| # taz.de -- Kutschers neuer Gereon-Rath-Krimi: „Der Krimiplot ist mir nicht s… | |
| > Dank „Babylon Berlin“ ist die Krimiserie in aller Munde. Nun präsentiert | |
| > Volker Kutscher erstmals den siebten Band. Er führt zum Reichsparteitag | |
| > 1935. | |
| Bild: „Etwas over the top“: Volker Kutscher, hier auf einem Archivbild | |
| Berlin taz | Hitler ist da. Und [1][Gereon] Rath steckt mitten in der | |
| enthusiastischen Menge. Dabei ist der Kommissar aus Berlin nur auf der | |
| Suche nach einer Telefonzelle in Nürnberg. „Er wollte hinaus, doch er wurde | |
| nach vorne gedrängt. Und dann sah er, warum die Leute so aus dem Häuschen | |
| waren. Da in diesem langsam rollenden Mercedes stand doch tatsächlich Adolf | |
| Hitler höchstpersönlich.“ Volker Kutscher holt kurz Luft, bevor er weiter | |
| die Passage aus seinem neuen Roman liest, der während des Reichsparteitags | |
| 1935 spielt. „Die Heil-Rufe schwollen an, und Rath spürte, dass er, wie von | |
| einer unsichtbaren Macht getrieben, dabei war, mit den anderen den Arm zu | |
| heben. Und dann hörte er, wie das Wort ‚Heil‘ aus seinem Mund kam. Einmal, | |
| zweimal, dreimal.“ | |
| Die Deutschlandpremiere von „Marlow“, Kutschers siebtem Gereon-Rath-Krimi | |
| am Dienstagabend in der Backfabrik in Berlin-Prenzlauer Berg, ist seit | |
| Wochen ausverkauft. 250 ZuhörerInnen drängen sich in dem kleinen Saal. Eine | |
| doppelt so große Halle wäre wohl auch voll geworden. Der Berliner Sender | |
| R[2][adio Eins überträgt live]. | |
| Spätestens seit die TV-Serie „Babylon Berlin“, die auf dem ersten Band | |
| dieser Krimireihe beruht, nun [3][auch in der ARD gezeigt wird], ist der | |
| Berliner Kommissar in aller Munde. Kutschers Idee, seinen fiktiven Kölner | |
| Kommissar in das sehr reale Berlin des Jahres 1929 zu versetzen und ihn in | |
| den folgenden Bänden erst das Ende der Weimarer Republik und dann den | |
| Anfang des Nationalsozialismus erleben zu lassen, hat sich als grandioser | |
| Erfolg erwiesen. | |
| Dabei ist die TV-Umsetzung keineswegs unumstritten. Für die einen ist das | |
| auf Bombast und Action setzende Werk die [4][beste deutsche Fernsehserie] | |
| aller Zeiten, andere kritisierten das kulissenverliebte Spektakel in | |
| schärfsten Tönen. | |
| ## Vorsichtige Distanz zur Serie | |
| Selbst Volker Kutscher geht, wenn auch vorsichtig, auf Distanz. Unter dem | |
| Strich sei das „grandioses Fernsehen“, betont Kutscher beim | |
| Premierengespräch. Dass aber Charly, die emanzipierte Freundin und spätere | |
| Frau seines Kommissars und zweite Hauptfigur seiner Romanreihe in „Babylon | |
| Berlin“, als Gelegenheitsprostituierte dargestellt wurde, sei „etwas over | |
| the top“. Das sei „nicht die Charly, die ich im Kopf hatte“. | |
| Die gibt es zum Glück wieder im neuen Roman. Dessen Kriminalgeschichte ist | |
| schnell erzählt. Im August 1935 rast ein Taxi mit Vollgas gegen eine Wand | |
| an den Berliner Yorckbrücken. Das Auto ist ein Wrack, Fahrer und Passagier | |
| sind sofort tot. Doch in dem Fahrzeug entdeckt Kommissar Rath Geheimakten. | |
| Sie deuten darauf hin, dass Gestapo-Chef Hermann Göring von der SS | |
| ausspioniert wurde. Was wie ein Unfall wirkt, entpuppt sich als | |
| ausgeklügeltes Verbrechen mit komplexer Vorgeschichte. Etliche | |
| Verwerfungen und ständige Cliffhanger steigern die Lust, weiterzulesen, | |
| aufs höchste Level. | |
| All das aber ist, wie schon in den andern Bänden, nur der Motor, der die | |
| Geschichte vorantreibt. „Der Krimiplot ist mir nicht so wichtig“, erklärt | |
| Krimiautor Kutscher bei der Lesung – zur Überraschung doch einiger seiner | |
| Fans. Wichtiger sei ihm die Beschreibung der gesellschaftlichen | |
| Entwicklung. Etwa wie das Nachtleben der Hauptstadt vor die Hunde geht, | |
| genauso wie die Pressefreiheit. | |
| ## Raum für Zweifel, mehr denn je | |
| Die Stärke dieses Bandes aber sind die Stellen, in denen Kutscher | |
| beschreibt, wie der Nationalsozialismus eine ganz normale Familie im | |
| Wortsinne zerreißt. Er lässt seinen Figuren Zeit, sich zu entwickeln. Und | |
| wichtiger noch: Raum für Zweifel – und das gilt für den neuesten Roman mehr | |
| denn je. | |
| Da ist sein Kommissar, [5][dem alles Politische zuwider ist], der aber zur | |
| Not mithilfe von Nazis Karriere macht – und damit vor die Wand rennt. Da | |
| ist seine Frau Charly, die die NSDAP aus tiefstem Herzen ablehnt, auch weil | |
| sie als Frau nun weder bei der Polizei noch als Anwältin etwas werden darf. | |
| Und da ist ihr Adoptivsohn Fritz, der mit der Hitlerjugend zum | |
| Reichsparteitag nach Nürnberg marschiert, wo Gereon Rath später dem Führer | |
| über den Weg laufen wird. | |
| Und schließlich ist da Johann Marlow, die titelgebende Figur des siebten | |
| Bandes. Er ist die graue Eminenz der Berliner Unterwelt, die schon seit dem | |
| ersten Band über Leichen geht. Wegen der „neuen Zeiten“ will er jetzt | |
| eigentlich gern seriös werden, tritt in die SS ein und profitiert als | |
| Ariseur – hat aber am unverhohlenen Rassismus seiner neuen Freunde schwer | |
| zu beißen. Auch aus privaten Gründen, die aus der Kolonialzeit herrühren. | |
| Denn bei Kutscher ist keine Figur ohne Widerspruch in sich. | |
| Die TV-Serie „Babylon Berlin“ mag gutes Fernsehen sein. Volker Kutschers | |
| Romane aber sind großes Kino. Gut, dass er bereits drei weitere Folgen | |
| angekündigt hat. Bis in den November im Jahr 1938 will er seinen Kommissar | |
| begleiten, bis zur Reichspogromnacht. | |
| 7 Nov 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gereon Asmuth | |
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