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# taz.de -- Buch zur Ardennenoffensive der Nazis: Töten, schweigen
> Ein detailversessenes Buch über die Offensive im Jahr 1944 stellt eine
> grundsätzliche Frage: Wie kann und soll man überhaupt über das Gemetzel
> sprechen?
Bild: Die Ardennenoffensive lief vom 16. Dezember 1944 bis 25. Januar 1945
Wann ist dieser Krieg vorbei? Das erste Mal, dass ich mich das gefragt
habe, ist eine Weile her, als Kind oder Teenie. Jedenfalls war ich noch
nicht in den Kosmos eingetreten, wo Schule und Medien mir einen eigenen
Blick auf das ermöglichten, was noch heute junge Praktikanten manchmal in
den Redaktionsalltag tragen: den Schock darüber, dass sie Deutsche sind,
Nachkommen von Menschen, die zumeist Hitler und Himmler dienten (eine
Verallgemeinerung, die jedenfalls dann ihre Gültigkeit hat, wenn man an den
Satz des Schriftstellers Franz Fühmann denkt: „Nicht jeder hat Juden
vergasen sollen.“).
Ich erinnere mich an einen Abend zu Hause. Der Trauzeuge meiner Eltern war
zu Besuch, vielleicht war es der Weihnachtsabend, den wir immer zusammen
feierten. Ich mochte diesen Freund der Familie sehr, ich ging mit ihm auf
die Jagd, ein Bayer war er, so einer, den Leute außerhalb Bayerns urig
nennen. Dieser Mann nun, damals um die 60, war CSU-Wähler wie meine Eltern,
was einer liberalen Lebens- und Erziehungspraxis nicht im Weg stand. Und
doch waren er und mein Vater verbal immer in der Offensive gegen alles, was
politisch links war.
Von diesem Freund nun erinnere ich einen Ausbruch, als er – Jahrgang 1926 –
zu erzählen begann, wie man ihn kurz vor Kriegsende, im Winter 1944, in die
in Deutschland sogenannte Ardennenoffensive schickte. Zerlumpt sei er
gewesen und schlecht bewaffnet, er und seine ausgehungerten Kameraden
hätten sich auf die liegen gelassenen Vorräte der Amerikaner gestürzt und
seien sich angesichts der Fülle bewusst geworden, dass sie gegen diesen
Feind nicht siegen konnten.
Das sind abenteuerliche Erinnerungsbruchstücke, die ich dem kürzlich auf
Deutsch erschienenen Buch „Die Ardennenoffensive 1944“ des britischen
Militärhistorikers Antony Beevor als Fakten bestätigt gefunden habe.
Was aber diesen Abend zu einer persönlichen Zeitwende machte, war die
Empörung; und zwar nicht die, die ich schon kannte: über die alliierten
Bomber oder die Pazifisten. An diesem Abend empörte sich zum ersten Mal ein
Quasifamilienmitglied über die verbrecherische deutsche Führung, die junge
Menschen in ein Gemetzel schickte, sie morden ließ und sie ermordete, sie
verstümmelte und jedenfalls dafür sorgte, dass der Krieg für sie, solange
sie lebten, nicht mehr aufhörte. Am Ende seiner Wutrede schrie der Freund
meiner Eltern wie ein verwundetes Vieh, er beschimpfte die Nazis, die
Generale, die Sauhunde eben, die ihm das angetan hatten. Und dann beruhigte
er sich wieder, lobte die Amerikaner, die ihre Leute nie einfach verheizt
hätten; und danach habe ich ihn nie wieder über seinen Krieg reden hören,
so wie ich auch zuvor nie etwas von ihm dazu gehört hatte.
## Ein Schreiber schweigt
Als ich das Buch von Antony Beevor in die Hand nahm, habe ich im Index
sofort nach einem anderen jungen Soldaten gesucht, einem meiner
Lieblingsautoren, dem in den Ardennen hochdekorierten US-Panzerkommandanten
Charles Willeford (1919–1988). Gefunden habe ich ihn nicht. Denn Willeford,
dessen spätere Romane Quentin Tarantino zu „Pulp Fiction“ inspirierten, ist
für einen Schriftsteller mit seiner unmittelbaren Schlachterfahrung
ungewöhnlich umgegangen: Er hat außer ein paar ultrabrutalen Skizzen kurz
nach Kriegsende nichts über sie geschrieben. Auf Nachfrage sagte er einmal,
Norman Mailer und all die anderen hätten das ja schon gutgemacht.
Und Willeford-Experten meinen, dass ihn Heroismus und menschliches Versagen
im alltäglichen Leben schlicht mehr interessiert hätten als in der
Ausnahmesituation des Gemetzels. Genauso gut könnte man bei der Lektüre
seiner Romane und Essays aber zu dem Schluss kommen, dass all seine
emotional gelähmten Helden immer noch im Krieg sind; dass sie nicht
zuletzt deswegen so cool sein müssen, weil sie die Schleusentore vor ihren
inneren Verletzungen unbedingt geschlossen halten wollen.
