Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Historische Berlin-Krimis: "Die Hitler-Grüßerei ist Unfug"
> Der Autor der Gereon-Rath-Krimis, Volker Kutscher, spricht für seinen
> Hauptprotagonisten. Der ist seit 1929 ein eigenwilliger Ermittler der
> Mordkommission.
Bild: Autor Volker Kutscher bei einer Lesung.
taz: Herr Rath, ich habe mal in die Zeitungen geguckt, um zu wissen, was
gerade so los ist in Berlin und der Welt. In der „Vossischen“ von Freitag,
25. Mai 33, stand, dass am Hackeschen Markt ein Kokainhändler festgenommen
wurde. Er hatte 200 Gramm dabei – die sich als Mottenpulver entpuppten.
Gereon Rath: Ja, das mit dem Kokain ist eine schlimme Sache, diese Droge
breitet sich in der Stadt immer mehr aus …
Herr Rath, Sie können offen reden, wir werden das Interview erst posthum
veröffentlichen.
Ja, wenn das so ist, dann kann ich es ja erzählen. Wie soll ich sagen: Man
kommt ja rum in der Stadt, da kommt man natürlich auch mit Kokain in
Berührung. Und ich muss gestehen, ich habe es auch schon mal probiert. Ist
ein angenehmes Gefühl. Ich weiß, es ist Teufelszeug, und ich als Polizist
sollte alles tun, um die weitere Verbreitung zu stoppen …
Aber?
Ach, wissen Sie … ich bin auch nur ein Mensch.
In einer anderen Meldung aus derselben Zeitung heißt es: In Karlsruhe wurde
ein Bankangestellter wegen groben Unfugs verurteilt, weil er sich beim
Singen des Horst-Wessel-Liedes geweigert hat, den Arm zum Hitler-Gruß zu
heben.
Ich hoffe, Sie stehen nicht mit der Staatspolizei in Kontakt.
Nein!
Und sind keiner von diesen gleichgeschalteten Schreiberlingen. Also, wenn
ich offen reden darf: Ich halte diese ganze Hitler-Grüßerei für totalen
Unfug. Das breitet sich immer mehr aus in unserer Behörde. Es gibt zwar
keine entsprechende Dienstvorschrift, aber immer mehr Vorgesetzte sind
Nazis …
… zum Beispiel der neue Polizeipräsident!
Genau. Eine richtige Unsitte ist es, wenn die SA durch die Stadt zieht,
harmlose Passanten mit dem Hitler-Gruß provoziert und gewalttätig wird,
wenn dieser nicht erwidert wird.
Sie selbst wurden nach dem Reichstagsbrand von der Mordkommission zur
politischen Polizei abkommandiert, zur Kommunistenhatz.
Kommunistenhatz ist ja wohl das falsche Wort. Ich habe Kommunisten
vernommen, die verdächtigt wurden, den Reichstag angesteckt zu haben. Keine
Arbeit, die ich gemocht habe, aber Dienst ist Dienst. Die politische
Polizei, das ist Gesinnungsschnüffelei, das mag ich nicht. Aber natürlich
gibt es Dienstverpflichtungen, denen auch ich mich nicht widersetzen kann.
Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie sich aus allem Politischen so
weit wie möglich raushalten.
Meine Arbeit ist es, Verbrechen zu bekämpfen und aufzuklären. Das hat mit
Politik nichts zu tun.
Sie selbst nutzen die Politik, wenn es Ihnen in den Kram passt. So konnten
Sie Ihren alten Fall wieder aufnehmen und zurück zur Mordkommission, als
Sie dem Polizeipräsidenten klarmachen konnten, dass der Hauptverdächtige in
diesem Fall ein Jude ist.
Aber das hab ich dem Polizeipräsidenten doch nicht auf die Nase gebunden!
Aber als sich herausstellte, dass hinter einer Mordserie ein jüdischer
Hauptmann steckt, hat dies das Interesse des Polizeipräsidenten befeuert.
Was Ihnen nicht ungelegen kam? Sie haben das nicht unter der Decke
gehalten, dass der Verdächtigte Jude ist.
Nein, man muss die Dinge ja auch beim Namen nennen.
Kommen wir zu Ihrer Geschichte: Sie sind 1929 von Köln nach Berlin
gegangen, warum?
