche Informationen für die Passanten fehlen in Dietramszell, etwa zehn | |
Kilometer entfernt von Bad Tölz. Die Hindenburg-Büste allerdings hängt | |
nicht mehr an der Klostermauer. Nach der Abhängung legte sie der Künstler | |
Kastner mit einem Hakenkreuzzwickel an dem Anwesen der Adelsfamilie von | |
Schilcher ab, deren Vorfahren den Reichspräsidenten regelmäßig zu | |
Jagdausflügen einluden. Seitdem, heißt es, sei die Büste an einem sicheren | |
Ort verwahrt – wohl auf dem Anwesen. | |
Kastner wusste, was seine Aktion im Dorf darstellen würde: einen mächtigen | |
Affront, auch wenn sich ihm während des Entfernens der Büste am hellichten | |
Tag niemand entgegengestellt habe, erinnert sich der Künstler. Doch die | |
Rache im Dorf hat er nicht erwartet: Auf der traditionellen Bettelhochzeit | |
am Faschingsdienstag hing an einem Galgen eine Puppe, darüber ein Schild: | |
„Aktionskünstler“. Wolfram Kastner erstattete daraufhin Strafanzeige gegen | |
unbekannt. War es eine Morddrohung oder nur ein ländlich-derber Scherz? Auf | |
jeden Fall schweigt das ganze Dorf beharrlich dazu, wer die Puppe an den | |
Galgen hängte. Im April wurde das Verfahren eingestellt. | |
Kastner ist enttäuscht. „Ich frage mich, was los wäre, wenn eine | |
Schäuble-Puppe auf dem Kölner Karneval an den Galgen gehängt würde.“ Die | |
parteilose Bürgermeisterin des Dorfes, Leni Gröbmaier, hat die Galgenaktion | |
zwar als „verzichtbar“ bezeichnet, sich aber klar gegen Kastner | |
positioniert. Im April verkündete sie die Einrichtung eines Arbeitskreises, | |
der eine historische Erläuterungstafel neben der Büste erarbeitet. Noch | |
aber hängt sie nicht wieder am Kloster. | |
Wie es weitergeht mit dem Hindenburg-Kopf, ist fraglich. Angeblich gehört | |
die Büste dem Kloster. Die Erzdiözese München hat sich noch nicht | |
öffentlich dazu geäußert. | |
30 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Tobias Krone | |
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