# taz.de -- Ökologischer Fußabdruck von KI: Die Klimakiller-Intelligenz | |
> Künstliche Intelligenz gilt als neue Schlüsseltechnologie, auch gegen die | |
> Klimakrise. Doch sie hat ein schmutziges Geheimnis – im wahrsten Sinne. | |
Bild: Keine KI ohne Supercomputer. Doch die benötigen Unmengen an Wasser zur K… | |
BERLIN taz | Die Veröffentlichung des [1][Chatbots ChatGPT] hat für einen | |
riesigen KI-Hype gesorgt. Schüler schreiben Hausaufgaben mit dem Werkzeug, | |
Anwälte Klageschriften, Künstler Songs. In Hollywood streiken derweil | |
Drehbuchautoren und Schauspieler, weil sie befürchten, dass ihnen Computer | |
ihre Arbeit wegnehmen könnten. [2][KI könnte die Gesellschaft so | |
tiefgreifend verändern] wie vorher die Erfindung der Dampfmaschine und der | |
Elektrizität. | |
Während namhafte Forscher den Weltuntergang heraufbeschwören, glauben | |
Tech-Vordenker wie der Netscape-Gründer Marc Andreessen, dass KI die Welt | |
retten könne: Sie würde die menschliche Intelligenz so erweitern, dass die | |
Menschheit Probleme wie Unterernährung, Krankheiten und den Klimawandel | |
einfach „lösen“ könne. | |
In den kühnen Vorstellungen der Tech-Optimisten könnten KI-Systeme robustes | |
Saatgut, Arzneimittel oder neue Energieträger erfinden; smarte | |
Bewässerungssysteme, die mit meteorologischen Echtzeit-Daten gespeist | |
werden, Böden ressourcenschonend mit Wasser versorgen; smarte Häuser, die | |
mit Algorithmen die Routinen des Bewohners erlernen, Energie und Wasser | |
sparen. | |
Doch in dem solutionistischen Überschwang wird gerne übersehen, dass die KI | |
selbst ein schmutziges Geheimnis hat: Sie verursacht jede Menge | |
Treibhausgase. | |
## Supercomputer mit Superverbrauch | |
Bereits 2019 kam eine MIT-Studie zu dem Ergebnis, dass das Training eines | |
Deep-Learning-Modells so viel CO₂ verursacht wie fünf (Verbrenner-)Autos in | |
ihrer gesamten Lebensspanne. Der Grund: Das maschinelle Lernverfahren ist | |
extrem energieintensiv. Damit sich die Algorithmen durch riesige | |
Datenmengen wühlen und darin statistische Muster erkennen können, müssen | |
tage-, manchmal sogar wochenlang Supercomputer mit speziellen Grafikkarten | |
laufen, die sehr viel Strom verbrauchen. Je nachdem, aus welchen Quellen | |
sich dieser Strom speist, verursacht das Training schädliche | |
Treibhausgase. | |
Man muss bedenken, dass die Modelle, die zum Zeitpunkt der Studie auf dem | |
Markt waren, bei weitem nicht so leistungsfähig waren wie die heutigen. | |
GPT-2, eines der Vorgängermodelle von ChatGPT, operierte mit 1,5 Milliarden | |
Parametern. Der Nachfolger GPT-4 hat bereits 1,8 Billionen Parameter. | |
Für das Training von ChatGPT, das mit schätzungsweise 300 Milliarden | |
Wörtern gefüttert wurde, brauchte es allein 20.000 Grafikkarten. Die | |
„Dampfmaschinen des Geistes“, wie der damalige IBM-Präsident Thomas Watson | |
seine schrankgroßen Rechnerungetüme in den 1950er Jahren nannte, haben | |
einen unsichtbaren Auspuff, dessen Existenz in der wolkigen Cloud-Rhetorik | |
gerne vernebelt wird. | |
Offizielle Zahlen, wie viel Energie das Training von ChatGPT verbrauchte, | |
gibt es nicht. Schätzungen gehen von 1.287 Megawattstunden aus, was etwa | |
dem jährlichen Energieverbrauch von 120 US-Haushalten entspricht. Zwar | |
betreibt Microsoft, in dessen Cloud ChatGPT läuft, seine Rechenzentren | |
teils mit erneuerbaren Energien. Doch angesichts der immensen Rechenpower | |
dürfte der Bot wohl kaum klimaneutral sein. | |
## Tonnenweise Kühlwasser | |
Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) verbrauchen | |
Rechenzentren rund ein Prozent der globalen Stromproduktion. Jeder Prompt, | |
jeder Instagram-Post setzt eine Rechenoperation in einer Serverfarm in | |
Gang, und damit die Server nicht heiß laufen, braucht es in den | |
Rechenzentren tonnenweise Kühlwasser. | |
Laut einer Studie der Universitäten California Riverside und Texas | |
Arlington verbrauchte allein das Training von GPT-3.700.000 Liter Wasser. | |
Damit könnte man einen ganzen Kühlturm eines Atomreaktors füllen. ChatGPT | |