Ich habe neue Herausforderungen gesucht. In keiner anderen Stadt ist die
Mordinspektion so gut organisiert, sie arbeitet nach den neuesten
wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Sie kooperieren zum Beispiel mit der Gerichtsmedizin in der Charité.
Wir haben in Berlin die weltbesten Mediziner.
Hatten!
Nun ja, Doktor Schwartz ist vor Kurzem leider ausgeschieden …
… ausgeschieden worden! Weil er Jude ist!
Unter uns, Sie veröffentlichen das hier ja erst nach meinem Tod: Dieser
antisemitische Unfug, den die neue Regierung da betreibt, wem ist damit
gedient? Einen so fähigen Mann aus dem Amt zu ekeln, das ist doch ein
Unding. Ich hoffe, dass Reichspräsident Hindenburg nicht mehr allzu lange
wartet und diesen Herrn Hitler in die Wüste schickt.
Glauben Sie tatsächlich, dass der braune Spuk in wenigen Wochen vorbei sein
wird?
Hindenburg muss doch merken, dass das so nicht weitergehen kann. Wenn Herr
Hitler es nicht schafft, seine SA-Horden unter Kontrolle zu bringen, dann
seh ich keine Zukunft für diese Regierung.
Es gibt Leute, die halten Sie deshalb für etwas naiv. Selbst Ihre Freundin
…
… meine Frau!
Entschuldigung, Sie haben ja gerade geheiratet. Jedenfalls steht Ihre
Ehefrau den Nationalsozialisten wesentlich skeptischer gegenüber. Sie hat
jetzt sogar den Polizeidienst verlassen, weil sie mit der neuen politischen
Ausrichtung nicht mehr klarkam.
Ja, aber sie will immer noch arbeiten, auch nach der Hochzeit, was ich
nicht so ganz verstehe.
Muss Ihrer Meinung nach auch in einer modernen Großstadt wie Berlin der
Mann der Herr im Haus sein?
Wieso muss? Der Mann ist der Herr im Haus! Gleichwohl sollte man seiner
Frau auch etwas Freiraum lassen. Charly ist eine besondere Frau. Ich
schätze ihre Eigenständigkeit und ihren starken Willen. Aber ein wenig mehr
Unterordnung würde ich mir ab und zu schon wünschen.
Sie haben ja gute Kontakte, zum Beispiel zu Konrad Adenauer. Der hat Ihnen
kurz vor seiner Absetzung als Kölner Oberbürgermeister erzählt, er sei der
Meinung, dass die Einführung des Frauenwahlrechts der Anfang vom Untergang
der Demokratie gewesen sei, weil die Frauen alle diesen Herrn Hitler wählen
würden.
Ja, das ist doch so! Schauen Sie sich die Begeisterung der Frauen doch an.
Also meine Frau ja zum Glück nicht. Aber Herr Adenauer ist jemand, der sich
politisch sehr gut auskennt, und wenn der das sagt, dann muss da schon was
dran sein.
Kurz vor Ihrer Eheschließung haben Sie noch mal ordentlich über die Stränge
geschlagen – ohne Ihre Frau. Am Rosenmontag, ausgerechnet als in Berlin der
Reichstag brannte, waren Sie beim Karneval in Ihrer Heimatstadt Köln. Warum
denn bloß?
Mit Karneval – in Köln sagen wir Fastelovend – bin ich aufgewachsen, das
ist eins der wenigen Dinge, die mir in Berlin tatsächlich fehlen. Hier
werden irgendwelche Kostümfaschingsbälle gefeiert. Das hat mit Fastelovend
nichts zu tun. Meine Frau konnte leider nicht mit nach Köln reisen, aber
von Karneval hält sie eh nicht so viel.
Ist es schwierig, den Berlinern den Karneval nahezubringen?
In Berlin wird man niemals Karneval feiern. Auch der Tag, an dem man in
Berlin ein Glas Kölsch trinken kann, wird wohl nie kommen.
Wenn Ihr Jugendfreund Paul aus Köln zu Besuch kommt, wo führen Sie den dann
hin?
Ich liebe mein Charlottenburg. Wir wohnen ja in der Carmerstraße, nicht
weit vom Kurfürstendamm. Ich bin gern in der Kakadu-Bar, da läuft gute
Musik.
Was hören Sie für Musik?
