# taz.de -- Kampf für katalanische Unabhängigkeit: Schwester und Anarchistin | |
> Teresa Forcades engagiert sich für die verfassunggebende Bewegung | |
> Kataloniens. Sie ist Linke, Medizinerin und Nonne. Wie passt das | |
> zusammen? | |
Bild: „Manchen bringt sie zu viel Unruhe ins Kloster“: Teresa Forcades | |
Sant Benet/Barcelona/Berlin taz | Die Nonne Assumpta am Empfang des | |
katalanischen Frauenklosters Sant Benet kann Teresa Forcades nicht | |
erreichen. Teresa selbst, so weiß die 95-Jährige, wird heute Abend zum | |
Gottesdienst kommen. Sie ist wie immer „hier und dort“. Doch heute kommen | |
alle, auch Teresa, denn zum Gedenktag für die Schwarze Madonna von | |
Montserrat, die Schutzpatronin von Katalonien, wird eine Messe gefeiert“, | |
sagt Assumpta. | |
Vierzig Kilometer nördlich von Barcelona in den Bergen von Montserrat liegt | |
das Benediktinerinnenkloster Sant Benet. Vier Kilometer unterhalb des | |
berühmteren Männerklosters Montserrat. Diese gewaltige Klosteranlage oben | |
am Berg verkörpert die widerständige Tradition Kataloniens. Während der | |
Franco-Diktatur trafen sich hier die Oppositionellen. Heute kommt der | |
Widerstand aus dem Frauenkloster darunter. | |
Schwester Teresa Forcades, die „hier und dort“ ist, engagiert sich für die | |
verfassunggebende Bewegung Kataloniens. Und das mit der Unterstützung ihres | |
Klosters. Forcades Ziel: Für die katalanische Unabhängigkeit soll es einen | |
linken Gesellschaftsvertrag geben. Die Bewegung ist antikapitalistisch und | |
hat mehr als 50.000 Anhänger, darunter viele Akademiker und Intellektuelle. | |
Vorläufer ist die „Movimiento 15-M“, die Bewegung 15. Mai, die ab 2011 im | |
Zuge der Bankenkrise öffentlich gegen die vielen Wohnungsräumungen | |
protestierte. Um sich bis zu den katalanischen Wahlen 2019 politisch zu | |
engagieren, hat Teresa Forcades vom Vatikan für drei Jahre eine | |
Exklaustration erhalten. Die Nonne ist für diese Zeit vom strengen | |
klösterlichen Leben befreit – und seitdem im Kloster schwer zu erreichen. | |
Die Nonne Anna hat das Gespräch mit Assumpta mitverfolgt. Unaufgefordert | |
bringt sie einen Stapel Bücher von oder über Teresa Forcades i Vila, die | |
1966 in Barcelona geboren wurde und promovierte Medizinerin und Theologin | |
ist. 2005 veröffentlichte sie das Buch „Verbrechen der Pharmaindustrie“. | |
Als „rebellische Nonne“ wurde sie durch spanische Fernsehshows bekannt | |
wegen ihrer Kritik an der Grippeimpfung. Ihr Vorwurf: Diese Impfung habe | |
keinen Nutzen, sondern beschere den Pharmakonzernen extreme Gewinne. Aber | |
vor allem kritisiert sie das kapitalistische System, das Brot höher | |
besteuert als globale Finanzströme. | |
Die 85-jährige Anna gibt sich als glühende Verehrerin zu erkennen. „Wenn | |
ich einen Konflikt habe, überlege ich immer: Wie würde Teresa reagieren?“ | |
Man könne nur für oder gegen Forcades sein. Auch im Kloster seien nicht | |
alle nur begeistert, sagt Anna. „Manchen bringt sie zu viel Unruhe ins | |
Kloster.“ | |
## Kloster und Fortschritt | |
Teresa Forcades polarisiert: Sie setzt sich für die Entkriminalisierung der | |
Abtreibung ein, für gleichgeschlechtliche Liebe und für Frauenrechte auch | |
in der katholischen Kirche. Überraschend für ein Benediktinerinnenkloster | |
in den katalanischen Bergen von Montserrat? Nein, sagt Coloma Boada. Sie | |
lebt seit vierzig Jahren im Kloster und ist die Priorin und die Vertreterin | |
der Äbtissin. | |