Ich kann nur festhalten, dass zwei Menschen, denen ich auf unterschiedliche
Weise nahe gekommen bin, es vorgezogen haben, über den Horror ihres
Krieges, den Krieg in den Ardennen, nicht zu sprechen, es sei denn in
knappen Anmerkungen oder in kurzen Gefühlsausbrüchen.
Das mag auch daran liegen, dass gerade der Zweite Weltkrieg als Geschichte
erzählt werden muss, in der einen die immer wieder bemühte „Sinnlosigkeit“
des Krieges nicht weiterbringt: Offensichtlich war es, da dieser Krieg nun
einmal von den Deutschen begonnen worden war, richtig, ihn auch zu führen,
und wichtig, dass er gewonnen wurde. Und gewonnen wurde er eben nicht
zuletzt von den Soldaten der Anti-Hitler-Koalition, die damit quasi
automatisch zu Helden werden: Denn wenn sie alle die Waffen weggeworfen
hätten – so wie es nach Beevors Schilderung viele auf alliierter Seite in
den Ardennen getan haben – dann wäre Nazideutschland nicht oder zumindest
noch später besiegt und die Menschen in den Todeslagern noch später befreit
worden. Dass umgekehrt jeder auf deutscher Seite, der den Mut hatte, zu
desertieren, auch ein Held war – so weit geht das die Perspektive
traditioneller Kriegsliteratur nie verlassende Buch von Beevor allerdings
nicht.
## Beevors Darstellung enthält jeden nur denkbaren Grusel
Was aber, wenn man vor Ort sich nicht als Held, sondern nur als Kreatur
fühlt, als dem Horror ausgeliefertes Etwas, das als Individuum
zusammenbricht, wie es so vielen Soldaten auf beiden Seiten erging, und was
dann offiziell „Schlachtneurose“, „Kriegszittern“ oder „battle fatigu…
genannt wurde? Und was, wenn wie in den Ardennnen kein
kriegsvölkerrechtlich korrekter Krieg geführt wird, sondern Gefangene
„niedergemäht“ werden – angefangen beim „Malmedy-Massaker“, wo SS-Tr…
84 amerikanische Soldaten ermordeten, die sich ergeben hatten. Die
Verbitterung auf alliierter Seite über dieses Kriegsverbrechen hatte zur
Folge, dass US-Generale Tötungen von SS-Truppen als Vergeltungsmaßnahmen
billigten: „Die Chance auf Gefangenschaft ist im Moment sehr gering“,
zitiert Beevor einen US-Offizier am fünften Tag der deutschen Offensive.
Mehr als die Helden kommen bei Beevor die Heldenmaterialmacher zu Wort.
Einer dieser Schlächter, ein deutscher Major Frank, schwärmt etwa von
seinen Kindersoldaten, einige erst 15, die meisten gerade mal 17 Jahre alt:
„Wunderbar waren die Burschen! Da geht einem das Herz auf!“ Kein Wunder:
„Männer über dreißig sind zu alt, um diese Gefechtsbedingungen
durchzustehen“, heißt es auf US-Seite über die „Todesfabrik“ in den
Ardennen.
Beevors Darstellung enthält jeden nur denkbaren Grusel, von Wildschweinen,
die die Därme von im Schnee liegen gelassenen Gefallenen fressen, bis zu
Feldlazaretten, in denen erfrorene Gliedmaße im Akkord amputiert und vor
die Tür geworfen werden, wo sich die Dorfhunde darüber hermachen. Weil ein
gefangener deutscher Soldat über all das Leid, das er mitverursacht hat, zu
grinsen scheint, will ein erboster US-Fallschirmjäger ihn erschießen. Ein
Kamerad stößt ihm den Gewehrlauf weg: „Der hat doch weder Lippen noch
Augenlider!“ Die hatte der Deutsche im Frost an der Ostfront verloren. Am
Ende der Offensive waren der Wehrmacht sogar die Tapferkeitsmedaillen
ausgegangen. Stattdessen wurden signierte Fotos von Generalfeldmarschall
von Rundstedt verteilt. „Die Division“, heißt es in einem von US-Truppen
abgefangenen Funkspruch – „glaubt nicht, dass diese Art Auszeichnung die
Infanterie in irgendeiner Weise zum Kämpfen ermutigt.“
Und darüber soll, wer dabei war, reden? Und das soll sich antun, wer sich
dem doch glücklicherweise entziehen kann? Ich habe dieses klassische
Kriegsbuch gelesen, mit Mühe und auch mit Widerwillen – und habe dafür sehr
viel länger gebraucht als die ganze Ardennenschlacht gedauert hat. Wer
will, kann das Empfehlung nehmen.
16 Apr 2017
## AUTOREN
Ambros Waibel
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