# taz.de -- Führer, Blubo, NS-Kitsch: Die gern vergessenen Gemälde | |
> Worpswede zeigt zum 125. Geburtstag seiner Künstlerkolonie endlich auch | |
> die Bilder, die jahrzehntelang nicht gezeigt wurden. | |
Bild: Politisch korrekt: Jürgen Bertelsmanns "Als Arbeitsmann im Kahnlager ,Gr… | |
Endlich werden sie nicht mehr weg gelassen: Etwa Fritz Mackensens Porträt | |
des Reichsarbeitsdienst-Führers Konstantin Hierl, der mit leuchtenden | |
Partei-Abzeichen und Eisernem Kreuz vor dem berühmten Worpsweder | |
Wolkenhimmel steht, hinter ihm muskulöse Männer, die ameisengleich die | |
norddeutsche Tiefebene mit ihren Spaten bearbeiten. Oder die | |
„Stedingsehre“-Panoramen, mit denen sich die Maler der Künstlerkolonie um | |
lukrative öffentliche Aufträge bewarben. Der „Stedingsehre“-Mythos um den | |
Unabhängigkeitskampf der Stedinger Bauern gegen den Bremer Bischof spielte | |
in der Kulturpolitik des „Dritten Reiches“ eine herausragende Rolle. | |
Moritz Rinke hat die geschichtsklitternden Attitüde seines Heimatdorfes mit | |
dem Roman „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“ treffend karikiert: | |
Nazi-Denkmäler blubbern dort aus dem moorigen Untergrund auf, stehen den | |
Geschäftsinteressen im Weg und müssen heimlich in eben dieses Moor wieder | |
entsorgt werden. Obwohl sich die Sonderausstellung „Mythos und Moderne“ zum | |
125. Geburtstag der Koloniegründung nur auf einen sehr kleinen Teil der | |
Worpsweder NS-Bildproduktion beschränkt, ist das nun anders – und das ist | |
für alle Beteiligten eine große Erleichterung. | |
Es geht um eine umfassende Entmystifizierung: Lässt man die zwölfeinhalb | |
Jahrzehnte, in denen bisher Worpsweder Kunst produziert wurde, summarisch | |
vorüberziehen, fällt auf, wie schwach die Position der Moderne im Worpswede | |
der Zwischenkriegszeit war. Sie führte ein Schattendasein. Ebenso auffällig | |
ist, dass sich sehr wenige jüdische Künstler im Teufelsmoor niederließen. | |
Bram van der Velde sagte im Rückblick auf seine Worpsweder Zeit zwischen | |
1922 und 1924: „Die Welt ging dort an uns vorbei. Vom Bauhaus habe ich erst | |
in Paris gehört.“ | |
Schon die Koloniegründer von 1895 kamen sich deutlich revolutionärer vor, | |
als sie waren: Weder in Format- und Farbfragen noch im Pinselduktus | |
entfernten sie sich essentiell von den Konventionen der | |
akademisch-bürgerlich Malerei, in der sie ausgebildet worden waren. Auch | |
etliche ihrer Lehrer malten gerne mal Plein-air. Einzig ihre Besessenheit | |
von den Sujets der norddeutschen Landschaft und ihrer Bewohner war neu – | |
und ideologisch fragwürdig. | |
Die Flaute in Sachen Zwischenkriegs-Moderne findet ihre logische | |
Entsprechung in den Erfolgen vor 1918 und nach 1933: Der aufkommende | |
Nationalsozialismus habe „die traditionelle Kunstauffassung der ,Alten | |
Worpsweder‘ bestätigt, stellen die KuratorInnen Katharina Groth und Björn | |
Herrmann fest, und das entspricht in der Tat der wechselseitigen | |
Wahrnehmung. | |
Gaukulturwart Friedrich Esser erklärte 1939: „Was wir heute mit dem Begriff | |
Blut und Boden meinen, das haben Mackensen und seine Freunde in den Bildern | |
der niederdeutschen Landschaft und ihrer Menschen unbewusst schon damals | |
auf den Schild gehoben.“ Ganz bewusst hingegen begeisterte sich Mackensen | |
im März 1933 auf einer Worpsweder Wahlkampfveranstaltung der NSDAP für die | |
„gewaltige Welle der nationalen Besinnung“ – die nicht zuletzt seine in d… | |
Weimarer Zeit eher unbeachtet gebliebenen Werke wieder populär machte. | |
## Mackensen malte Bilder der „erbgesunden Familie“ | |
Nun wurde er von der Reichskulturkammer eingeladen, „Sinnbilder der | |
erbgesunden, kinderreichen Familie und der kindsfrohen deutschen Mutter“ zu | |
malen. Mackensens großformatiges Gemälde einer solchen Bauernfamilie ist in | |
der Ausstellung erstmals wieder zu sehen: Die US-Army hatte es 1945, nach | |
Beschlagnahme der Mackensen-Villa, für Schießübungen genutzt. Mackensen, | |
übrigens Vater einer behinderten Tochter, zerschnitt dann die Reste und | |
verkaufte sie als Einzel-Porträts. Nun gelang die Rekonstruktion. | |
Die Ausstellung schließt ein ganzes Stück der Lücke, die zwischen der | |