„Ein Kloster ist immer so fortschrittlich wie die Äbtissin, die es leitet“, | |
sagt Coloma. Und die jetzige Äbtissin sei eine Frau von heute. Sie | |
unterstützte Teresas Engagement sehr, sagt die Priorin. „Die jungen Nonnen | |
bringen neue Ansichten. Wenn wir uns diesen verschließen würden, wie | |
sollten wir mit der Gesellschaft kommunizieren?“ Die 60-jährige Schwester | |
Coloma holt zur Erklärung aus. „Ob wir nun Feministinnen sind oder nicht – | |
wir sind unabhängig.“ 28 Nonnen leben hier, die jüngste vierzig Jahre, die | |
ältesten über hundert. „Wir haben unser Keramikwerkstatt, unsere Pension, | |
unsere Kurse über spirituelles Wachstum, Theologie, Philosophie.“ Teresa | |
Forcades, schließt die Priorin, sei eine Schwester unter vielen. | |
Fernab der Klostermauern von Sant Benet, im Frauenzentrum „Ca la Dona“ in | |
Barcelona, ist die 51-Jährige endlich persönlich greifbar – ein | |
jugendliches, freundliches Gesicht, grau melierte Kurzhaarfrisur, schwarze | |
Hose, schwarze Schuhe, grauer Pulli – Nonnenzivil. „In Katalonien | |
verschlingt mich die politische Arbeit“, entschuldigt sie sich. „Ich komme | |
inzwischen zum Nachdenken nach Berlin.“ Dort habe sie mehr Zeit, vertröstet | |
sie. | |
## Zeit in Berlin | |
Hier im Frauenzentrum diskutiert sie im Kreis von zehn Mitstreiterinnen | |
aller Altersgruppen. Es geht um Koedukation, um Sexismus in der Verfassung. | |
Forcades ist Schriftführerin. Nach der Diskussion bleibt Zeit für einen | |
Zwischenruf. Warum soll Katalonien eigentlich unabhängig werden, Teresa | |
Forcades? „Wir leben in einer globalisierten Welt, und ich hasse die | |
Uniformität der Städte, die Zerstörung der Artenvielfalt“, beginnt sie, | |
schnell zu reden. „Was die kulturelle Vielfalt betrifft, da habe ich Panik: | |
95 Prozent der Sprachen sind in Gefahr, zu verschwinden, reden wir dann | |
alle Englisch oder Chinesisch?“ Das politisch aktive Subjekt brauche eine | |
Verwurzelung, ist sie überzeugt. Nur so funktioniere Demokratie. Politische | |
Handlungsfähigkeit brauche kleine Einheiten. Forcades schaut auf die Uhr. | |
Schon muss sie weg. | |
Weitab des katalanischen Politikgetriebes in ihrem Berliner Stammlokal | |
Emma, deutsche Küche auf gutem Niveau, hat Teresa Forcades tatsächlich | |
Zeit. Der Kellner begrüßt sie erfreut wie eine gute Bekannte. Er serviert | |
unaufgefordert das Tagesmenü mit Mineralwasser. In Berlin hat Teresa | |
Forcades seit 2009 eine Gastprofessur an der Theologischen Fakultät der | |
Humboldt-Universität. | |
Wie wurde sie, die Medizinerin, eigentlich Nonne? „Ich quartierte mich 1997 | |
im Kloster Sant Benet ein, um mein medizinisches Examen vorzubereiten. Da | |
fühlte ich die Berufung, Schwester zu werden“, sagt sie. „Die damalige | |
Äbtissin, eine fortschrittliche Frau ganz im Geiste des Klosters | |
Montserrat, bremste mich zunächst: Ich sollte erst meinen Weg weitergehen, | |
ich hatte ein Stipendium für Harvard.“ Doch die Zweifel an der Medizin | |
brachte schon die Arbeit in einem New Yorker Krankenhaus. „Kranke werden | |
dort als Erstes mit der Frage nach ihrer Versicherung konfrontiert. Haben | |
sie keine, werden sie abgewiesen. Das habe ich nicht ertragen“, sagt | |
Forcades. | |
## Die Schwarze Madonna | |
Wie steht die Feministin Forcades zum Kult um die Schwarze Madonna von | |
Montserrat, seit 1881 die Schutzheilige Kataloniens? „Ich komme aus keinem | |
religiösen Elternhaus, aber das Bild der Jungfrau von Montserrat war auch | |
