| # taz.de -- Warnhinweis für Nazi-Kunst: Linkes Ringen um rechte Kunst | |
| > Die Bremer Linke will Bernhard Hoetgers 1936er Goldengel über der | |
| > Böttcherstraße mit einer Gedenktafel ergänzen und erklärt das Werk zum | |
| > letzten Hitler-Denkmal. | |
| Bild: Der Lichtbringer ist auch ohne Schnurrbart ziemlich Hitler - bloß die Pa… | |
| BREMEN taz | Die Demontage hat bislang keiner gefordert. Dabei wäre das | |
| konsequent, wenn man dem eigenen Befund wirklich trauen würde: „Das goldene | |
| Relief ’Der Lichtbringer‘ ist ein Denkmal für Adolf Hitler“, behauptet | |
| Christoph Spehr, Landesvorstand der Bremer Linkspartei in einem Essay, „das | |
| einzige öffentliche Hitler-Denkmal, das heute noch steht“ – und fordert | |
| angesichts dessen doch nur eine Erläuterungstafel für Bernhard Hoetgers | |
| Goldengel. | |
| Und da fragt man sich schon: Ja wie denn nun? Gäbe es in Teilen erträgliche | |
| Hitler-Denkmale? Würde ein Hitler-Denkmal, an dem Hitler-Denkmal steht, | |
| dadurch enthitlert? Und: Wäre es nicht sogar kontraproduktiv, das | |
| Kunstwerk, das wie ein Türsturz überm marktseitigen Beginn der berühmten | |
| Böttcherstraße hängt und offenbar den Geschmack sehr vieler trifft, auf | |
| seine Zugehörigkeit zum Nazitum zu reduzieren? | |
| In der Bremischen Stadtbürgerschaft war das gestern nur oberflächlich ein | |
| Thema. Und mit einer etwas müden Aktion im Novembergeriesel machte der | |
| Linksabgeordnete Peter Erlanson aufs Anliegen aufmerksam: Er hielt ein | |
| Schild hoch direkt unterm Relief. Das zählt neben dem Roland und Gerhard | |
| Marcks Stadtmusikanten zu den meistgeknipsten Skulpturen in Bremens | |
| öffentlichem Raum. Und dass seine Anbringung 1936 Herrschaftsnähe | |
| herstellen sollte, ist unbestritten: Zwar steht etwas quer dazu, dass | |
| mittlerweile das Ding als Werbebild auf Bremer Straßenbahnen durch die | |
| Stadt kutschiert wird. Aber über eine Infotafel zwecks weiterer Aufklärung | |
| denkt der Senat schon seit Längerem nach – und immer wieder, gleichsam in | |
| Schüben: Anfang des Jahrtausends gab es einen, dann war ein paar Jahre | |
| nichts geschehen und jetzt kürzlich im Sommer hatte im Paula Becker | |
| Modersohn-Museum, das direkt hinterm Lichtbringer liegt, eine Ausstellung | |
| das Thema noch mal aufs Tapet gebracht. | |
| Im Vorfeld der dann relativ klein geratenen Schau hatte der Museumsdirektor | |
| Frank Laukötter in der lokalen Bildzeitung posiert und deren Fotografen auf | |
| kleine Menschen im Relief aufmerksam gemacht, die den herab rauschenden | |
| Engel per deutschem Gruß willkommen heißen würden. Eine Deutung, die sich | |
| ganz ungebrochen nun bei Spehr wiederfindet: „Die kleinen Figuren im | |
| Hintergrund heben die Hand zum Hitler-Gruß“, schreibt der. Und noch einmal: | |
| „Der ,Lichtbringer‘ mit dem Schwert stellt niemand anders dar als Hitler | |
| selbst.“ Und man wird davon auch nicht abrücken, nur weil das Bärtchen | |
| fehlt und der Seitenscheitel. | |
| Das alles ist nicht komplett falsch. Oder vielleicht sollte man sogar | |
| schreiben: Es ist so komplett falsch, dass es schon allmählich wieder | |
| richtig wird, weil es von einer – nur teilweise philologisch gut belegten – | |
| Gesinnung des Urhebers ausgeht, die man nun im Werk wiederfindet, egal | |
| wohin man schaut: Weil sie schon in die Gläser der eigenen Brille | |
| eingebrannt, die Brille – die Theorie – beschlagen ist. | |
| Bei Kunstdeutung ist es aber sinnvoll, zunächst den bildlichen Bestand zur | |
| Kenntnis zu nehmen. Der lässt sich mit dem, was von der historischen | |
| Wirklichkeit bekannt ist, abgleichen, dort wo man Referenz zu ihr vermutet. | |
| Wobei dann auffällt: Ups! Die Männlein haben mehrheitlich die linke Hand | |
| erhoben, manche halten den Arm eher eingewinkelt vor die Augen, wie um sich | |
| vor dem Sonnenlicht zu schützen. Und eine ganze Reihe der in den | |
| vergoldeten Gips geritzten Figürchen recken sogar beide Arme in die Luft. | |
