Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gereon goes Babylon: Ich trage einen großen Namen (noch)
> Am 10. Oktober haben alle Gereons Namenstag. Dass es davon nicht viele
> gibt, freut unseren Autor. Was ihn nicht so freut: Das könnte sich bald
> ändern.
Bild: Kollege Gereon Asmuth bleibt der taz exklusiv erhalten
„Hä?„So lautet die typische Reaktion, wenn ich mich mit meinem Vornamen
vorstelle: Gereon. Dann folgen meist ein paar etwas ausgeklügeltere Fragen.
„Was ist das denn für ein Name?“
„Wo kommt der denn her?“
„Wie schreibt man den denn?“
Eigentlich ganz einfach. So wie man ihn spricht. Doch viele lassen einfach
das zweite „e“ weg. Geron. Oder ersetzen es durch ein „i“. Gerion. Oder
glauben, sich verhört zu haben, und merken sich einen ihnen bekannteren
Namen. Gero. Gregor. Gideon! Als Träger eines seltenen Vornamens lernt man,
geduldig zu sein.
Warum ich darüber schreibe? Und warum Sie das lesen sollen? Weil am 10.
Oktober mein Namenstag ist, für katholisch geprägte Menschen spielt das
eine gewisse Rolle.
Weil Sie etwas über einen sagenhaften Migranten lernen werden. Und über ein
Mittel gegen Kopfschmerzen. Vor allem aber, weil der eingangs beschriebene
Dialog verfilmt wurde. Und weil das alles ändern wird.
Am Freitag um 21.09 Uhr wird man im TV einen Kommissar sehen können, der in
der Herrentoilette des Berliner Polizeipräsidiums liegt. Eine junge
Kollegin, die sich später in den Mann neben der Kloschüssel verlieben wird,
wird ihm behilflich sein. Und dann kommt er. Der Dialog. „Charlotte
Ritter“, wird sich die junge Frau vorstellen. „Rath, Gereon“, wird der
Kommissar antworten. „Gereon?“, wird Charlotte fragen, „wo kommen Sie denn
her? Aus dem Mittelalter?“ Und Gereon wird antworten: „Nein, aus Köln.“
## Kult kommt
Die Szene ist Teil der Auftaktfolge von „Berlin, Babylon“, der ersten
deutschen TV-Serie, die laut Anspruch der Macher das Niveau internationaler
Produktionen hat. Ab Freitag läuft sie zunächst bei Sky. Erste positive
Kritiken lassen vermuten: Diese Serie könnte Kult werden.
Gereon Rath ist ein Kölner Kommissar, der 1929 nach Berlin zieht. Erfunden
hat ihn der Kölner Autor Volker Kutscher, der in mittlerweile sechs
lesenswerten Krimis vom Absturz der Weimarer Republik zum
Nationalsozialismus erzählt. „Ich war auf der Suche nach einem typisch
rheinischen Namen“, hat Kutscher mir mal in einem Interview erzählt. Und da
lag Gereon nah. In Köln gibt es ein ganzes Viertel mit Straßen, die
Gereonskloster, Gereonshof oder Gereonsdriesch heißen. Mittendrin steht die
Kirche des Namensgebers.
In der Nähe stand einst ein Gereons-Güterbahnhof, der aber abgerissen
wurde. Gereons Kölsch gab es auch mal. Die Brauerei wurde aber in den
1990er Jahren geschlossen.
In Köln ist der Name so präsent, dass ich in den seltenen Fällen, in denen
es gar keine verwunderte Reaktion auf meinen Vornamen gibt, mein Gegenüber
frage, ob es aus Köln kommt. Meist liege ich richtig. Viele Gereons gibt es
aber auch dort nicht. Der Kölner Volker Kutscher sagte mir am Rande des
Interviews, ich sei der Erste, den er in echt getroffen habe.
Dabei ist Gereon der Stadtheilige von Köln. Genauer gesagt: Er ist einer
von vielen. Auch die Heiligen Drei Könige gehören dazu. Deren Gebeine
liegen im fast neumodischen Kölner Dom, dessen Bau vor nicht einmal 770
Jahren begonnen wurde. Die Kirche St. Gereon ist 900 Jahre älter. Und sie
ist benannt nach einem Märtyrer, der sich in Köln geopfert hat. Zumindest
wenn man den Legenden glaubt.
