# taz.de -- Expo in Osaka: Holzring statt Glaskugel | |
> Die Länder auf der Weltausstellung in Japan zeigen sehr unterschiedliche | |
> Zukunftsvisionen. Warum sollten wir überhaupt so konkret darüber | |
> nachdenken? | |
Bild: Eine rund 20 Meter hohe Holzkonstruktion in klassischer Bauweise umschlie… | |
Osaka taz | Raumgreifend auf alle Wände projiziert ist die | |
Videopräsentation im südkoreanischen Pavillon, sie erzählt die Geschichte | |
eines Mädchens im Jahr 2040. Jahrzehnte nach dem Tod ihres Großvaters | |
erweckt sie eine Melodie zum Leben, die er nur lückenhaft zu Papier | |
gebracht hat – dank [1][künstlicher Intelligenz]. Willkommen auf der Expo | |
2025, der Weltausstellung im japanischen Osaka. | |
Auch in zwei der acht Signature Pavillons, mit denen Gastgeber Japan seine | |
offizielle Vision inszeniert, geht es um KI, die in der Zukunft eine | |
alltägliche Lebensform sein wird. Erzählt wird beispielsweise die | |
Geschichte einer Großmutter, die nicht sterben, sondern weiterhin Zeit mit | |
ihrer Enkelin verbringen möchte – und sich fragt, wie es wäre, wenn sie | |
dafür zur KI wird und als Android weiterlebt. Sie fragt einen Zen-Mönch um | |
Rat, ob das wirklich „Leben“ sei, und erhält die vielsagende Antwort: | |
„Näher wirst du ihm nicht kommen.“ | |
Diese großen Zukunftsentwürfe erinnern nicht nur an die Visionen | |
verschiedener [2][technologie-optimistischer Pioniergemeinschaften des | |
Silicon Valley]. Sie werfen gleichzeitig auch Fragen auf: Ist dies wirklich | |
die Utopie, die wir alle anstreben? Ist es wünschenswert, das Handeln in | |
der Gegenwart hierauf auszurichten? | |
Doch finden sich auf der Expo 2025 auch andere Imaginationen. Sie ist | |
durchzogen mit kleineren Zukunftserzählungen, die dichter am eigenen Leben | |
liegen. Wie etwa im unscheinbaren „Future Life Village“ am Rande des | |
Geländes, in dem Initiativen aus Japan in mehreren kleinen Pavillons ihre | |
[3][Ansätze für ein besseres, nachhaltiges Leben] vorstellen. | |
Statt großer KI-Visionen sind das sehr konkrete Projekte, die sich | |
beispielsweise mit der Frage beschäftigen, wie in dem alternden und sich | |
auf die Ballungszentren konzentrierten Land zukünftig junge Menschen zum | |
Bleiben in kleineren Städten motiviert werden können. Oder es geht um den | |
Aufbau eines „Desaster Reduction Learning Centres“ nach dem großen Erdbeben | |
von Kobe 1995 und wie man die dabei gesammelten Erfahrungen auf andere | |
Regionen übertragen kann, um [4][mit zukünftigen Naturereignissen besser | |
umgehen] zu können. | |
Ganz nebenbei wird auch greifbar, dass das Potenzial von KI vielleicht eher | |
in kommunikativen Anwendungen liegt, wie etwa einer auf der Expo | |
praktizierten [5][automatischen Synchronübersetzung von Diskussionen], | |
durch die über Sprachbarrieren hinweg ein erstaunlich guter Austausch | |
möglich ist. | |
Man sollte aber große und kleine Zukunftsentwürfe nicht einfach | |
gegeneinander stellen. Beide sind vor allem deshalb wichtig, weil sie bei | |
dem, was wir in der Gegenwart tun, eine Orientierung geben. Damit machen | |
sie wiederum bestimmte Zukünfte wahrscheinlicher als andere. Das gilt im | |
privaten – wie stellt man sich das eigene Leben in einem Jahrzehnt vor? – | |
genau wie im gesellschaftlichen Bereich: Wie soll die Gesellschaft, in der | |
wir leben, in 20, 30 oder 100 Jahren aussehen? | |
Eine Weltausstellung funktioniert wie ein [6][Stimmungsbarometer der großen | |
Zukunftsentwürfe]. Repräsentativ sind die Zukunftsinszenierungen der | |
verschiedenen Länder wie auch die Expo 2025 insgesamt: Sie liegt auf einer | |
