# taz.de -- Neurobiologe über Intelligenz: „KI-Systeme sind Zombies“ | |
> Der Mensch als Krone der Evolution? Neurobiologe Sebastian Markert | |
> zweifelt daran. Ein Gespräch über Orcas, Gorillas und künstliche | |
> Intelligenz. | |
Bild: Intelligenzbestie: Je nachdem wie man Klugheit misst, gehört der Orca zu… | |
taz: Herr Markert, wir Menschen behaupten gerne von uns, die | |
intelligenteste Spezies auf dem Planeten zu sein. Liegen wir da überhaupt | |
richtig? | |
Sebastian Markert: Auf den ersten Blick scheint das ja der Fall zu sein: | |
Wir haben uns die Erde untertan gemacht, [1][wir waren auf dem Mond], | |
[2][bauen Städte], [3][schreiben Gedichte]. Kein anderes Lebewesen macht so | |
etwas. Trotzdem gibt es fundierte Gründe, daran zu zweifeln, dass wir die | |
intelligenteste Spezies sind. | |
taz: Welche? | |
Markert: Dafür müssen wir uns anschauen, was eigentlich Intelligenz ist. | |
Die gängigen Intelligenztests bilden ja nur eine beschränkte Dimension | |
davon ab. Wenn wir also nicht philosophisch werden wollen, hilft uns da die | |
Neurobiologie weiter. Dafür müssen wir in das Gehirn schauen. Man könnte | |
zum Beispiel denken: Je größer das Gehirn, desto intelligenter das | |
Lebewesen. Dann wären aber zum Beispiel Elefanten deutlich intelligenter | |
als Menschen. | |
taz: Allerdings sind Elefanten auch körperlich größer. | |
Markert: Genau. Eine Alternative wäre es also, die Gehirngröße in Relation | |
zur Körpergröße zu stellen. Dann wären aber manche kleinen Äffchen | |
intelligenter als wir, was eindeutig nicht der Fall ist. Doch es gibt noch | |
einen weiteren Indikator, der ganz gut zu sein scheint: die kortikalen | |
Neuronen. | |
taz: Was ist das? | |
Markert: Das sind die Nervenzellen im Neokortex in der Hirnrinde. Sie sind | |
aktiv, wenn wir assoziativ denken, also Informationen auf komplexe Art und | |
Weise verarbeiten. Zum Beispiel, wenn wir verschiedene Emotionen | |
miteinander ins Verhältnis setzen oder unbekannte Muster sehen. Von diesen | |
assoziativen Neuronen jedenfalls hat jeder Mensch so um die 20 Milliarden. | |
Menschenaffen haben 7 bis 9 Milliarden und Elefanten um die 6 Milliarden. | |
Alles passt also zu dem intuitiven Verständnis, das wir von Intelligenz | |
haben. Je mehr kortikale Neuronen ein Tier hat, als desto intelligenter | |
gilt es. | |
taz: Aber? | |
Markert: Menschen sind tatsächlich nicht ganz oben auf dieser Liste. | |
taz: Sondern? | |
Markert: Orcas. Wobei wir noch nicht von allen Tierarten die Zahl der | |
kortikalen Neuronen kennen, es ist also möglich, dass auch andere Tiere den | |
Menschen da Konkurrenz machen. Das Orcagehirn hat etwa doppelt so viele | |
dieser Neuronen wie das Menschengehirn. Und das ist schon ein Wort, denn | |
wir haben etwa doppelt so viele wie zum Beispiel Gorillas. Wenn wir also | |
diese Neuronen als Maß für Intelligenz ernst nehmen, und das ist durchaus | |
der Fall, dann müssen wir anerkennen, dass Orcas intelligenter sind, | |
zumindest auf ihre Weise. Das passt durchaus ins Bild: Das Orcagehirn ist | |
auch größer als das menschliche. Und es hat mehr Faltungen, also eine sehr | |
