# taz.de -- Roman über das KZ Mauthausen: Ein minimales Glück | |
> „K.L. Reich“ aus dem Jahr 1963 ist nun auf Deutsch erschienen. Es | |
> schildert, wie spanische Antifaschisten im Lager zu überleben versuchten. | |
Bild: Die Gedenkstätte am Gedenktag 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs … | |
Der kleine Wiener Czernin Verlag legte unlängst die Übersetzung eines | |
Romans vor, der im Original bereits 1963 erschien, in Katalonien als | |
Schullektüre dient und auch im deutschsprachigen Raum endlich wahrgenommen | |
werden sollte: „K.L. Reich“ schildert den Zwangsaufenthalt eines in der | |
Nähe von Barcelona geborenen Schriftstellers, der sich für die Linke | |
engagiert und mit Beginn des Bürgerkriegs zur Armee der Republik gemeldet | |
hatte, im KZ Mauthausen. | |
Joaquim Amat-Piniella hat die Form einer auf eigenen Erlebnissen | |
basierenden Fiktion gewählt, um sich und den Lesern das Unfassliche der | |
Ereignisse vor Augen zu führen. Ihm gelingt es, spürbar werden zu lassen, | |
was im Augenblick der Erfahrung eine schiere Überforderung der Wahrnehmung | |
und des Denkens gewesen sein muss. „Man müsste Schwielen auf den Augen | |
bekommen“, lässt Amat-Piniella einen Kameraden sagen, „um das ganze Elend | |
nicht mit ansehen zu müssen.“ Noch in den bedrängendsten, lähmendsten | |
Augenblicken erweist sich seine Beobachtungsgabe. | |
Die Perspektive ist auf die große Gruppe der antifaschistischen Spanier | |
fokussiert, die unterschiedlichen Fraktionen angehören. Die straffste | |
Organisation von Widerstand wird von den Kommunisten geführt, ebenso gibt | |
es Syndikalisten, Anarchisten und Unabhängige, die allesamt die Hölle | |
überleben wollen, aber auch ersehnen, die Tatenlosigkeit überwinden zu | |
können. | |
Meisterhaft vermag sich der Autor in die Seelen und Verhaltensweisen der | |
Internierten einzufühlen: „Raue Stimmen aus verengten Kehlen … Sinnlose | |
Wörter, mit denen sich die, die sie aussprachen, und die, die sie hörten, | |
verzweifelt zu vergewissern versuchten, dass sie noch lebten, dass sie | |
weder die senkrecht gestreifte Kleidung trugen noch diese gespenstischen | |
Mienen hatten.“ Im KZ geht jeder Weltbezug verloren, alle wollen sich bloß | |
noch vergewissern, am Leben zu sein, ohne mehr etwas Sinnvolles mitteilen | |
zu können. | |
## Widersprüchliche Gefühle | |
In der extremen Lage sind die Gefühle der Inhaftierten höchst | |
widersprüchlich. Als die Spanier aus einem eher erträglichen Nebenlager ins | |
Hauptlager zurückkehren, kommt ihnen der berüchtigte, von SS-Offizieren | |
kontrollierte Appellplatz fast heimelig vor. Darin besteht einer der | |
Vorzüge des Romans: Die Gefangenen werden als Menschen dargestellt, sie | |
sind noch immer von dem Wunsch erfüllt, auch unter widrigsten Umständen ein | |
minimales Glück zu suchen. Noch werden fromme und Volkslieder gesungen, die | |
Nostalgie erzeugen. | |
Der Überlebenskampf bringt es mit sich, dass es bei manchen Verachtung für | |
diejenigen gibt, die schlimmer dran sind als sie selbst, zerlumpter und | |
hoffnungsloser. „Elend ist abstoßend.“ Mehr noch: Hin und wieder ist sogar | |
eine heimliche Faszination für die Gräueltaten festzustellen, die | |
Mitgefangenen von den Deutschen angetan werden. Da schlägt die Gier nach | |
Selbsterhaltung durch: Die Zuschauer selbst bleiben in diesem Augenblick ja | |
unversehrt. Auch erotische Bedürfnisse werden auszuleben versucht; die | |
Blockältesten stellen jungen Burschen nach, über die sie Aufsicht führen, | |
und zwischen neu eingelieferten Slawinnen und männlichen Insassen kommt es | |
zu Techtelmechteln. | |
Das Grauen wird dem Leser in erschütternder Konkretion und all seiner | |
Banalität vorgeführt. Der Nationalsozialismus ist so brutal wie | |
kleinkariert, sucht das Abscheuliche gemütlich erscheinen zu lassen. Aus | |
dem Krematorium steigt immer wieder schwarzer, nach verbrannter Wolle | |
stinkender Rauch auf. | |
Am Ende freut man sich mit den Gequälten über die Befreiung des Lagers | |
durch amerikanische Truppen. Jetzt kann Freiheit anvisiert und der Mensch | |
wieder jenseits von „Rasse“, Nationalität und Parteiung gedacht werden. | |
Dieses Buch kommt zum richtigen Zeitpunkt – in einer Situation, in der | |
Fremdenhass wieder um sich zu greifen droht. | |
26 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Eberhard Geisler | |
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