# taz.de -- Abschluss der „Gereon-Rath-Krimis“: Es gibt kein Happy End im N… | |
> Mit dem zehnten Band gehen die „Gereon-Rath-Krimis“ von Volker Kutscher | |
> zu Ende. Er ist ein Abgesang auf Polizeiarbeit im Jahr der Pogromnacht. | |
Bild: Zwangsausgewiesene polnische Juden mussten an der Bahnstation Neu-Bentsch… | |
Hätten Sie es gewusst? Im Oktober 1938, keine zwei Wochen vor der | |
Pogromnacht am 9. November, ließ das NS-Regime rund 17.000 Jüd:innen | |
verhaften und an die polnische Grenze bringen. Sie hatten seit vielen | |
Jahren im Deutschen Reich gelebt, teils sogar von Geburt an. Doch sie | |
hatten die polnische Staatsbürgerschaft – noch zumindest. | |
Denn die polnische Regierung hatte gerade beschlossen, Pol:innen, die | |
länger als fünf Jahre ununterbrochen im Ausland gelebt hatten, die | |
Staatsbürgerschaft zu entziehen. Das NS-Regime deportierte daraufhin die | |
„Ostjuden“ am 28. und 29. Oktober 1938 an die Grenze – wo Tausende dann | |
teils monatelang festsaßen, weil Polen sie nicht reinließ. | |
Die Geschichte dieser [1][„Polenaktion“, der ersten Massendeportation von | |
Jüd:innen aus dem Deutschen Reich] erfährt man en passant, wenn man den | |
schlicht „Rath“ betitelten, gerade erschienenen letzten Band der | |
[2][Gereon-Rath-Krimis von Volker Kutscher] liest. Es ist nur eine der | |
vielen Nebengeschichten des zehnten und letzten Bandes dieser Krimireihe. | |
Aber sie zeigt, was sie so lesenswert macht. | |
Zwei Jugendliche, denen es im Nazi-Deutschland zu gefährlich geworden ist, | |
wollen sich nach Polen durchschlagen. Mitten im Grenzwald stoßen sie auf | |
eine gespenstische Szenerie. Uniformierte „trieben mindestens tausend | |
Menschen zusammen, als handele es sich um eine riesige Schafherde“, erzählt | |
Kutscher. Manche hatten nur einen Bademantel getragen, als habe man sie | |
mitten in der Nacht geweckt. | |
## Keen Mensch will sie haben | |
„D-das … das sind meine Leute“, lässt Kutscher schließlich den jungen J… | |
Theo sagen. „Die stehen da in Nachthemd zwischen zwei Ländern, und keen | |
Mensch will sie haben“. | |
2007 hatte Kutscher mit „Der nasse Fisch“ die Krimireihe gestartet – und | |
damit ein einzigartiges Projekt: die Erzählung des Übergangs von der | |
Weimarer Republik ins NS-Deutschland mit dem Mittel der Populärliteratur. | |
Ursprünglich war die Reihe auf acht Bände angelegt. Die ersten vier | |
spielten in den letzten vier Jahren der untergehenden Weimarer Republik, | |
die nächsten vier sollten den Anfang der Nazi-Zeit begleiten – bis zu den | |
Olympischen Spielen 1936. Später entschied sich Kutscher, noch zwei Bände | |
draufzulegen und die Reihe im Jahr 1938 zu beenden, mit der Pogromnacht im | |
November. | |
Kutscher hat [3][seinen Kommissar Gereon Rath] im Jahr 1929 von Köln in die | |
Reichshauptstadt geschickt, wo er bald bei der Mordkommission am | |
Alexanderplatz ermittelt. Er bekommt es mit Ringvereinen, [4][einem | |
jüdischen Gauner aus New York], einem [5][Mord in der Filmbranche] und nach | |
und nach offener auftretenden Nazis zu tun. Ein ganzes Kaleidoskop von | |
Figuren schleppt Kutscher teils über mehrere Bände mit sich. Nicht immer | |
ist es für die Leser:innen leicht, dabei den Überblick zu bewahren. Und | |
auf keinen Fall sollte man die Lektüren mit den letzten Bänden beginnen, | |
ohne die ersten zu kennen. | |
## Ein Bild des Lebens in dieser Zeit | |
Aber eins ist Kutscher immer wieder gelungen: Er zeichnet ein vielleicht in | |
den Augen von Historiker:innen nicht hundertprozentig korrektes, aber | |
für die Leser:innen nachvollziehbares Bild des Lebens in dieser Zeit. | |
Mal erzählte er von Flugreisen vom Tempelhofer Feld, noch bevor die Nazis | |
dort ihr gigantisches Flughafengebäude hinklotzten. Mal nahm er die | |
Leser:innen mit in [6][die Extravaganz der schwindenden Weimarer | |
Republik]. Immer wieder band er historische Ereignisse in die Handlung ein, | |
vom Dreh erster Tonfilme in Berlin bis zur [7][Explosion des Zeppelins | |
Hindenburg in New York]. Und fortlaufend schilderte er die immense | |
[8][Bedeutung der Berliner Presselandschaft,] deren gedruckte Geschichten | |
auch immer wieder ergiebige Quelle waren für den Krimiautor Kutscher – und | |
ihre Gleichschaltung ab 1933. Und er erzählt, wie nach und nach immer mehr | |
Menschen, nicht nur, aber gerade im Polizeiapparat sich dem „neuen Denken“ | |
anschließen. Es trotz anfänglicher Bedenken als normal akzeptieren. | |
Letzteres wird zum zentralen Thema des letzten Bandes. | |
## Die große Liebe Charly | |
Die eigentliche Krimihandlung ist wie bei allen guten Gesellschaftskrimis | |
[9][kaum mehr als ein Aufhänger]. Es geht um den Mord an zwei Hitlerjungen, | |
um Missbrauch politischer wie sexueller Art. Vor allem aber um die Arbeit | |
bei der von Nazis nicht mehr nur durchsetzen, sondern dominierten Polizei. | |
Und was das für die letzten widerständigen Ermittler:innen bedeutet, | |
wenn am 9. November die Scheiben klirren. | |
Mit diesem 10. Band geht nicht nur eine der interessantesten Krimiserien zu | |
Ende, sondern auch die Geschichte zwischen Gereon Rath, der längst im | |
Untergrund lebt, und seiner großen Liebe Charly, die immer noch auf der | |
Seite der Guten kämpft. Pures Lesevergnügen ist das nicht. Dafür sind die | |
Geschichten, ist die Zeit zu hart. Auch den großen Showdown, an dessen Ende | |
dann doch alles gut wird, darf niemand erwarten. Es wäre auch unangemessen. | |
Denn es gab kein Happy End in Nazi-Deutschland. | |
6 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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