| „Nein, ein beidseitiger Hitlergruß geht gar nicht“, räumt denn auch Spehr | |
| mittlerweile ein. | |
| Darauf aufmerksam gemacht hatte die Parteifreunde ausgerechnet Manfred | |
| Steglich, einst mit Spehr zusammen Geschäftsführer der | |
| Bürgerschaftsfraktion, Mitglied im Linken-Landesvorstand und derzeit Beirat | |
| in Bremen-Horn: „Mich stört dieser feuilletonistische Antifaschismus“, sagt | |
| der. Die Idee einer Info-Plakette hält er für „einigermaßen bizarr“. Es | |
| gehe ihm nicht um die Ehrenrettung Hoetgers. An die glaube er auch nicht: | |
| „Er war schon eine dubiose Figur, zu allen Seiten hin offen.“ | |
| Aber genau das verleiht seinem Werk auch eine Mehrdeutigkeit, die in der | |
| von Parteichef und Bürgerschaftsfraktion vorgegebenen Deutung eingeebnet | |
| wird. Via Facebook hat Steglich die deshalb zerlegt – und eine ironisch | |
| überdrehte Gegendeutung vorgeschlagen, ausgehend vom ursprünglichen | |
| Anarchismus des Künstlers: Schließlich zeige das Fries offenkundig in | |
| bester kunsthistorischer Tradition den Kampf des Erzengels Michael mit | |
| Satan. | |
| Satan aber heißt in der christlichen Überlieferung seit Jahrhunderten: | |
| Luzifer, also Lichtbringer. Und eine satanische Figur ist ja nun ganz | |
| offenkundig der Drache unten rechts auf dem Fries. Also sei es Hoetger in | |
| diesem „Auftragswerk seines Mäzens Roselius“ gelungen, „auf subversive | |
| Weise vehement Kritik am Nationalsozialismus zu üben“, nur die „tumben | |
| Nazis“ hätten’s übersehen. | |
| Nein, „das meine ich nicht ernst“, bestätigt Steglich. Aber das schöne an | |
| dieser karikierenden Deutung: Sie lässt sich bis zu einem gewissen Grad | |
| plausibilisieren. Denn seit Ausgang des 19. Jahrhunderts erlebt die Figur | |
| des Lucifer in den esoterischen Bewegungen eine echte Aufwertung. Helena | |
| Blavatskys benennt ihre Zeitschrift nach ihm, Rudolf Steiner gibt wenig | |
| später in Berlin die Lucifer-Gnosis heraus. Hoetger, für Geheimlehren und | |
| Mythologien seit jeher empfänglich wie ein trockener Schwamm für Wasser, | |
| hat auch diesen ganzen Quatsch aufgesogen: Den Anthroposophen-Guru Steiner | |
| wird er später sogar in einer markanten Bronzebüste verewigen (1948). | |
| Zudem war seiner Kunst, obschon der Bildhauer seit 1934 NSDAP-Mitglied war, | |
| die Anerkennung durch die Nazis verwehrt geblieben: Gerade das Fries selbst | |
| ist ein Ersatz für die ursprüngliche, von der SS vehement attackierte | |
| Eingangssituation, und dass der Kaffeemagnat Ludwig Roselius, Eigentümer | |
| der merkwürdigen Straße, es in Absprache mit dem Künstler als Huldigung an | |
| Hitler präsentierte – es wäre auch als Akt der strategischen Klugheit | |
| denkbar. | |
| Nur die schriftlichen Äußerungen, zumal ein 1989 von Walter E. Saal im | |
| Rahmen seiner Dissertation über Hoetger im Nachlass des Künstlers | |
| entdeckter Brief des Künstlers an den befreundeten Architekten Herbert | |
| Helfrich, belegen, dass es dem einst der Arbeiterbewegung nahestehenden | |
| Künstler ernst war mit der Hitlerei: „Gibt es wohl einen höheren Ausdruck | |
| der Verehrung unserer vom Führer geschaffenen Zeit, wie es sich in meinem | |
| neuen Relief ’Der Lichtbringer’ offenbart?“, schrieb er dem Kollegen, den | |
| er 1934 in Rom kennengelernt hatte. | |
| Eine Plakette unterm Lichtbringer könnte diese Intention rekonstruieren – | |
| bloß: was dann? Denn ob sie die Reflexion übers goldene Fries eher anregt | |
| oder eindämmt, hängt davon ab, was genau draufsteht: „Was das sein sollte, | |
| haben wir noch nicht entschieden“, räumt Spehr ein. | |
| Aber brauchbare Vorlagen gibt’s. Wohl die meiste Erfahrung mit | |
| Warnhinweisen hat die Lebensmittelindustrie: „Der Lichtbringer entstand | |
| 1936.“ Das wäre doch ein möglicher Text. „Er kann Spuren von | |
| Nazi-Ideologie, Anarchismus und diversen Eso-Lehren beinhalten.“ Dann wäre | |
| alles abgedeckt. | |
| 12 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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