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# taz.de -- Malerkolonie: Worpswede erfindet sich neu
> Ein Künstlerdorf denkt um: Statt auf Konkurrenz setzt Worpswede nun auf
> langfristige Kooperationen. Dazu stehen immerhin neun Millionen Euro zur
> Verfügung. Der größte Teil davon kommt von der Europäischen Union.
Bild: Ganz Worpswede? Nein. Ein kleines Museum, genannt "Käseglocke", ist nich…
Die Gründerväter der Worpsweder Malerkolonie würden sich wohl verwundert
die Augen reiben: Sollte ihren UrenkelInnen tatsächlich gelingen, woran sie
selbst vor 120 Jahren so grandios gescheitert sind? Fritz Mackensen, der
spätere Nazi, Heinrich Vogeler, der glühende Kommunist, Hans am Ende und
all die anderen von den Akademien kommenden Jungkünstler wollten ja nur zu
gern in brüderlicher Eintracht die Natur malen. Und als künstlerische
Gemeinschaft leben - wäre da, neben Politik, Ideologie und Konkurrenz,
nicht allerlei Eitelkeit und Eigenbrödlertum zum Tragen gekommen. Nun aber
schicken sich die Kulturinstitutionen des Ortes tatsächlich an, verbindlich
und dauerhaft zusammenzuarbeiten - mindestens bis 2028.
Die Gründung des "Worpsweder Museumsverbundes" ist ein Novum in diesem Ort
am Teufelsmoor, in dem noch immer die Familienclans der später zum Teil
heftig verfeindeten Koloniegründer leben, nebst rund 150 aktiven
KünstlerInnen. Der Barkenhoff, den Heinrich Vogeler der "Roten Hilfe" zur
Verfügung stellte, ist ebenso im Verbund dabei wie das "Haus im Schluh"
seiner Ex-Frau Martha, die sich nach der Scheidung und Vogelers Emigration
in die Sowjetunion in Richtung Nationalsozialismus orientierte. Dazu kommen
die Kunsthalle, der Diedrichshof und die "Große Kunstschau" - ein
architektonisches Meisterwerk von Bernhard Hoetger, dessen Vita und Werk
zwischen den politischen Extremen der Zeit wild mäandern.
Diese früher sehr auf ihre Selbstständigkeit bedachten Einrichtungen
akzeptieren jetzt ein gemeinsames Marketing, sogar eine übergeordnete
künstlerische Leitung durch den Museumsverbund. Andere Institutionen wie
das Modersohn-Haus und die sehr kleine, 1926 von Bruno Taut und dem
expressionistischen Schriftsteller Edwin Koenemann 1926 erbaute
"Käseglocke", heute Museum für Möbel und Kunsthandwerk, halten sich in
Sachen Verbund bislang freilich noch zurück.
Image zu altbacken
Die Einsicht der dritten und vierten Generation hat mit Klugheit und Geld
gleichermaßen zu tun. Vor fünf Jahren verdonnerte das niedersächsische
Kulturministerium die örtlichen Akteure und Institutionen dazu, einen
gemeinsamen "Masterplan" zu erarbeiten. Das Image des Künstlerdorfes war zu
altbacken geworden, auch zu Backwerk-orientiert - die "Tortentouren" der
Busunternehmer nach Worpswede sind ein tendenziell rückläufiges Geschäft.
Auch die Strategen der einst hoffnungsvollen Bremer "Kulturhauptstadt
2010"-Bewerbung sahen dringenden Veränderungsbedarf.
Für Worpswede erweist es sich allerdings als Glücksfall, dass es nicht als
Bremer Bewerbungs-"Beiboot" zum Kulturhauptdorf Europas wurde. Bei der EU
gibt es schließlich noch andere Programme und Profile: Die 2007 erfolgte
Definition als "strukturschwaches Gebiet" ist finanziell deutlich
lukrativer als der entgangene Kulturlorbeer. Gut sechs Millionen Euro
überweist die EU in den kommenden drei Jahren nach Worpswede, genauer der
"Europäische Fonds für regionale Entwicklung". Kreis und Gemeinde sind mit
jeweils fast einer Million Euro beteiligt, dazu kommt eine weitere Million
vom Land und seinen Stiftungen.
Hinter einer derartig erfolgreichen Mittel-Akquise steckt jede Menge Arbeit
- zum Beispiel die von Matthias Jäger. Der bisherige Kulturreferent des
Landkreises Osterholz und jetzige Geschäftsführer des in Gründung
befindlichen Museumsverbundes verweist auf 35 Aktenordner: das
Antragskonglomerat, mit dem ab diesem Sommer insgesamt 9,3 Millionen Euro
nach Worpswede gelenkt werden.
