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# taz.de -- Vom Moor bis nach Moskau: Neuanfang mit Vogeler
> So viel Vogeler gabs nie - geschweige denn, so viel Gemeinsamkeit. Die
> Worpsweder Museen, nun zu einem Verbund zusammengeschlossen, haben eine
> große Gemeinschaftsausstellung zum Schillerndsten der Kolonieväter auf
> die Beine gestellt
Bild: Mit Urgroßmutter Martha: Berit Müller (links) und Daniela Platz. Vogele…
Überall Martha. Wer Vogeler sucht, bekommt zunächst Martha zu sehen: Der
berühmte Jugendstilkünstler Heinrich Vogeler malte seine Muse, Ehefrau und
Mutter der gemeinsamen drei Töchter, immer und überall. In romantischen
Märchenposen, im Birkenhain, der seinem „Barkenhoff“ den Namen gab, in Haus
und Garten. Insofern ist die große Vogeler-Schau, die ab diesem Wochenende
in Worpswede zu sehen ist, auch eine späte Hommage an die Tochter des
Dorfschullehrers – in die sich Vogeler, hoffnungslos idealisierend, 1894
verliebte.
Die Gemeinschaftsausstellung, an der die vier größten örtlichen Museen
beteiligt sind, zeugt von einer weiteren Liebe, die allerdings deutlich
jünger ist: die der vier Häuser zueinander. Seit einem Jahr sind sie in
einem Museumsverbund vereint, ein Umstand, der nun doch wieder historische
Dimensionen hat – in Worpswede neigen sowohl Künstler als auch
Kirchengemeinden zu kompromissloser Fraktionierung. Schon wenige Jahre nach
der legendären Koloniegründung 1889 löste sich der Künstlerverein der
Gründerväter im Streit auf. Der jetzt gelungene Quantensprung hat eben so
viel mit geschickten, von außen kommenden Akteuren wie mit Geld zu tun: Die
strategische Notwendigkeit, in der Landeshauptstadt und bei der EU
gemeinsame Sanierungs-Millionen zu beantragen, wurde in inhaltliche
Allianzen umgemünzt.
Für Worpswede ist es ein großer Glücksfall, dass 2012, am Ende der
Sanierungsphase seiner Museen, Vogelers Doppeljubiläum liegt: Wer im selben
Jahr 140. Geburtstag und 70. Todestag hat, verfügte zwar über nicht allzu
viel Zeit zum Leben und Arbeiten, trotzdem hat kein anderer Worpsweder ein
so facettenreiches Schaffen hinterlassen, das sich schlüssig auf
verschiedene Stationen aufteilen lässt. Zudem ist Vogeler ein
Sympathieträger: Im Gegensatz zu den Künstlerkollegen, die sich
größtenteils als einigermaßen egoistisch orientierte Sonderlinge erwiesen,
suchte Vogeler dauerhaft das gemeinschaftlich gelebte Künstlertum: Sein
„Barkenhoff“ war geistiger Mittelpunkt der Kolonie. Und 2013? Da hätte man
wohlmöglich den 60. Todestag von Fritz Mackensen groß begehen müssen – der
Patriarch unter den Gründern, zunächst auch der erfolgreichste, aber leider
ein Nazi.
Ein großes Verdienst von Kuratorin Beate Arnold liegt darin, das größte der
Worpsweder Häuser der Sowjetkunst Vogelers zu widmen. Die ist viel
unbekannter als Vogelers ebenso phantasievoller wie gefälliger
Jugendstil-Output. In der „Großen Kunstschau“ also, die erheblich erweitert
und modernisiert ist, hängen nun Vogelers „Komplexbilder“ – die Kunstfor…
von der Vogeler hoffte, sie könne Ausdruck einer sozialistischen
Gesellschaft sein.
Formal handelt es sich um kubistisch anmutende Collagen, die
bilderbuchartig vom neuen Leben in der Sowjetunion (SU) erzählen, in die
Vogeler 1931 emigrierte. Allerdings entsprachen sie nicht dem verordneten
sozialistischen Realismus. Einige Komplexbilder zerlegte Vogeler deswegen
mit der Schere in „normale“ Formate, andere übermalte er. Sein „Deutscher
Stachanow-Arbeiter im Erholungsheim in Sotschi“ etwa war in verzahnte
biografische Bilder eingebettet, die von KZ-Szenen über die Flucht in die
SU bis zu Fabrikszenen reichen. Vogeler opfert die bildliche Vielfalt einer
ruhigen Hintergrundlandschaft. Anerkennung fand er auch damit nicht: Die
Zensoren beanstandeten nun die zu melancholische Miene des Arbeiterhelden.
Die 1919 gegründete Worpsweder Kunsthalle, älteste Kunstinstitution des
Ortes, zeigt Vogelers politische Karikaturen, antifaschistische Flugblätter
und anderes Agitationsmaterial – ein spannender Gegenpol zu „Märchen und
Minne“, Vogelers im „Haus im Schluh“ gezeigter Romantik-Rausch. Als
Bindeglied zwischen diesen Welten kann man Vogelers monumentalen
„Sommerabend“ im „Barkenhoff“ interpretieren. Er zeigt die markante
Freitreppe seines Hauses, auf der Martha steht. Freunde wie Otto Modersohn
oder Rainer Maria Rilke lauschen einer sommerlichen Serenade, an der
Vogeler selbst als Cellist mitwirkt. Er hat sich fast verdeckt gemalt –
aber auch die gut zu erkennenden Gesichtszüge von Paula Modersohn-Becker
wirken seltsam starr. Niemand sieht sich an: das Symbolbild einer
totgelaufenen Idylle. Martha hatte sich bereits in einen anderen verliebt.