Amerikanische natürlich. Im Kakadu stehen auch Neger auf der Bühne, die das
richtig im Blut haben. Mit der deutschen Umtata-Musik kann ich nichts
anfangen. Und das Schöne am Kurfürstendamm ist, da laufen Ihnen nicht so
viele Nazis über den Weg wie in den deutschtümelnden Lokalen mit den
rot-weiß karierten Tischdecken.
Passen Jazz und Swing noch in die heutige Zeit?
Warum denn nicht? Die neue Regierung kann doch nicht den Swing verbieten,
das wäre ja lächerlich. Gut, es gibt ein paar Lokale, die sind geschlossen
worden, Transvestitenschuppen und so. Aber meine Art von Nachtleben kann
ich weiter genießen. Berlin ist eine weltoffene Großstadt, und das wird
auch immer so bleiben.
Sie haben in Berlin anfangs bei der Sitte gearbeitet. Haben Sie aus der
Zeit noch Tipps für Menschen, die mal was ganz Besonderes erleben wollen?
Ich weiß nicht, was Sie heute Abend vorhaben, aber es gibt in Berlin immer
noch illegale Nachtlokale …
Scheinbar gute Tradition …
… deren Bühnenprogramm gegen einige Gesetze verstößt.
Stört Sie das oder reizt Sie das eher?
Der Polizei sind fast alle illegalen Lokale bekannt, aber die bleiben
unbehelligt, solange sie nicht gegen den Paragrafen 175 verstoßen.
Vielleicht weil einige der hohen Herren die Schuppen auch mal
frequentieren.
Und Sie?
Ich bin verheiratet!
Letztes Jahr hatten Sie einen Fall, der begann mit einem Mord im Haus
Vaterland, ein riesiger Unterhaltungsschuppen am Potsdamer Platz. Geht man
da als Berliner noch hin?
Nein, nur Touristen. Dabei ist es toll gemacht, architektonisch
beeindruckend, die schiere Größe allein, das riesige Treppenhaus. In
einigen Lokalen dort spielen sie auch ganz annehmbaren Jazz, aber meine
Güte, das ist doch nicht zu vergleichen mit den Nachtclubs am Ku’damm. Wenn
Sie Berlin wirklich als Weltstadt erleben wollen, müssen Sie rund um die
Gedächtniskirche gucken.
Wenn heute jemand nach Berlin kommt, in welchen Stadtteil müsste er ziehen?
Nach Moabit zum Beispiel, da wohnte Ihre Frau?
Meine Frau hängt an Moabit, weil sie ihre Ecke kennt. Sie ist halt ein
Berliner Mädchen, ich bin ein Zugereister aus Köln. Anfangs hatte ich ein
möbliertes Zimmer in der Nürnberger Straße, da hab ich die Gegend rund um
die Gedächtniskirche schätzen gelernt. Aber ich habe auch ein paar Jahre in
Kreuzberg gelebt, das ist eine ganz andere Gegend …
Hätten Sie sich auch vorstellen können, in den östlichen Innenstadtbezirken
zu leben? Prenzlauer Berg oder Friedrichshain?
Ach, diese Arbeiterviertel ... ich bin kein Arbeiter. Diese Mietskasernen
überall. Da ist auch zu viel Kriminalität. Und Kommunisten, die mucken zwar
nicht mehr so auf wie früher, aber unter uns gesagt, ich würde mich so weit
im Osten nicht sicher fühlen.
Nicht mal als Polizist?
Gerade nicht als Polizist! Die Roten haben uns doch immer schon wie
Freiwild behandelt. Ich fühle mich im Westen viel, viel wohler, das ist
mehr meine Welt.
Eine noble Gegend. Kann man sich das als Kommissar leisten?
Es ist nicht ganz billig, aber meine Familie ist nicht unvermögend.
Oder helfen Ihnen da Ihre guten Kontakte zur Unterwelt, die man Ihnen
nachsagt?
Zu solchen Gerüchten möchte ich nichts sagen. Ich bin vermögend, ich muss
nicht allein von meinem Gehalt leben, das wirklich lächerlich ist. Es ist
eine Schande, mit welchem Hungerlohn der preußische Staat seine Beamten
abspeist.
Sie sollen sich ganz gut auskennen mit den Ringvereinen –
Verbrecherorganisationen, die weite Teile des Berliner Geschäftslebens
kontrollieren.
Die Vereine sorgen dafür, dass ehemalige Strafgefangene wieder zurück in
die Gesellschaft finden. Das können Sie in deren Satzung nachlesen.