bei uns zu Hause. Als ich ins Kloster eintrat, war mir klar: Sie war eine | |
diskrete Begleiterin meines Lebens.“ | |
Und was hält die Medizinerin Forcades von der Jungfrauengeburt? „Ich | |
verstehe die Muttergottes als die Schöpferin des Göttlichen. Denn Gott ist | |
nichts, das von oben kommt. Jeder auf der Welt gebärt Gott auf verschiedene | |
Weise. Gott, das ist ein Ja zur Wahrheit, zur Schönheit, zur Liebe. Franz | |
von Assisi hat gesagt, wir müssen Muttergottes werden. Jeder von uns. Gott | |
existiert durch uns in der Welt. Die Jungfräulichkeit Marias heißt für | |
mich: Mutter werden, aber auch sich selbst bleiben, seine Integrität | |
bewahren. Und nicht nach dem patriarchalen Modell in der Aufopferung für | |
andre sich aufzulösen.“ | |
Die aufgeklärte Nonne setzt auf die Modernisierung der katholischen Kirche, | |
auch auf Papst Franziskus. Sie hat ein Buch über ihn geschrieben. „Seine | |
Amtszeit muss danach bewertet werden, wie die Stellung von Frauen in der | |
katholischen Kirche verbessert wird“, sagt sie. Im Grunde verfolge die | |
Kirche ja ähnliche Ziele wie linke Politik – die Ermächtigung der | |
Benachteiligten und Schwachen. „Ich bin nicht allein mit dieser Meinung“, | |
sagt Forcades. „Die Schwestern und mein Bischof stehen hinter mir.“ Und | |
eine ganze Tradition – von der Bergpredigt über die Armutsorden bis zur | |
Theologie der Befreiung. | |
Dass der Berliner Tagesspiegel sie als [1][kommunistische Nonne bezeichnet | |
hat], ärgert sie: „Ich bin für Privateigentum, aber im Sinne der | |
Soziallehre der Kirche, im Sinne sozialer Gerechtigkeit. Im Herzen bin | |
ich Anarchistin.“ Veränderung komme immer von unten. | |
Kritik und Anfeindung begleiten sie. Nach ihrem Buch „Verbrechen der | |
Pharmaindustrie“ verunglimpften sie Vertreter von Pharmakonzernen als | |
Verschwörungstheoretikerin. „Fake-Nonne“ wurde sie von der immer | |
stromlinienförmiger werdenden Zeitung El Pais genannt. „Ich belege meine | |
Vorwürfe mit Fakten“, kontert Forcades. „Die wurden nie widerlegt.“ | |
## Im Schnellschritt | |
Teresa Forcades, 1966 in Barcelona geboren, spricht schnell, denkt schnell, | |
sie wechselt mühelos vom Spanischen ins Deutsche oder Englische. Genauso | |
mühelos verbindet sie Kapitalismuskritik, Spiritualität, Feminismus, das | |
Evangelium und die katalanische Unabhängigkeitsbestrebungen. Teresa | |
Forcades ist offen, überlegt, direkt. Keine Eiferin, keine Rechthaberin: | |
eine radikal Suchende. | |
Das fängt die politische Stimmung so vieler auf: das Misstrauen gegen | |
etablierte Parteien, die Hilflosigkeit traditioneller Politik, die Kritik | |
an der Entrechtung der Abgehängten und der grassierenden Korruption. Es ist | |
die intellektuelle Mittelschicht Kataloniens, die zu ihren thematisch breit | |
angelegten Kursen ins Kloster kommt: von der „Revolution heute“ über | |
„Simone Weil“ über „Karl Marx“ bis zur „feministischen Theologie“. | |
Einer aus dieser Mittelschicht ist der Pädagoge Ernesto; mit Religion hat | |
er nichts am Hut. Die Faszination, die Teresa Forcades ausübt, erklärt er | |
so: „Sie hat mich wieder in Schwung gebracht, Denkprozesse angeregt und | |
vor allem verknüpft. Wie sie sich dabei verkleidet, ist mir egal.“ | |
21 Jun 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tagesspiegel.de/kommunistische-nonne-ich-glaube-nicht-an-einen-m… | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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