Gemeinsame Ausstellungen sollen nun alle zwei bis drei Jahre stattfinden.
Das nächste sich aufdrängende Datum ist 2014: der 125-jährige Geburtstag
der Kolonie. Landrat Jörg Mielke spricht von der „großen Symbolik“ des
Gemeinschaftsunternehmens.
Einige seiner Vorgänger waren Vogeler weit weniger wohl gesonnen: Der
„Barkenhoff“ wurde wiederholt polizeilich überwacht, auch wegen von
Mackensen erstatteter Anzeigen. Nachdem Vogeler in den 20er-Jahren
sozialistische Utopien an die Dielenwände gemalt hatte, verlangte der
Landrat die Entfernung der „staatsfeindlichen“ Fresken. Solche Vorgänge
sind in der Ausstellung ebenso dokumentiert wie die reichsweiten Proteste
prominenter Kulturschaffender. Die Fresken wurden daraufhin „nur“ mit
Rollos verdeckt – und erst 1939 vernichtet.
Ebenso weitgespannt wie sein künstlerischer Bogen ist Vogelers persönliche
Entwicklung: Aus dem Darling des Kaiserreichs, der aus der Hand des
Oldenburger Großherzogs eine Goldmedaille entgegennahm und mit der
Güldenkammer des Rathauses das Allerheiligste Bremer Bürgerlichkeit
ausstattete, wurde unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs ein radikaler
Pazifist und Kommunist. Allerdings verleiten Vogelers zahlreiche
biografische und künstlerische Brüche, nicht zuletzt auch sein elendes
Ende, oft zu einem Fehlschluss: seine Geschichte als die eines
Gescheiterten zu erzählen. Doch dagegen spricht schon seine enorme
Produktivität, die in dieser Vielfalt noch nie präsentiert wurde. Die
Ausstellungen zeigen Vogeler als unermüdlichen Gestalter, vom großen Bild
über das kleine Glas bis zu Entwürfen für Arbeiterhäuser – der die Welt
ständig zum Guten verändern will.
Ein zweites Klischeebild beschreibt Vogeler als naiven Menschen, dessen Weg
„vom Romantiker zum Revolutionär“ von weltfremden Fehleinschätzungen
geprägt gewesen sei. Wer sich jedoch Vogelers politische Prognosen am
Vorabend des Faschismus vergegenwärtigt, bekommt ein anderes Bild: Der
Künstler kämpfte vehement für ein antifaschistisches Bündnis mit den
Sozialdemokraten, um Hitler zu verhindern. Daraufhin wurde er als
„Rechtsabweichler“ aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Was
allerdings nach wie vor auffällt, ist das Fehlen von Äußerungen über den
Stalinistischen Terror in der Sowjetunion. Sollte Vogeler privat Kritik
geäußert haben, so ist sie nicht überliefert.
Was man Vogeler trotzdem kaum vorwerfen kann, ist Mangel an Mut und
persönlichem Einsatz. Als er Kaiser Wilhelm 1918 öffentlich zum
Friedensschluss aufforderte, steckte man ihn in die Irrenanstalt. Als sein
erstes, Familien- und Freundeskreis-orientiertes Gemeinschaftsidyll auf dem
„Barkenhoff“ kaputt ging, gründete er mit Handwerkern eine bargeldlose
Selbstversorger-Kommune. Als auch die nach ein paar Jahren an ihr Ende kam,
machte er das Anwesen zum Heim für Kinder politisch verfolgter Eltern.
Eine Eigenschaft Vogelers ist in der Ausstellung hingegen kaum
berücksichtigt, an die seine Urenkelin Berit Müller, die im „Haus im
Schluh“ lebt, erinnert: die Fähigkeit zur Selbstironie. Er habe sich selbst
durchaus auch als tragikomischen Helden wahrgenommen, sagt Müller – und
verweist auf Vogelers Selbstdarstellungen als Don Quijote. Tatsächlich
hatte er auch ein Pferd, das er „Rosinante“ nannte. Daniela Platz wiederum
hat ihre Mission in Bezug auf die gemeinsame Urgroßmutter gefunden: Martha
sei keineswegs unselbstständig gewesen, wie seit Rilke in der
Kunstgeschichte behauptet. Einig sind sich die Cousinen darin, dass ihre
Urgroßmutter nicht zur Nazisse mutierte: Ereignisse wie ein
Gauleiter-Empfang im „Haus im Schluh“ hätten dem Selbstschutz gedient.
1942 wurde Martha Vogeler dennoch aus der NSDAP ausgeschlossen. Im gleichen
Jahr starb Heinrich völlig entkräftet und mittellos in den unendlichen
Weiten der Sowjetunion.
25 May 2012
## AUTOREN
Henning Bleyl
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