interessengeleiteten Selbstdarstellung des Ortes und deren Kritikern | |
besteht. Ferdinand Krogmann, der vor drei Jahren mit „Worpswede im Dritten | |
Reich“ eine detaillierte Studie vorlegte, wurde vor Ort häufig angefeindet | |
– nun beziehen die Ausstellungs- und Katalogmacher Krogmanns reichhaltigen | |
Quellenfundus endlich mit ein. | |
Aus Krogmanns Sicht wiederum ist die Ausstellung „ein wichtiger Schritt zu | |
mehr Ehrlichkeit“. Es sei „ein Erfolg, dass nun nicht mehr verschwiegen | |
wird, wie stark die Koloniegründer von den Theoretikern der Heimatkunst | |
beeinflusst waren“ – die die „echte“ Kunst an den „,Geist der Scholle… | |
die niederdeutsche Rasse banden“. Gleichwohl beklagt Krogmann „ärgerliche | |
inhaltliche Fehler“ in den Katalogtexten. Etwa die Aussage, Mackensens und | |
Carl Emil Uphoffs Versuch, eine Worpsweder Ortsgruppe des „Kampfbundes für | |
deutsche Kultur“ zu gründen, sei misslungen. Doch die war in der Tat aktiv. | |
Die Lehre aus den substantiellen Worpsweder Verwicklungen ist allerdings | |
nicht nur, dass Nationalsozialismus und völkisches Denken in weitgehend | |
deckungsgleichen Gedankenwelten wurzeln. Sondern auch, dass sehr modern | |
orientierte Künstler wie Bernhard Hoetger eine hohe Affinität und | |
Anschlussfähigkeit entwickelten. Hätte sich der von Goebbels favorisierte | |
„Nordische Expressionismus“ als NS-Leitkultur durchgesetzt – Worpswede | |
hätte ein noch größeres Problem. So aber gelten Hoetgers | |
Backstein-Experimente primär als pittoresk. | |
## Besuch beim letzten noch lebenden Gründer-Enkel | |
Doch was sagt das alte Worpswede zu dem neuen Wind, der durchs Dorf geht? | |
Einen Künstler gibt es noch, dessen bisheriges Leben fast drei Viertel der | |
Zeitspanne umfasst, in der in Worpswede KünstlerInnen lebten. | |
Besuch bei Hans-Georg Müller im Haus am Schluh, am Rande des Dorfes. Der | |
90-Jährige ist der letzte Lebende aus der Generation der Gründer-Enkel: | |
Müllers Großvater ist der legendäre Heinrich Vogeler, der seinen Barkenhoff | |
1931 der „Roten Hilfe“ überließ und in die Sowjetunion emigrierte. Mülle… | |
Vater Walter hingegen war kein Kommunist, sondern anpassungsbereit. | |
Jetzt steht der alte Mann in seiner Werkstatt, in der er noch täglich an | |
großformatigen Holzintarsien-Porträts arbeitet, und schaut auf seine | |
kräftigen Hände herunter. Im Dorf hängt derzeit das meterlange | |
Stedingsehre-Bild seines Vaters. Wenn man Walter Müllers stark abstrahierte | |
Bilder wie „Weyerberg mit roten Pferden“ von 1920 kennt, überrascht, wie | |
sehr sich der Vogeler-Sohn dem heroisierenden Realismus der NS-Zeit | |
anpasste. Hans-Georg Müller kann sich noch gut daran erinnern, wie sein | |
Vater an „Stedingsehre“ gearbeitet hat, 1937, als Wettbewerbs-Beitrag zur | |
Ausmalung des Oldenburger Landtags. | |
„Ich hätte das jetzt eigentlich nicht wieder rausgekramt“, sagt Müller – | |
der das letztlich aber akzeptiert hat. Auch, dass „der „fürchterliche | |
Moorbauer“ von Mackensen, den er gar nicht leiden mag, derzeit bei ihm im | |
Haus am Schluh hängt, musste Müller schlucken. Der „Trinkende Bauer“ ist | |
ein anachronistisches Bild, das die harte Landarbeit heroisch verklärt, | |
aber in Postkartenform auch von heutigen Touristen gern gekauft wird. | |
Worpswede hat sich erfolgreich daran gemacht, unterstützt mit viel EU-Geld, | |
sowohl seine Museen zu modernisieren als auch Inhalte und Images zu | |
überdenken. Die Kontextualisierung der Kunst durch Kuchen und Kommerz | |
funktioniert freilich immer noch: Worpswede vermarktet sich weiterhin als | |
„Insel des Schönen“. | |
Dabei kann man gerade in der Ausstellung bestens nachvollziehen, wie auch | |
der Kitsch eine vitale Traditionslinie hin zum Nationalsozialismus hat: | |
Fritz Uphoffs „Torfkähne vor dem letzten Abendrot“ von 1941/ 42 aus dem | |
Besitz der Kreissparkasse Osterholz ist mit seiner ebenso suggestiven wie | |
banalen Stimmungsmalerei dafür ein gutes Beispiel. Dass es sich auch heute | |
noch großer Beliebtheit erfreut, hat mit den gleichen Altlasten zu tun, | |
deren Wurzeln jetzt offener liegen. | |
4 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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