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# taz.de -- Neuer Krimi von Volker Kutscher: Das Buch der starken Witwen
> „Transatlantik“, der neunte Band der Gereon-Rath-Krimis, stellt einiges
> auf den Kopf. Dabei spielt der Kommissar selbst diesmal nur eine
> Nebenrolle.
Bild: Ort der Handlung: Berlin in den 1930er Jahren
Dieser Roman ist eine Zugabe. Als Volker Kutscher vor rund 15 Jahren
[1][die Reihe seiner Gereon-Rath-Krimis begann], war sie auf acht Folgen
angelegt. Die ersten vier sollten den Berliner Kommissar durch die letzten
vier Jahre der Weimarer Republik begleiten, weitere vier in den ersten vier
Jahren der Nazidiktatur bis zu den Olympischen Spielen 1936. Schon vor
Längerem hatte Kutscher angekündigt, zwei weitere Bände in Planung zu
haben. Der erste mit dem Titel „Transatlantik“ ist nun erschienen. Und er
stellt einiges auf den Kopf.
Seit Kutscher nach dem sechsten Band der Erfolgsserie von Kiepenheuer &
Witsch zum Piper Verlag gewechselt war, wurden die neuen Folgen nicht mehr
als „Gereon-Rath-Fall“ beworben, sondern als „Rath-Roman“. Was da noch …
eine marketinggetriebene Selbsterhöhung klang, ergibt nun Sinn.
Denn [2][Gereon Rath] ist tot. Und Hauptprotagonistin ist seine Frau
Charlotte, die als Privatdetektivin untreuen Ehefrauen nachschnüffeln muss,
vor allem aber erst mal ihre Freundin Greta sucht. Die wurde zuletzt an der
Seite eines SS-Mannes gesehen, der nun ermordet in seinem Auto aufgefunden
wurde.
Charlotte Rath ist nicht allein. Auch Marion Goldstein und Olympia Morgan,
deren Männer – der eine ein jüdischer Gangster aus New York, der andere ein
US-Sportfunktionär – im achten Rath-Band das Zeitliche segneten, spielen
jetzt zentrale Rollen. „Transatlantik“ ist anders als seine Vorgänger nicht
durch breitbeiniges Machotum seiner Protagonisten geprägt, sondern ein
Roman der starken Witwen.
## Nichts für Neueinsteiger
Und noch etwas ist anders. „Transatlantik“ ist ungeeignet für
Neueinsteiger. Schon in einigen Bänden zuvor war es Kutscher nur schwer
gelungen, die Schar der Protagonist:innen so mitzuschleppen, dass sie
den Erzählfluss nicht bremsten. Selbst Fans der Reihe waren manchmal auf
die umfangreichen Personenregister unter [3][gereonrath.de] angewiesen, um
sich an sämtliche komplexen Verstrickungen der Figuren zu erinnern.
Immerhin boten alle Bände bisher eine in sich abgeschlossene Geschichte.
„Transatlantik“ hingegen baut extrem auf seinem Vorgänger „Olympia“ au…
Wer der Geschichte folgen will, sollte sich gründlich in das bisher
erschienene Werk einarbeiten. Da hilft auch kein Blick ins TV. Zwar läuft
auf Sky gerade die vierte Staffel von „[4][Babylon Berlin“], die auf den
frühen Gereon-Rath-Krimis beruht. Doch [5][die TV-Serie] leidet nicht nur
unter der Bombastverliebtheit der Regisseure, die Drehbücher weichen so
sehr von der Romanvorlage ab, dass es das Verständnis erschwert. So wurde
etwa Greta, die laut dem neuen Buch seit 1937 vermisste Freundin, in der
TV-Serie schon 1930 von einem Henker geköpft.
Kennern der Serie bietet aber auch „Transatlantik“ wieder bewährtes
Lesevergnügen. Das liegt erneut [6][weniger am Krimiplot] als an der
detailfreudigen Beschreibung einer Stadt im Wandel, in der es zwar auch im
Jahr 1937 noch einige Jazzkeller gibt, in der aber schon Luftschutzübungen
für einen kommenden Krieg durchgeführt werden. In der die Nazis längst den
Polizeiapparat so sehr dominieren, dass nicht nur die Ermittlung von Taten
gegen oder durch SS-Mitglieder ein Ding der Unmöglichkeit werden, sondern
selbst Gangster, die sich als Nazis versuchten, die Flucht über den
Atlantik ergriffen haben.
Kutscher beschreibt nicht nur die politische Lage im Nazi-Berlin. Er
versteht es zum Beispiel, mit einer kleinen Szene ganz beiläufig die heute
von Autos überrollte Stadt infrage zu stellen. Etwa wenn sich ein
Mitarbeiter des Kant-Garagen-Palastes aus Sorge um seine Mieter darüber
aufregt, dass die Polizei sein Parkhaus wegen Mordermittlungen
stundenlang schließt. „Die müssen doch irjendwohin mit ihren Fahrzeugen“,
lässt Kutscher den Mann klagen. „Stellen Sie sich det doch mal vor: die
Kantstraße rechts und links mit Autos zujeparkt.“ Nicht nur als Berliner
weiß man: Das ist längst Wirklichkeit geworden.
Auch weltbewegende Ereignisse werden wieder wie selbstverständlich in die
Geschichte eingebaut. In diesem Fall der Flug des Luftschiffes „Hindenburg“
nach New York, der bekanntlich tragisch endete.
Und Gereon Rath ist tatsächlich tot? Nein, in guten Krimis trügt der
Schein. Rath lebt noch, das wird schnell klar. Er ist nur untergetaucht und
liefert jetzt Wein aus in Wiesbaden. Aber zur Hauptfigur wird er frühestens
wieder im zehnten und letzten Band. Der soll zur Zeit der Reichspogromnacht
1938 spielen.
8 Nov 2022
## LINKS
[1] /Zwanziger-Jahre---Krimi/!5187806
[2] /Historische-Berlin-Krimis/!5026879
[3] http://gereonrath.de
[4] /Neue-Staffel-Babylon-Berlin/!5654275
[5] /Gereon-goes-Babylon/!5451142
[6] /Kutschers-neuer-Gereon-Rath-Krimi/!5546517
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
Volker Kutscher
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