## Ein Legionär
Demnach war heilige Gereon Offizier der thebäischen Legion. Die wurde vom
römischen Kaiser Maximian in die nördlichen Ausläufer des Großreichs
entsandt, um das Christentum zu bekämpfen. Gereon stammte, wie der Name der
Legion schon sagt, aus Theben, einem Ort in Ägypten, der heute vor allem
für die Ruinen des Luxor-Tempels bekannt ist. Der Offizier und seine 318
Gefährten waren selber Christen und weigerten sich, Glaubensbrüder zu
töten. Sie blieben standhaft und wurden allesamt geköpft. Am 10. Oktober
anno domini 304.
Auf der Wiese vor der Gereons-Kirche liegt heute die Skulptur des Heiligen:
ein überdimensionaler, abgeschlagener Kopf samt Soldatenhelm. Katholiken
haben einen Hang zum Makabren. In einer Ecke der Kirche findet man eine
Säule, an der Blut von Gereon kleben soll. Die Säule sollte man übrigens
nur besuchen, wenn man selbst noch niemanden umgebracht hat. Sonst geht es
einem wie einem König namens Theoderich: Man bekommt plötzlich einen
tödlichen Stich ins Herz.
Für die praktisch veranlagten Katholiken hat der gute Gereon zwei
Funktionen: Er ist Patron der Soldaten – was bei seiner Geschichte nicht
ganz überrascht. Und er hilft gegen Kopfschmerzen. Nicht weil er enthauptet
wurde, sondern weil einst ein Bischof durch Staub aus dem Brunnen der
Kirche St. Gereon von Kopfschmerzen geheilt worden sein.
All diese wundervollen Legenden haben nur ein Problem. Man weiß nicht, ob
sie stimmen. Ein erster Bericht über die thebäische Legion wurde erst 100
Jahre später aufgeschrieben, zudem erzählt er nur von Märtyrern in der
heutigen Schweiz. Erst weitere 100 Jahre später erklärte der Bischof von
Tours den damals in Köln verehrten Gereon zum Mitglied der thebäischen
Legion. Altertumsforscher zweifeln gar die komplette Geschichte an, zumal
es keine weiteren Belege für die Christenverfolgung rund um das Jahr 300 im
nördlichen Römischen Reich gibt.
Aber egal. Religion lebt vom Glauben, nicht von Fakten. Und überhaupt: Was
ist das für eine wunderbare Geschichte, dass ein mutmaßlich dunkelhäutiger
Ägypter den barbarischen Germanen das Christentum nahegebracht hat? Ein
„Nafri“, der ausgerechnet in Köln als Heiliger verehrt wird.
Wie die Geschichte des heiligen Gereon ist auch die Bedeutung des Namens
ungewiss. Gelegentlich wird ein Zusammenhang mit dem lateinischen „gerere“
(Krieg führen) genannt. Seltener ist die Annahme, dass es sich um einen
germanischen Namen handeln könnte, wozu immerhin die erste Silbe Anlass
bietet. Meist wird jedoch vermutet, dass er altgriechisch der Greis, der
Senile, aber auch der Weise bedeute. Ich tendiere da zur dritten Variante.
Allerdings gibt es nirgendwo eine Erklärung, warum ein ägyptischer Soldat,
der im Dienst eines römischen Kaisers bei den Germanen kämpfte,
ausgerechnet einen griechischen Namen tragen sollte. Kurz gesagt: Man tappt
im Dunklen.
## Vater und Sohn
Klar ist immerhin die Legende, warum ich diesen Namen trage, obwohl ich
nicht aus Köln stamme. Mein Vater erzählte mir, er habe als junger
Lehramtsreferendar einen äußerst klugen Schüler gehabt, der Gereon hieß,
Wolters mit Nachnamen. Aus dem sei später ein Professor für
Wissenschaftsphilosophie in Konstanz geworden. Zudem habe der seinem Sohn
den gleichen Vornamen gegeben, der ebenfalls Professor wurde, allerdings
für Strafrecht an der Uni in Bochum.
Doch was die Begründung der Wahl meines Namens über die Erwartungen meines
Vaters an mich aussagt, soll hier nicht das Thema sein. Es geht um alte
Legenden.