künstlich angelegten Insel, dort wird ihr Gelände durch eine als „Grand | |
Ring“ bezeichnete, rund 20 Meter hohe Holzkonstruktion in historischer | |
Bauweise umschlossen. Sie erinnert an das ausladende, kreisrunde | |
Hauptquartier von Apple. | |
Innerhalb des Rings befinden sich neben den japanischen Signature | |
Pavillons auch die der rund 160 beteiligten Länder, aufgeteilt in die | |
Themenfelder „Connecting Lives“, „Empowering Lives“ und „Saving Lives… | |
Dort, wo die Pavillons mehr sind als Tourismus-, Industrie- und | |
Politikwerbung, dominiert das eingangs skizzierte Bild der Gesellschaft der | |
Zukunft: Sie löst die gegenwärtigen Probleme mit KI-Technologien und wird | |
dadurch nicht nur lebenswerter, sondern auch ökologischer. | |
Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet der [7][deutsche Pavillon eine große | |
Imagination von nachhaltiger Zukunft] anbietet, die Technik nicht einfach | |
abwehren oder nur regulieren möchte, wie ansonsten häufig in Deutschland | |
der Fall, wenn digitale Zukünfte angesprochen werden. Titel des Pavillons | |
ist „Wa!“, was im Japanischen mit drei unterschiedlichen Schriftzeichen | |
geschrieben werden und so zugleich „Kreislauf“, „Harmonie“ und „Wow“ | |
bedeuten kann. | |
Augenzwinkernd gibt es deutsche Küche unter anderem als Bratwurst auf | |
kleinen Holzspießen, die Nationalfahne löst sich in Kringeln auf, die für | |
die Kreislaufwirtschaft stehen, und der Pavillon selbst besteht aus | |
mehreren runden Holzhäusern, die sich selbst regenerieren können. Im | |
Inneren stellt ein Audioguide Projekte der Kreislaufwirtschaft vor. Gerahmt | |
ist dies durch einen Einstieg in den Pavillon, bei dem Besuchergruppen | |
gemeinsam ihre Zukunftsvorstellung einer nachhaltigen Stadt visualisieren – | |
und abgeschlossen durch eine zum eigenen Handeln aufrufende immersive | |
Projektion. | |
Der deutsche Pavillon in Osaka führt auf doppelte Weise vor Augen, warum | |
wir auch große Zukunftsimaginationen brauchen. Er zeigt, wie sich kleine | |
Einzelprojekte zu einer begeisternden Utopie einer zukünftigen Gesellschaft | |
zusammenfügen können und warum diese erstrebenswert ist. Zugleich macht er | |
aber deutlich, woran die letzte Regierung auch gescheitert ist: nämlich | |
eine solche positive Vorstellung von Zukunft und einen damit verbundenen | |
Aufbruch im eigenen Land kommunizieren zu können. | |
In diesen unterschiedlichen Herangehensweisen entfaltet die Expo 2025 ein | |
besonderes Potenzial: Lösungen für einzelne Probleme der Gegenwart werden | |
greifbar, kleine und große Visionen geben gemeinsam Orientierung für eine | |
lebenswerte Zukunft. Nur wenn diese besteht, kann ein kollektives Handeln | |
entstehen, eine gemeinsame Veränderung. | |
Dabei geht es bei solchen kollektiven Zukunftsvorstellungen nicht einfach | |
nur um das gemeinsame Ausmalen einer schönen Zeit. Oft werden [8][Finanz- | |
und Strukturentscheidungen in der Gegenwart] mit konkreten | |
Zukunftsvorstellungen begründet, in Wirtschaft wie Politik: Geht man | |
kollektiv von einer Zukunft aus, die durch militärische Konflikte | |
gekennzeichnet ist, fällt man andere Entscheidungen, als wenn man kollektiv | |
eine kommende nachhaltige, friedfertige Gesellschaft sieht. Gerade für | |
kleine Projekte werden so die großen Visionen zentral, weil sie die | |
Finanzentscheidungen bestimmen. Und genau deswegen ist es wichtig, dass wir | |
uns auch um unsere digitalen Zukünfte mehr Gedanken machen. Osaka kann | |
dafür ein Anfang sein. | |
4 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hepp | |
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