„schluckt“ nach Berechnungen der Wissenschaftler bei einem Austausch mit 25 | |
bis 50 Fragen einen halben Liter Wasser. Wenn man also sinnlos mit dem | |
Textgenerator herumspielt, ist das ungefähr so, als würde man eine | |
Wasserflasche ausleeren. Angesichts von apokalyptischen Waldbränden und | |
Dürren mutet dieser verschwenderische Konsum wie ein Frevel an. | |
Auch die Herstellung von Chips ist extrem ressourcenintensiv. Der | |
taiwanische Chiphersteller TSMC, der größte Auftragsfertiger der Welt, der | |
unter anderem auch Apple beliefert, ist für sechs Prozent des | |
Stromverbrauchs auf der ostasiatischen Insel verantwortlich. Die Ökobilanz | |
ist katastrophal, denn Taiwans Strom speist sich fast zur Hälfte aus | |
schmutziger Kohlekraft. Um die hochempfindlichen Rohlinge, die sogenannten | |
Wafer, zu reinigen, sind zudem Unmengen an Ultra-Reinstwasser nötig. TSMC | |
verbraucht pro Tag 150.000 Kubikmeter Wasser, das Volumen von 60 | |
olympischen Schwimmbecken. | |
Das Problem: Taiwan leidet seit Jahren unter Trinkwasserknappheit. | |
Ausbleibende Regenfälle und Trockenperioden haben die Pegel der | |
Wasserreservoire zuletzt empfindlich sinken lassen. In einigen Städten | |
Taiwans mussten bereits das Trinkwasser rationiert und der Wasserdruck | |
reduziert werden, damit die globalen Lieferketten der wichtigen Halbleiter | |
nicht gestört werden. Die Regierung lässt zudem im ganzen Land nach Brunnen | |
bohren. Dass die wütenden Reisbauern mit Kompensationszahlungen | |
ruhiggestellt wurden, erzählen einem die Verkäufer der schönen neuen Welt | |
natürlich nicht. | |
Angesichts des gewaltigen ökologischen Fußabdruckes stellt sich die Frage, | |
ob Künstliche Intelligenz wirklich so nachhaltig ist, wie es ihre | |
Entwickler behaupten, zumal die Modelle immer rechen- und damit | |
energieintensiver werden. Ist KI die Lösung für den Klimawandel? | |
Oder ist sie das Problem? | |
## Selbst zu denken ist umweltfreundlich | |
Es ist erstaunlich, wie kritikfrei der öffentliche Diskurs über „smarte“ | |
Technologien läuft, wie viel Geld in KI-Unternehmen fließt, die den | |
Extraktivismus des Industriezeitalters perpetuieren. Dabei wäre es so | |
wichtig, den Grundsatz der Datensparsamkeit ökologisch neu zu denken, die | |
Entwicklung von synthetischen Daten als eine Art Bio-Kraftstoff für | |
Denkmaschinen voranzutreiben, kurz: eine Ökologie der Information zu | |
formulieren, die kritisch hinterfragt, ob man jedes Selfie mit einem | |
KI-Filter aufhübschen und in sozialen Medien posten muss. Dann müsste man | |
auch nicht überall auf der Welt hangargroße Serverfarmen in die Landschaft | |
betonieren, die im Konflikt mit dem Wohnungsbau und der Landwirtschaft | |
stehen. | |
In den Niederlanden gingen in diesem Jahr Bauern auf die Barrikaden, weil | |
die Regierung für den Bau eines Microsoft-Rechenzentrums private | |
Grundstücke enteignen wollte. Die Landwirte treibt die Sorge um, dass der | |
Tech-Konzern das Strom- und Wassernetz anzapft – und damit ihre Ernte | |
gefährdet. Ob es angesichts der Ressourcenknappheit auf der Erde eine kluge | |
Idee ist, (landwirtschaftliche) Flächen zu versiegeln, darf bezweifelt | |
werden. Wenn der Grundwasserspiegel sinkt, hilft auch eine KI nicht viel | |
weiter. | |
Mit Blick auf den Ressourcenverbrauch und die zunehmenden Cybergefahren | |
erscheint Lowtech gegenüber Hightech als resilienteres und nachhaltigeres | |
Mittel, um den Planeten zu retten: Fahrrad statt Auto, begrünte Fassaden | |
statt Klimaanlagen, eiweißbasierte statt künstlicher Intelligenz. | |
Das menschliche Gehirn verbraucht lediglich 20 Watt. Zum Vergleich: Die | |
Jeopardy-Version von IBMs Supercomputer Watson benötigte 85.000 Watt, um | |
bei der Rateshow zwei menschliche Spieler zu bezwingen. Vielleicht sollte | |
man öfter mal den eigenen Denkapparat einschalten, anstatt Chatbots mit | |
Fragen zu löchern. Es gibt nichts, was so umweltfreundlich ist wie das | |
eigene Denken. | |
28 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Adrian Lobe | |
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