| # taz.de -- Buch zur Aufarbeitung NS-Vergangenheit: Nazi-Arzt in Gesellschaft i… | |
| > Die Journalisten Nicholas Kulish und Souad Mekhennet erzählen in „Dr. | |
| > Tod“ das Leben des mörderischen SS-Arztes Aribert Heim. | |
| Bild: Cover von „Dr. Tod“ | |
| Nicht nur viele sprichwörtlich furchtbare Juristen blieben nach der | |
| Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus noch lange in Amt und | |
| Würden, auch viele mörderische Mediziner und ihr Personal praktizierten | |
| nach 1945 weiter. Die beiden Journalisten Nicholas Kulish und Souad | |
| Mekhennet erzählen in ihrem Buch das Leben des SS-Arztes Aribert Heim | |
| (1914–1992). | |
| Im Konzentrationslager Mauthausen und seinen 49 Außenlagern wurden zwischen | |
| 1938 und 1945 mindestens 120.000 Häftlinge ermordet, viele davon galten im | |
| Nazi-Jargon als „kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge“. Der Standortarzt | |
| Krebsbach (1894–1946) formulierte das Ziel drastisch: „Es ist das Recht | |
| jedes Staates, sich gegen Asoziale zu schützen, auch die Lebensuntüchtigen | |
| gehören dazu.“ Viele Häftlinge wurden durch Giftspritzen umgebracht. | |
| Um das Großverbrechen zu vertuschen, wurden bei Kriegsende rund 72.000 | |
| Akten innerhalb einer Woche vernichtet. Trotzdem organisierte die | |
| sowjetische Besatzungsmacht 1946 einen Prozess gegen leitende Funktionäre | |
| des Lagers auf der Basis der Aktenbände, die der Arztschreiber Ernst Martin | |
| gerettet hatte. | |
| Zu diesen Funktionären gehörte auch der Arzt Aribert Heim, dem es jedoch | |
| gelang, seine Tätigkeit im KZ zu verschleiern. Im Spruchkammerverfahren, | |
| das nach dem Beginn des Kalten Krieges einer Farce gleichkam, machte Heim | |
| geltend, er sei „gegen seinen Willen zwangsweise zur Waffen-SS eingezogen | |
| worden“, und erklärte, „zu keiner Zeit an Aktionen, die gegen die | |
| Menschenrechte oder gegen das Völkerrecht verstoßen“, teilgenommen zu | |
| haben. | |
| Zeugenaussagen von Pflegern und überlebenden Häftlingen sprachen allerdings | |
| eine andere Sprache. Sie bescheinigten ihm „schrecklichste | |
| Unmenschlichkeiten“ bis hin zu „Benzinspritzen“ ins Herz und Operationen | |
| ohne Narkose. Allerdings waren viele Zeugenaussagen zu unpräzise oder | |
| wurden von den österreichischen Behörden nur nachlässig gesichert und | |
| verfolgt. | |
| ## Arzt im Bürgerhospital | |
| Seit dem Frühjahr 1948 arbeitete Heim in einem Sanatorium in Bad Nauheim | |
| und spielte Eishockey beim VfL Bad Nauheim. Schon während seiner Tätigkeit | |
| in Mauthausen spielte er beim Eissportklub Engelmann in Wien. Mitte Juni | |
| 1948 kündigte Heim seine Stelle in Bad Nauheim und wurde Arzt im | |
| Bürgerhospital Friedberg. | |
| Das Hessische Staatsministerium wusste Bescheid über Heims Arbeits- und | |
| Wohnorte, beantwortete aber Anfragen aus Österreich ebenso wenig wie die | |
| amerikanischen Militärbehörden. 1949 heiratete Heim Friedl Bechtold, | |
| ebenfalls Ärztin und Tochter aus reichem Hause. Ab 1953 führte Heim in | |
| Baden-Baden eine gynäkologische Praxis und bewohnte ein herrschaftliches | |
| Haus, das ihm die Schwiegereltern finanzierten. Schon 1958 kaufte Heim | |
| einen Wohnblock in Berlin mit 34 Wohnungen. | |
| Nach dem Ulmer Einsatzgruppenprozess, in dem zehn Angeklagte zwar nicht | |
| wegen Mordes, aber wegen Beihilfe dazu verurteilt wurden, koordinierte, | |
| intensivierte und professionalisierte ab April 1958 die Zentralstelle in | |
| Ludwigsburg die Ermittlungen gegen NS-Verbrecher. Ein zumindest indirektes | |
| erstes Ergebnis war der Frankfurter Auschwitz-Prozess (April 1964). Schon | |
| vorher kamen Gerüchte auf, die Heim so verunsicherten, dass er Deutschland, | |
| seine Frau und seine zwei Kinder im April 1962 fluchtartig verließ und | |
| zuerst in Tanger, dann in Kairo untertauchte. | |
| Bis zu seinem Tod, dreißig Jahre später, behielt Heim Kontakt zur Familie | |
| über den Frankfurter Anwalt Fritz Steinacker, der sich auf die Vertretung | |
| von NS-Verbrechern spezialisiert hatte. Mehr noch: Bis 1979 bestritt Heim | |
| seinen Lebensunterhalt in Kairo mit den Einnahmen aus seinem Berliner | |
| Wohnblock, die über seine Schwester – an den Steuerbehörden vorbei – nach | |
| Ägypten transferiert wurden. Heims Sohn Rüdiger besuchte den Vater dreimal | |
| in Kairo. | |
| ## Notare, Banken, Altnazis | |
| Ein Spiegel-Artikel informierte 1979 detailliert über den Fall, aber es | |
| gelang weder dem Nazi-Jäger Simon Wiesenthal noch deutschen Behörden, das | |
| Versteck Heims zu finden, der sich professionell abschirmte und willige | |
| Unterstützer – Steuerberater, Rechtsanwälte, Notare, Banken, Altnazis – um | |
| sich wusste. | |
| Das informative Buch vermittelt elementare Einsichten. Erstens: „Die | |
| persönlichen Erfahrungen zählen mehr als alle Anschuldigungen durch | |
| Außenstehende“, was Rüdiger, der Sohn Heims, schlagend belegt, der seinen | |
| Vater für unschuldig hielt. Zweitens: Die Ermittlungen gegen die Täter | |
| wurden halbherzig betrieben, trotz des unermüdlichen Einsatzes von | |
| Einzelnen wie dem Kriminalbeamten Alfred Aedtner (1925–2005), dem die | |
| Autoren sein verdientes Denkmal setzen. | |
| 16 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Walther | |
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