Gereon Wolters der Ältere geht leider nicht ans Telefon. Aber Gereon
Wolters der Jüngere ruft zurück. Und klärt erst mal auf. Er ist gar nicht
der Sohn seines Namensvetters in Konstanz. Die Dopplung sei reiner Zufall.
Seinen Namen habe er seiner Mutter zu verdanken. Die habe als Schwangere
die Gereons-Kirche in Köln besucht und dort, wie man unter Katholiken sage,
den Namen empfangen – und damit alles richtig gemacht. Denn er sei stets
sehr glücklich mit seinem Namen gewesen. Weil er schöne klinge. Weil er
„outstandig“ sei. Weil es Mut mache, einen seltenen Namen zu tragen.
Manchmal funktioniere er sogar als Türöffner – etwa im gerade zu Ende
gegangenen Wahlkampf. Gereon Wolters war Direktkandidat der SPD im
Wahlkreis Essen III. Bei der Wahl zuvor war dort noch Petra Hinz
angetreten, die 2016 zurücktreten musste, als aufflog, dass sie sich über
30 Jahre lang als Juristin ausgegeben hatte. Wolters hatte die lokalen
SPD-Größen gefrotzelt, ob sie als Nachfolger nicht einen echten Juristen
bräuchten. Wenig später stand sein Name auf den Wahlplakaten – und wurde
zum Markenzeichen. „Ach, da ist ja der Herr Gereon“, hätten ihn die Leute
angesprochen, erzählt Wolters. Gewonnen hat den Wahlkreis dennoch ein
Matthias von der CDU, der gleich zehn Namensvettern im Parlament hat.
Die Gereon-Rath-Krimis hat Wolters nicht gelesen. Er hat nur schon immer
befürchtet, dass sie mal verfilmt werden. Es ist die aktuelle Sorge aller
Gereons – dass sie den Nimbus des Besonderen verlieren. Eines sehr nahen
Tages wird die Reaktion auf unseren Namen nicht mehr „Hä?“ sein. Sondern:
„Ach, du heißt wie der Kommissar aus dem Fernsehen?“
Ich muss wohl dringend mal wieder nach Köln fahren, um den Staub der
Gereons-Kirche einzuatmen. Präventiv. Gegen Kopfschmerzen.
13 Oct 2017
## AUTOREN
Gereon Asmuth
## TAGS
TV
TV-Krimi
Sky
Volker Kutscher
Babylon Berlin
Volker Kutscher
Babylon Berlin
Babylon Berlin
Berliner Volksbühne
Fernsehserie
Interview
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuer Krimi von Volker Kutscher: Das Buch der starken Witwen
„Transatlantik“, der neunte Band der Gereon-Rath-Krimis, stellt einiges auf
den Kopf. Dabei spielt der Kommissar selbst diesmal nur eine Nebenrolle.
Kutschers neuer Gereon-Rath-Krimi: „Der Krimiplot ist mir nicht so wichtig“
Dank „Babylon Berlin“ ist die Krimiserie in aller Munde. Nun präsentiert
Volker Kutscher erstmals den siebten Band. Er führt zum Reichsparteitag
1935.
Was bleibt noch für RTL und Co.?: Das große Serien-Einkaufen
Nun beginnt die weltgrößte TV-Messe in Cannes. Händler von
Video-on-Demand-Plattformen sind hungrig auf neue Stoffe, die immer teurer
werden.
Kommentar Räumung der Volksbühne: Ein einmaliges Experiment
Es war das Theater-Event des Jahres: die Besetzung der Volksbühne. Schade,
dass sich die Berliner Politik keine Mühe machte, es zu verstehen.
Fernsehserie „Babylon Berlin“: Menschen, Fernsehen, Sensationen
ARD und Sky wollen endlich eine Serie auf internationalem Niveau machen und
stellen mit großem Tamtam „Babylon Berlin“ vor.
Historische Berlin-Krimis: "Die Hitler-Grüßerei ist Unfug"
Der Autor der Gereon-Rath-Krimis, Volker Kutscher, spricht für seinen
Hauptprotagonisten. Der ist seit 1929 ein eigenwilliger Ermittler der
Mordkommission.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.