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# taz.de -- Historische Berlin-Krimis: "Eins ist klar: Er wird nie Nazi werden"
> Der Krimiautor Volker Kutscher schickt seinen Kommissar Gereon Rath in
> das Berlin gegen Ende der Weimarer Republik. Die eigentliche Hauptrolle
> der Krimireihe aber spielt die Hauptstadt im Übergang zur Nazidiktatur.
Bild: Berlin im Jahr 1930: Haupteingang des Flughafens Tempelhof
taz: Herr Kutscher, wie kommt man als Kölner dazu, ausgerechnet
Berlin-Krimis zu schreiben?
Volker Kutscher: Ich mag Berlin ganz einfach. Seit den frühen 80er-Jahren
bin ich regelmäßig in der Stadt. Der zweite Grund: Ich habe
Kriminalgeschichten vermisst, die im Berlin der 20er-, 30er-Jahre
angesiedelt sind.
Warum?
Weil diese Zeit in Berlin eine sehr spannende ist. Eine Zeit, die mich
schon in den Kinderbüchern von Erich Kästner fasziniert hat. Außerdem mag
ich amerikanische Gangsterkrimis aus dieser Epoche. Diese Noir-Geschichten
aus San Francisco oder Chicago nach Berlin zu verfrachten, das erschien mir
sehr naheliegend. Ich hätte so etwas jedenfalls gerne gelesen. Aber ich bin
damals nur auf Philip Kerr gestoßen; dessen Geschichten spielen 1936, 1938
in der Nazizeit. Ich finde jedoch das Ende der Weimarer Republik viel
spannender.
Was ist da so spannend für einen Krimiautor?
Die grundsätzliche Frage, die sich viele Leute stellen: Wie war es möglich,
dass sich eine Republik mit vielen modernen Ansätzen in diese Diktatur
verwandelte? Und diese Entwicklung will ich aus der - oft sehr naiven -
Perspektive eines Zeitgenossen zeigen.
Ihr erster Berlin-Roman, "Der nasse Fisch", spielt 1929. Der Kölner
Kommissar Gereon Rath wird in ein wildes Berlin versetzt. Er geht in
Bordelle, Drogenkneipen, er begegnet russischen Exilanten und
Waffenhändlern. Daneben treffen Kommunisten auf Nationalsozialisten, am 1.
Mai 1929, dem Blutmai, gibt es zahlreiche Tote. Die Geschichte scheint sehr
nah am politischen Geschehen.
Das ist auch so beabsichtigt …
… aber Ihr gerade erschienener zweiter Band, "Der stumme Tod", spielt 1930
fast ausschließlich in der Berliner Filmindustrie. Das unweigerliche
Zulaufen auf das Dritte Reich tritt weit in den Hintergrund. Warum?
Ich möchte möglichst verschiedene Milieus ausleuchten, auch solche, in
denen Politik keine Rolle spielt. Und dann haben die Leute damals eben auch
nicht nur an Politik gedacht. Niemand wusste, dass es auf das Dritte Reich
hinausläuft.
Ihr Hauptprotagonist bekommt den Auftrag, die Beerdigung von Horst Wessel
zu beobachten, den die Nazis zum Märtyrer hochstilisieren …
… aber er drückt sich davor, weil er sich von politischen Querelen lieber
fernhält.
Schon Ihre früheren Krimis hatten Lokalkolorit. Aber sie spielten in Ihrer
Heimat, dem Bergischen Land bei Köln. Da kennen Sie sich aus. Woher kennen
Sie das Berlin Ende der 20er-Jahre?
Es gibt viele Ecken, an denen man die Vergangenheit noch sehen kann.
Ansonsten lese ich viel, lese Bücher, alte Zeitungen, sichte alte Fotos und
Filme. Etwa "Menschen am Sonntag". Oder "Emil und die Detektive", der viel
draußen in der Stadt gedreht wurde. So bekomme ich viele Anregungen. Zum
Beispiel habe ich ein wunderschönes Bild von dem Ende der 20er-Jahre
zugeschütteten Luisenstädtischen Kanal in Kreuzberg gefunden. Da hab ich
mir gedacht, da könnte mein Kommissar doch wohnen, am Luisenufer …
… dem heutige Segitzdamm. Auch der Reichskanzlerplatz spielt ein Rolle, die
Belle-Alliance-Straße taucht auf. Sie verwenden konsequent Namen, die man
heute auf dem Stadtplan nicht mehr findet.
Viele Straßen haben eben heute einen anderen Namen, schon wegen der
bewegten Geschichte der Stadt. Der Reichskanzlerplatz hieß zum Beispiel
später auch mal Adolf-Hitler-Platz. Und heute ist es der
Theodor-Heuss-Platz.
Haben Sie einen historischen Stadtplan?
In meinem Arbeitszimmer hängt tatsächlich ein alter Pharus-Plan an der
Wand. Aber wenn ich die Schauplätze meiner Geschichte kenne, dann fahre ich
immer auch hin und guck mir die heutige Situation an - mit den alten
Bildern im Hinterkopf. Im ersten Roman tauchen eine Menge Orte auf, an
denen Freunde von mir wohnen oder wohnten.