große Oberfläche, die auch als Faktor für Intelligenz gilt. | |
taz: Und was sagt uns das? | |
Markert: Wir sollten unbedingt unser Selbstbild als intelligenteste Spezies | |
hinterfragen. Denn vielleicht ist es nicht nur Intelligenz, die uns zu dem | |
gemacht hat, was wir sind. | |
taz: Wie meinen Sie das? | |
Markert: Vergleichen wir doch mal einen Orca mit einem Steinzeitmenschen. | |
Was haben sie gemeinsam? Beide besitzen ein hochkomplexes Sozialgefüge | |
und [4][kommunizieren innerhalb ihrer Gruppe], haben sogar | |
unterschiedliche Dialekte. Sie sprechen sich ab, machen Pläne und | |
Strategien, [5][zum Beispiel für die Jagd]. Sie betrauern beide ihre Toten. | |
Was wir können, können die Orcas also schon lange. | |
taz: Und was unterscheidet Orcas von Steinzeitmenschen? | |
Markert: Menschen können [6][Werkzeuge benutzen], dazu zähle ich auch die | |
Schrift. Das ist unsere wahre Superkraft! Darüber können Informationen über | |
Generationen weitergegeben werden und das Wissen unserer Spezies steigt | |
exponentiell. Schreiben und zeichnen wird möglich durch unseren Daumen, den | |
wir so rotieren können, dass er den anderen Fingern gegenüber liegt. | |
Könnten Orcas so geschickt Werkzeuge benutzen – wer weiß, vielleicht würde | |
die Welt ganz anders aussehen. | |
taz: In Sachen Intelligenz machen aber nicht nur Orcas den Menschen | |
Konkurrenz – aktuell wird immer wieder diskutiert, wie sehr Systeme mit | |
künstlicher Intelligenz (KI) Menschen beim Intellekt, aber auch was | |
Bewusstsein angeht, ebenbürtig werden könnten. | |
Markert: Den Maßstab mit dem kortikalen Neuronen können wir auf KI nicht | |
anwenden, weil diese Systeme in dem entscheidenden Punkt anders aufgebaut | |
sind als unser Gehirn. | |
taz: Inwiefern? | |
Markert: [7][KI-Systeme] – und da sprechen wir vor allem über große | |
Sprachmodelle wie die hinter ChatGPT oder [8][DeepSeek] – sind ganz | |
geordnet. Ihre neuronalen Netzwerke sind in Schichten aufgebaut und eine | |
Information läuft immer von Schicht zu Schicht. Unser Gehirn dagegen ist | |
ein einziges Chaos: Es gibt Querverbindungen in alle möglichen Bereiche. | |
Nervenzellen feuern durcheinander, wir haben quasi ständig ein Feuerwerk an | |
Informationen im Kopf. Und unser Gehirn beeinflusst sich selbst. Wenn es | |
Informationen verarbeitet, dann verändern sich Teile des Gehirns, zum | |
Beispiel bilden sich neue Synapsen. Alles hängt mit allem zusammen. Ich | |
persönlich gehe davon aus, dass das auch die Voraussetzung dafür ist, dass | |
Bewusstsein entstehen kann. | |
taz: Dieses Feuerwerk ist die Voraussetzung für Bewusstsein? | |
Markert: Ein Beispiel: Ich beiße in eine Erdbeere. Da spüre ich dann den | |
Geschmack und noch vorher den Geruch der Erdbeere und sehe die Farbe. | |
Geschmack und Geruch erinnern mich an den letzten Urlaub. Und diese | |
Erinnerung ist deshalb so stark, weil ich gerade in der Sonne sitze und die | |
Wärme auf meiner Haut spüre. Wäre ich in einem dunklen, kühlen Raum, wäre | |
diese Empfindung wahrscheinlich schwächer. Und dann muss ich an meine Oma | |
denken, die immer so leckeren Erdbeerkuchen gebacken hat. Und all das nur, | |
