# taz.de -- Münchner Pinakothek der Moderne: Kamindekoration für den Führer | |
> Wie politisch sind nackte Frauen? „GegenKunst“ in der Münchner Pinakothek | |
> der Moderne konfrontiert Nazikunst mit „entarteter“ Malerei. | |
Bild: Adolf Ziegler, „Die vier Elemente“, vor 1937 (Ausschnitt). | |
Ein zentraler Raum mitten in der ständigen Ausstellung der Pinakothek der | |
Moderne in München fordert die Museumsbesucher heraus. In ihm ist eine | |
kleine, provokative Ausstellung installiert, die Werke der „deutschen | |
Kunst“ mit solchen der „entarteten Kunst“ konfrontiert und somit ein | |
Spannungsfeld zwischen den Motiven und Arbeitsformen | |
nationalsozialistischer Kunst und exponierten Meisterwerken der Avantgarde | |
erzeugt. | |
Seit 1945 wurden die Werke des Nationalsozialismus nur in gesonderten | |
Ausstellungen und in Geschichtsmuseen gezeigt. Ein Anlass, diese Konvention | |
zu durchbrechen, ergab sich aus der Tatsache, dass etwa Adolf Zieglers Bild | |
„Die vier Elemente“ von 1936 immer wieder in die USA ausgeliehen wurde, so | |
in die Neue Galerie Ronald S. Lauders in New York und in eine Ausstellung | |
zum Realismus der dreißiger Jahre. Vor diesem Triptychon ist Joseph Thoraks | |
Paarskulptur „Zwei Menschen“ von 1941 positioniert. | |
Der Mann wirkt in der übergroßen idealen Körpergestalt der arischen | |
Männlichkeitsvorstellung in sich gekehrt. An ihn geschmiegt, eine etwas | |
kleinere Frau, die sich hingebungsvoll zu ihm aufreckt. Zwischen den | |
Körpern ein Tuch, ein Symbol für die prüde Geschlechterkultur. | |
Diese nationalsozialistisch codierte Kunst wird mit Max Beckmanns | |
Triptychon „Die Versuchung des heiligen Antonius“ von 1936/37 konfrontiert, | |
ein Werk, das als „entartete Kunst“ stigmatisiert wurde. Otto Freundlichs | |
Skulptur „Der Aufstieg“ von 1929 bildet einen weiteren abstrakten Pol. | |
Ferner hängt das Werk „Kreuzigung“ von Francis Bacon aus dem Jahr 1965 im | |
Raum. | |
## Totalitarismus der Abstraktion | |
Es war das erste Werk, das erneut als figürliche Malerei angekauft wurde, | |
um die westliche Moderne in die Sammlung einzubeziehen. Denn im Unterschied | |
zum selbstverständlichen Pluralismus in den englischsprachigen Ländern, war | |
Deutschland nach der totalitären Ausschließlichkeit der „deutschen Kunst“ | |
bis 1945 in den fünfziger und sechziger Jahren in einen Totalitarismus der | |
Abstraktion gerutscht. | |
Der Blick des Museumsbesuchers kann nun bei seinem Rundgang im Raum die | |
Werke in unterschiedlichen ästhetischen Kombinationen in den Blick nehmen. | |
Damit werden die konträren Auffassungen der künstlerischen Arbeit in dieser | |
Zeitgenossenschaft sichtbar. | |
Dieser Versuch ist konsequent, da insbesondere die Bayerischen | |
Staatsgemäldesammlungen in den fünfziger Jahren einen Bestand von 900 | |
Werken aus Staatsbesitz „überstellt“ bekommen hatten, der aus den | |
enteigneten Sammlungen der NS-Führung um Hitler, Göring sowie Bormann | |
stammte und in Depots lagerte. Dabei umfasste dieser Bestand ohnehin nur | |
solche Werke, die in ihrem Motiv von amerikanischen Kunstoffizieren als | |
unbedenklich betrachtet worden waren. Werke mit erkennbarer politischer | |
Symbolik waren bereits 1946 in die USA verbracht und 1985 nur in Teilen an | |
die Bundesrepublik zurückgegeben worden. | |
In unserem kollektiven Bewusstsein wird Zieglers Bild nach wie vor mit der | |
politischen Programmatik der NS-Ideologie mit ihrer Rassentheorie | |
verbunden. Steht man nun erstmals auf Augenhöhe vor dem Bild, so sieht man | |
die akademische Arbeitsweise des Malers, seinen handwerklich-präzisen | |
Farbauftrag auf der textilen Struktur der Leinwand. „Die vier Elemente“ | |
werden von herben, eher bäuerlichen Frauenfiguren mit erstaunlich ähnlichen | |
Gesichtern symbolisiert, die auf Truhen sitzen. Die Allegorien von Wasser, | |
Feuer, Erde und Luft wirken allerdings körperlich eher unscheinbar. | |
Ziegler konnte sich zeitweise Hoffnungen machen, Leitbilder für die neue | |
Malerei im NS-Staat zu setzen. Hitler hatte ihn bereits 1933 als Professor | |
an der Akademie der bildenden Künste München eingesetzt. Dadurch erhielt er | |
den in der NS-Gesellschaft so prestigeträchtigen Nimbus einer besonderen | |
Nähe „zum Führer“. 1936 avancierte Ziegler zum Präsidenten der Reichskam… | |
der bildenden Künste. Hitler kaufte „Die vier Elemente“ für den Platz | |
oberhalb des Kamins in der Wohnhalle im „Führerbau“ Paul Ludwig Troosts in | |
München an. Dieses Bild erhielt in der ersten „Großen deutschen | |
Kunstausstellung“ von 1937 einen exponierten Platz. All dies trug zu dieser | |
besonderen Codierung des Triptychons bei. | |
## „Reichsschamhaarmaler“ | |
Diejenigen Besucher, die diesen historischen Kontext nicht kennen, stehen | |
in der Ausstellung vor einem Bild als einer bloßen figürlichen Malerei | |
dieser Zeit, wie insbesondere zahlreiche Besucher in den amerikanischen | |
Ausstellungen. Jedoch selbst für nationalsozialistisch orientierte | |
Zeitgenossen mag damals eine politische Aussage auf der Leinwand nicht | |
erkennbar gewesen sein, sodass die penible Malweise bei seinen Akten sich | |
in der Kommentierung zu Ziegler in den Vordergrund schob und ihm den | |
Spottnamen „Reichsschamhaarmaler“ eintrug. | |
Ist dieses Werk heute gefährlich? Ich kann dies schwerlich erkennen. Erst | |
der kunstpolitische Kontext gab diesem Bild damals eine Bedeutung. Daher | |
ist es ein großartiger Einfall des Hauses, in diesem Raum nicht klassische | |
Führungen zu veranstalten, sondern unter „Diskutieren statt führen“ die | |
reflexive Auseinandersetzung vor den Werken zu fördern. Für diese werden | |
Experten eingeladen, die auf Fragen des Publikums Bezug nehmen. „Es ist | |
Zeit“, sagt eine interessierte Besucherin, „dass wir endlich systematischer | |
beginnen, uns kritisch mit dieser merkwürdigen Hinterlassenschaft zu | |
beschäftigen.“ | |
29 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Ruppert | |
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