Ihre Detailkenntnis überrascht selbst gestandene Berliner. Etwa dass man
einst eine Mark Maut für die Fahrt auf der Avus zahlen musste.
Ich lese alte Zeitungen, etwa die Vossische, da findet man solche Details.
Etwa die kurze Notiz, dass im März 1930 der millionste Besucher des
Funkturms gezählt wurde. Das war natürlich nicht Gereon Rath, wie jetzt im
Roman, aber ich dachte, das passt.
Und woher haben Sie die Kenntnisse über den damaligen Polizeialltag?
Vor allem aus Büchern. Und dann war ich in Tempelhof in der
polizeihistorischen Sammlung. Die haben Waffen, Telefone, Schreibmaschinen
aus der Zeit und viele andere anschauliche Dinge.
Würde ein Historiker ihr Berlinbild als korrekt bezeichnen?
Ich hoffe doch - wobei ich glaube, dass nicht alle Historiker einen
einheitlichen Blick auf die Vergangenheit haben. Mir ist es wichtig, die
modernen Seiten der damaligen Zeit zu unterstreichen. Deshalb fahren meine
Figuren nicht mit der Pferdedroschke, sondern mit dem Taxi. Und sie
telefonieren viel: Berlin hatte damals die größte Telefondichte der Welt.
Schon damals haben die Berliner sehr nach Amerika geschaut. In dem Film "M
- eine Stadt sucht einen Mörder" von Fritz Lang steht in einem
Süßwarengeschäft Micky Maus als Werbefigur. Der Film ist 1931 gedreht.
Es gibt auch eine überraschend offene Sexualmoral in Ihren Romanen.
Die es damals auch schon gab. Zwar war die Gesellschaft noch nicht so offen
wie heute, aber es gab jede Menge moderne Ansätze. Die offene Sexualmoral
etwa oder die Emanzipation der Frauen, Dinge, die durch das Dritte Reich
abgewürgt wurden und sich in Deutschland dann erst wieder in den
60er-Jahren entfalteten. Allerdings darf die Moderne des damaligen Berlin
nicht über die anderen Seiten hinwegtäuschen; es gab auch die, die sich
nach dem Kaiser sehnten, und die, die den Faschismus wollten.
Dennoch kommen antisemitistische Ressentiments in Ihren Büchern nur am
Rande vor.
Antisemitismus war damals salonfähig, aber nicht ständig präsent. Im
Mittelpunkt steht das Thema im dritten Band, an dem ich gerade arbeite. Ich
will nicht die ganze Geschichte verraten, aber da besucht ein
amerikanischer Gangster Berlin - ein jüdischer Gangster aus Brooklyn, den
besser kein SA-Mann anpöbeln sollte.
Wie wird sich Rath nach 1933 verhalten?
Eines ist klar: Er wird nie Nazi werden. Weil er von Politik überhaupt
nichts hält, von keiner Partei. Er wird die Nazis als Vorgesetzte genauso
verachten, wie er einen sozialdemokratischen Polizeipräsidenten verachtet,
weil er denkt, der sitzt nur wegen seines Parteibuchs da und nicht wegen
seines Fachwissens. Weiter denkt Rath nicht und wurschtelt sich durch. Ganz
bewusst ist er kein strahlender Held; er macht eine Menge Mist. Ich hoffe,
dass die Leser ihn dennoch mögen.
Immerhin hat er einen sehr sympathischen Vornamen.
Ich war auf der Suche nach einem typisch rheinischen Namen. Gereon war der,
der am besten zu der Figur passte, die ich im Kopf hatte.
Es ist wenig realistisch, dass Rath nicht ständig nach der Bedeutung seines
Vornamens gefragt wird.
Er wird ja gefragt, von Charly, seiner späteren Freundin, und erklärt ihr,
das sei ein alter Kölner Heiliger. Ich habe selbst lange in der Nähe von
St. Gereon in Köln gewohnt.
Sie haben offenbar eine klare Vorstellung, wie es weitergeht mit Ihrem
Kommissar. Wie weit soll seine Reise in die Nazizeit noch gehen?
Bislang plane ich bis 1936; die Olympischen Spiele möchte ich mitnehmen,
weil die als Kulisse für mich verlockend sind. Und Rath muss auch im
Naziapparat arbeiten, um zu begreifen, dass er sich mit seiner angeblich
unpolitischen Haltung eins in die Tasche lügt.
Wird Rath mit seiner Immer-wieder-mal-Freundin Charly glücklich?
Natürlich nicht! Wenigstens nicht auf die Dauer.
4 Apr 2009
## AUTOREN
Gereon Asmuth
Gereon Asmuth
## TAGS
Volker Kutscher
Interview
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Der Autor der Gereon-Rath-Krimis, Volker Kutscher, spricht für seinen
Hauptprotagonisten. Der ist seit 1929 ein eigenwilliger Ermittler der
Mordkommission.
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