weil ich in eine Erdbeere gebissen habe! Dabei hat sich die Architektur | |
meines Gehirns nachhaltig verändert. | |
taz: Und das ermöglichen uns die assoziativen Neuronen? | |
Markert: Genau. Ich benutze da gerne den Begriff der Integriertheit: Alles | |
ist ineinander integriert, alles, was wir an Wissen, an Erfahrungen, an | |
Emotionen, an Sinnesreizen haben. Und diese Integriertheit scheint die | |
Voraussetzung für Bewusstsein zu sein. KI hat diese Integriertheit nicht. | |
Und mit ihrem Schichtsystem kann sie sie auch nicht entwickeln, weil nie | |
alles mit allem zusammenhängt und sich gegenseitig beeinflusst. [9][Was KI | |
aber ganz gut kann, ist Intelligenz zu simulieren, zumindest bis zu einem | |
gewissen Maße]. | |
taz: Wie meinen Sie das? | |
Markert: Wenn wir ChatGPT auffordern, [10][ein Frühlingsgedicht zu | |
schreiben], dann kommt dabei etwas heraus, was ich als kompetentes | |
Mittelmaß bezeichnen würde. Der Algorithmus kombiniert Milliarden von | |
Silbenbausteinen auf eine Art und Weise, wie er es aus den | |
Trainingsmaterialien gelernt hat. Dabei hat die KI keine Vorstellung von | |
Frühling, kein Konzept von Reimen und kein Gefühl für Versmaße oder | |
Wortspiele. Sondern nur statistische Wahrscheinlichkeiten auf Basis der | |
Trainingsdaten. Werden wir das Ergebnis als Gedicht erkennen? Ja. Wird es | |
uns zu Tränen rühren? Eher nicht. Und wenn, dann wahrscheinlich nur, weil | |
eine bestimmte schöne Phrase „geklaut“ ist. Aber die KI hat nur Sekunden | |
für das Generieren gebraucht. Und diese Geschwindigkeit ist es, die wir | |
Menschen häufig mit Intelligenz verwechseln. | |
taz: Was heißt das für die Debatte und den Umgang mit KI? | |
Markert: Ich gehe davon aus, dass KI-Modelle niemals Bewusstsein erlangen | |
können. Wir können der KI zwar immer noch mehr Trainingsdaten von | |
Frühlingsgedichten geben und wahrscheinlich werden die Ergebnisse dann | |
immer etwas besser werden. Aber die Modelle werden nie ein Verständnis | |
davon haben, was sie da eigentlich tun. Ich persönlich habe daher gar keine | |
Angst, dass große Sprachmodelle wie ChatGPT irgendwann ein Bewusstsein | |
entwickeln und sich gegen die Menschen wehren. | |
taz: Aber? | |
Markert: Das heißt nicht, dass KI keine Gefahren birgt. Auch KI ohne | |
Bewusstsein kann von Machthabern missbraucht werden. Und es gibt soziale | |
Gefahren. Denn das Problem ist: Bei Diensten wie ChatGPT wirkt es, als | |
würde man mit einem anderen Menschen chatten. Daher ist es menschlich, den | |
Algorithmus zu überschätzen und ihm und den Informationen, die er | |
generiert, zu vertrauen. Und das ist gefährlich, weil so Manipulationen | |
der Hersteller Tür und Tor geöffnet ist. Das muss gar nicht vorsätzlich | |
sein, sondern kann auch versehentlich [11][durch unausgewogene | |
Trainingsdaten] passieren. Dabei sind diese KI-Systeme eigentlich Zombies: | |
Sie tun zwar Dinge, die wir von Menschen erwarten würden, und wirken daher | |
menschlich. Sie sind es aber nicht. Da würde ich mich, ehrlich gesagt, | |
lieber mit Orcas unterhalten. | |
30 Apr 2025 | |
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