Kein anderer Ort in Niedersachsen erhält eine so hohe Förderung für Kultur
und Kulturtourismus, sagt Johanna Wanka, die niedersächsische
Kulturministerin (CDU). Folgerichtig war sie gestern dabei, als der
symbolische Sanierungsbeginn der Worpsweder Museen feierlich begangen
wurde.
Die niedersächsische SPD nutzt den Worpswede-Besuch der Ministerin
allerdings dazu, Salz auf eine gerade erst vernarbte Wunde der örtlichen
Kultur zu streuen: die Künstlerstipendien sind nach Lüneburg verlegt
worden. "Worpswede darf nicht zum Museumsdorf degradiert werden", mahnt
Daniela Behrens, die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im
Hannoverschen Landtag. Vergangenes Jahr hatte Wankas Amtsvorgänger Lutz
Stratmann (CDU) verfügt, dass der künstlerische Nachwuchs aus aller Welt
künftig in die Lüneburger Heide statt ins Teufelsmoor kommt - dank der
Leuphania-Universität sei ein stärkerer kreativer Austausch zu erwarten.
Vor Ort bemüht sich der Atelierhausverein um eine wenigstens temporäre
Weiterführung der Stipendiaten-Tradition, vielleicht in Gestalt einer
internationalen Sommerakademie. Dass Wanka dem Verein gestern keinen Besuch
abstattete, hält die Opposition für ein abermaliges Versagen der
Landesregierung. Diese sähe die Zukunft Worpswedes offenbar "in der
Vergangenheit", sagt Behrens - "dieser Ansatz ist zu kurz gesprungen".
Selbst SPD-Bundeschef Frank-Walter Steinmeier und der Schriftsteller Günter
Grass hatten sich für den Erhalt der Ateliers stark gemacht. Der
Literaturnobelpreisträger sah in ihrem Abzug "ein Beispiel mehr für
Geschichts- und Kulturvergessenheit" in Deutschland.
Schluss mit den Artefakten
Doch wer sich in Worpswede umsieht, spürt durchaus das Bemühen um
Zeitgenossenschaft. Man braucht sich nur in die Ortsmitte begeben, dorthin,
wo sich "Kaffee Worpswede", Große Kunstschau und Kunsthalle einen von alten
Kiefern bewachsenen Hang hinauf ziehen. Um hier noch Spuren der
"Väterkunde" zu finden, denen bis vor fünf Jahren ein ganzes Haus gewidmet
war, muss man freilich um ein paar Ecken herum. Da, etwas lieblos am Rand
des Museumsareals platziert, sieht man sie dann, die nachgebauten
Hügelgräber und Steinkreise - die letzen Reste der umfangreichen Sammlung
des Kaffee Hag-Erfinders Ludwig Roselius. Mit zahlreichen volkskundlichen
Exponaten (und Plagiaten) hatte der "beweisen" wollen, dass die
norddeutsche Bevölkerung von den sagenhaften "Atlantern" abstamme, einer im
Meer versunkenen "Herrenrasse".
2005 war in Worpswede auch faktisch Schluss mit den Artefakten der
ideologiebefrachteten Roselius-Sammlung. Der Landkreis finanzierte die
Sanierung des Gebäudes und setzt die Umwidmung zu einem Museum für moderne
Kunst durch. Heute ist das Gelände schon wieder Baustelle: Der bisherige
Innenhof wird überdacht, 120 Quadratmeter Ausstellungsfläche kommen hinzu,
vor allem auch ein unterirdisches Depot und eine moderne Klimaanlage. Die
Menhire am Baustellenrand sind von Zementstaub bedeckt.
Kein Zweifel, in Worpswede sind substantielle Veränderungen zu beobachten.
2014, zum 125. Gründungsjubiläum der Malerkolonie, sollen alle Gebäude
durchsaniert sein, inklusive der beiden großartigen Künstlergärten am
Barken- und am Diedrichshof. Im Philine-Vogeler-Haus entsteht ein zentrales
Informationszentrum. Die neue künstlerische Achse wird dann bereits ihre
zweite Bewährungsprobe durchmachen: das alle zwei Jahre steigende zentrale
Ausstellungsprojekt. "Wir wollen gemeinsam ein übergreifendes
Ausstellungskonzept realisieren", sagte die künstlerische Leiterin des
Verbundes, Sabine Schlenker. Sie kennt sich aus mit dem Spannungsfeld
zwischen ambitionierter Kunst und einem ländlich geprägten Umfeld, sie hat
im Emder Nannen-Museum volontiert. Für ihre Bewerbung in Worpswede war es
womöglich auch kein Nachteil, dass sie sich aus Wales bewarb und das Dorf
nie zuvor betreten hatte.
Als erster, 2012, steht Vogeler im Mittelpunkt. Dann wird sich Mackensen
wohl nochmal kräftig im Grabe wälzen.
5 Aug 2010
## AUTOREN
Henning Bleyl
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