Aber Herr Rath, Sie sind Kriminalbeamter, Sie wissen doch, dass es da um
ganz andere Dinge geht!
Gut, daraus haben sich in Berlin bestimmte Dinge entwickelt, die ich nicht
gutheißen kann. Aber die meisten Ringvereine sind in den letzten Monaten
zerschlagen worden. Dass dieser Sumpf trockengelegt werden konnte, das hat
die neue Gesetzeslage möglich gemacht. Sie werden sich erinnern, nach dem
Reichstagsbrand sind die Polizeibefugnisse erweitert worden.
Begrüßen Sie das?
Natürlich!
Was sind die grundlegenden Maßstäbe für Ihre Polizeiarbeit?
Ich bin Polizist geworden, weil ich es nicht dulden kann, dass jemand mit
Mord und Totschlag durchkommt.
Sie gelten als Querkopf, der gern auch mal fünfe gerade sein lässt bei den
Ermittlungsmethoden!
Das behaupten die Kollegen! Ich sage mal, jeder Beamte hat seine eigene
Handschrift. Es muss ja nicht jeder wissen, wie man an bestimmte
Informationen gekommen ist. Und wissen Sie, die Verbrecher, die nehmen ja
nun auch keine Rücksicht auf die Gesetze.
In Ihrem letzten aufzuklärenden Fall ging es unter anderem um einen
Weltkriegsveteranen, der seine Erinnerungen als Heldenepos aufgeschrieben
hat und dann als Fortsetzungsroman in einer Tageszeitung veröffentlichte.
Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, mal Ihre eigenen Fälle als Roman
aufzuschreiben?
So wie der Kollege Roeder das gemacht hat, mein Vorgänger, dieser eitle
Fatzke? Das interessiert doch keinen Menschen. Und die wirklich
interessanten Dinge aus meinem Berufsalltag kann ich ohnehin niemandem
erzählen, leider nicht einmal Ihnen. Außerdem: Kriminalromane, Sie kennen
doch diese Hefte, Tom Shark und wie sie alle heißen mögen … Lieber Herr
Asmuth, drehen wir den Spieß doch einfach um. Mal ehrlich: Würden Sie denn
gern selbst zum Gegenstand eines solchen Schundromans werden?
7 Dec 2014
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Interview
Berlin
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Krimi
Volker Kutscher
Volker Kutscher
TV
Deutschrock
Drittes Reich
Horst-Wessel-Lied
Propaganda
Volker Kutscher
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuer Krimi von Volker Kutscher: Das Buch der starken Witwen
„Transatlantik“, der neunte Band der Gereon-Rath-Krimis, stellt einiges auf
den Kopf. Dabei spielt der Kommissar selbst diesmal nur eine Nebenrolle.
Gereon goes Babylon: Ich trage einen großen Namen (noch)
Am 10. Oktober haben alle Gereons Namenstag. Dass es davon nicht viele
gibt, freut unseren Autor. Was ihn nicht so freut: Das könnte sich bald
ändern.
Band Frei.Wild: Klare Worte gegen Rechts
Die Band Frei.Wild gilt als rechtsoffen – und beschimpft Anhänger von
Pegida und AfD als „Idioten“. Die Fans sind empört.
Straßenumbenennungen in Bayern: Aufstand der Hindenburg-Fans
Was tun mit Straßen, die nach dem Hitler-Wegbereiter Hindenburg benannt
sind? Mehrere bayerische Orte tun sich schwer, sie umzubenennen.
Nazi-Lied im Unterricht in Berlin: Sing mir das Lied von Horst W.
Eine Lehrerin soll SchülerInnen eines Gymnasiums zum Singen des
Horst-Wessel-Liedes animiert haben. Die Polizei ermittelt wegen
Volksverhetzung.
Neuauflage von Hitlers „Mein Kampf“: Er kommt zurück
Ende des Jahres laufen die Urheberrechte von Hitlers Hetzschrift „Mein
Kampf“ aus. 2016 soll eine kommentierte Ausgabe der Schrift erscheinen, ein
2000-Seiten Wälzer.
Historische Berlin-Krimis: "Eins ist klar: Er wird nie Nazi werden"
Der Krimiautor Volker Kutscher schickt seinen Kommissar Gereon Rath in das
Berlin gegen Ende der Weimarer Republik. Die eigentliche Hauptrolle der
Krimireihe aber spielt die Hauptstadt im Übergang zur Nazidiktatur.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.