| # taz.de -- Ausstellung mit Medienkunst zu KI: Der Klang seltener Erden | |
| > Geht es nur noch um Algorithmen? Eine Ausstellung in der Galerie Nord | | |
| > Kunstverein Tiergarten untersucht die Rolle der menschlichen Stimme bei | |
| > KI. | |
| Bild: Ein Still aus Kyriaki Gonis Video „Not allowed for algorithmic audience… | |
| Es ist ein typisches Phänomen der Jetztzeit, dass Sätze, die vor gar nicht | |
| allzu langer Zeit noch wie ferne Dystopie klangen, mittlerweile nur mit | |
| Schulterzucken quittiert werden: „Wir kaufen Mikrofone, die stets | |
| angeschaltet sind, und installieren sie in unseren Häusern“ gehört dazu, | |
| oder: „Es gibt vieles anzuhören – also wurde das Zuhören industrialisiert… | |
| Es sind Aussagen wie diese, mit denen Sean Dockrays Videoarbeit „Learning | |
| from YouTube“ (2018) aufzuklären versucht, wie uns neuronale Netzwerke | |
| zuhören und zu welchen Zwecken Künstliche Intelligenz eingesetzt werden | |
| kann: „Predictive Policing“, vorhersagende Polizeiarbeit gehört etwa dazu, | |
| bei der unter anderem Audiodaten ausgewertet werden, „bevor aus einem | |
| Zwischenfall ein Gewaltausbruch wird“, wie Dockray erklärt. | |
| Es ist ebenso ein typisches Phänomen der Jetztzeit, dass künstlerische | |
| Videoarbeiten von 2018 aus heutiger Sicht fast schon medienarchäologisch | |
| wirken, wie Zeugnisse aus einer fernen, womöglich besseren Zeit, die der | |
| heutigen vorangegangen sein muss. | |
| Aufgrund der Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen – nicht nur, | |
| aber auch [1][auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz] – wirken fünf | |
| Jahre manchmal schon wie fünfzehn. War „Predictive Policing“ 2018 wirklich | |
| noch das Topthema, wenn es um den Zusammenhang von sprachlicher Information | |
| und KI ging? Angesichts eines mit seinem KI-unterstützten | |
| Deep-Fake-Doppelgänger vor der Weltöffentlichkeit sprechenden russischen | |
| Machthabers wirkt Dockrays Arbeit bereits wie aus der Zeit gefallen. | |
| Bei den älteren Arbeiten anfangen | |
| [2][Die in Dortmund und Berlin lebende Kuratorin Inke Arns] hat diesen | |
| Umstand treffsicher erkannt. In der von ihr in der Galerie Nord | | |
| Kunstverein Tiergarten kuratierten Gruppenausstellung „v01ces – Die | |
| menschliche Stimme im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ hat sie den | |
| hinteren Ausstellungsraum für die älteren Arbeiten reserviert, und es lohnt | |
| sich, den Besuch in der Galerie dort beginnen zu lassen, bevor man sich der | |
| künstlerischen Gegenwart nähert. | |
| Neben Dockrays Arbeit trifft man dort auch auf das Video „See a Dog, Hear a | |
| Dog“ (2016) von Jesse McLean, in dem Reflexionen über | |
| Mensch-Tier-Kommunikation einerseits, [3][das 1966 von Joseph Weizenbaum | |
| entwickelte Computerprogramm ELIZA] andererseits ein historisches | |
| Grundgerüst für unser heutiges Verständnis von | |
| Mensch-Maschine-Kommunikation liefern. | |
| „A Lecture on Schizophonia“, eine ältere Videoarbeit von Erik Bünger, geht | |
| noch weiter zurück in die Zeit. Der Berliner Künstler zeigt mit einer | |
| faszinierenden Analyse des „His Master’s Voice“-Logos, auf dem ein Hund v… | |
| einem Grammofon der Stimme seines verstorbenen Herrchens lauscht (im 20. | |
| Jahrhundert bekannt als Signum diverser Plattenfirmen), eine Urszene der | |
| Trennung von organischem Stimmapparat und menschlicher Stimme, wie sie auch | |
| für heutige Sprachassistenten gültig ist, aber kaum mehr als solche | |
| wahrgenommen wird. | |
| Versorgt mit dem Wissen aus Büngers Video, erschließt sich nun etwa die | |
| raumgreifende Arbeit „Not Allowed for Algorithmic Audiences“ (2021) von | |
| Kyriaki Goni am anderen Ende der Ausstellung umso besser. Die Athener | |
| Künstlerin lässt hier in einem Video einen Sprachassistenten-Avatar | |
| aufgrund von dessen bevorstehender Abschaltung zum Widerstand gegen | |
| KI-Sprachsysteme aufrufen. | |
| Extrahierte Fragmente alter Steine | |
| Man erfährt in poetischer Wendung, dass Sprachassistenten „aus dem Klang | |
| seltener Erden bestehen“ (die ihrerseits so klingende Namen wie Lanthanum, | |
| Cerium, Praseodyum, Neodymium oder Promethium hätten und in einer Vitrine | |
| im Raum aufgereiht sind), dass sie also aus extrahierten Fragmenten alter | |
| Steine und so auch aus menschlicher Arbeit bestünden. Aber nicht nur dies | |
| sei bei der Benutzung von Sprachassistenten unsichtbar, sondern auch die | |
| Anwendung gesellschaftlicher Stereotype und Voreingenommenheiten beim | |
| Trainieren von KI-Systemen mit Daten. | |
| Der Avatar verweist auf Studien, nach denen Spracherkennungssoftware | |
| größere Probleme beim Verstehen von Stimmen Schwarzer Menschen hätte oder | |
| auf den Umstand, dass beim KI-Training biometrische Daten (etwa die Form | |
| von Mund oder Zähnen) herangezogen werden, um stimmliche Feinheiten besser | |
| differenzieren zu können. | |
| Doch nicht nur das, menschliche Daten erscheinen bei alldem nur als ein | |
| notwendiger technologischer Zwischenschritt, denn mittlerweile sei „die | |
| Mehrheit der Zuhörer auf dem Planeten Algorithmen“. Und plötzlich wird | |
| klar, warum die warnenden Sätze aus Sean Dockrays Video so antiquiert | |
| klingen: Wenn beim industrialisierten Zuhören nur noch Algorithmen | |
| Algorithmen zuhören, geht es am Ende gar nicht mehr um uns. | |
| 26 Dec 2023 | |
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| Martin Conrads | |
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