# taz.de -- Die Kunst der Virtual-Reality: Der Blick in die Dinge | |
> Immer noch sehr experimentell: Die Gruppenausstellung „Unleashed Utopias“ | |
> versammelt Virtual-Reality-Kunst im Haus am Lützowplatz in Berlin. | |
Bild: Mohsen Hazrati, Still aus „Fãl Project [none-AI]“ | |
Und plötzlich ist die eigene Hand ein Ast, auf dem ein Vögelchen sitzt. Mit | |
der deutet man in einer fantastischen Cyberlandschaft auf andere Objekte, | |
die sich beim Kontakt plötzlich wie von Geisterhand zu bewegen beginnen. Es | |
ist wie im Märchen bei „Fãl Project [none-AI]“ des iranischen Künstlers | |
Mohsen Hazrati, das derzeit in der Ausstellung „Unleashed Utopias“ im | |
[1][Haus am Lützowplatz] zu sehen ist. | |
Wie bei Virtual-Reality-Arbeiten üblich, muss man eine Datenbrille | |
aufsetzen, um in die dreidimensionalen Fantasiewelten eintauchen zu können. | |
Im Gegensatz zum ersten VR-Kunstwettbewerb, der von einer deutschen | |
Online-Bank veranstaltet wird und vor zwei Jahren im Haus am Lützowplatz zu | |
sehen war, steckt die Kunst allerdings diesmal nicht nur in einem digitalen | |
Paralleluniversum. | |
Damals bestand die Ausstellungspräsentation praktisch nur aus Tischen mit | |
Datenbrillen. Diesmal gehörte es zu den Ausschreibungsbedingungen, dass die | |
Arbeiten auch den physischen Raum einbeziehen und eine | |
[2][„Augmented-Reality“-Komponente] enthalten sollte – also ein Element, | |
bei dem die Ansicht des physischen Raums durch Material auf einem Tablet | |
oder Smartphone ergänzt wird. | |
Mohsen Hazrati ist es bei seiner Arbeit gelungen, den märchenhaften und von | |
persischer Folklore beeinflussten Look seiner VR-Arbeit in den Realraum zu | |
übertragen: In einem abgedunkelten Raum steht der Wunschbrunnen, den man | |
auch in der VR-Welt zu sehen bekommt, und schimmert geheimnisvoll vor sich | |
hin. | |
Übers Tablet kann man eine Weissagung anfordern, dann leuchtet der Brunnen | |
auf, das Wasser beginnt zu fließen, und die Zukunft rückt näher – in Form | |
eines Orakelspruchs von ChatGPT. In dieser Arbeit dient die VR zur | |
Sichtbarmachung von bisher unrealisierten Potentialen, fast wie eine Art | |
Science Fiction. Das gilt auch bei „Posthuman Wombs“ von Anan Fries, die | |
eine Zukunft beschreibt, in der Embryos von Kollektiven in Exo-Gebärmüttern | |
ausgetragen werden. | |
## Perspektivwechsel suchen | |
Die Künstlerin Marlene Bart hat sich bereits als Tierpräparatorin betätigt, | |
woran ein ausgeweideter Frosch aus Murano-Glas in ihrer Arbeit „Theatrum | |
Radix“ erinnert, der auf einem Regal neben anderen teilweise kaum zu | |
identifizierbaren Objekten liegt. Bart benutzt Computerscans von Exponaten | |
aus dem [3][Berliner Naturkundemuseum], die sie verfremdet und als | |
physisches Objekt oder in der Virtual Reality zeigt, um einen | |
Perspektivwandel zu ermöglichen, weg vom menschlichen, aufklärerischen | |
Blick in die Dinge zu einer organischeren und weniger subjektzentrierten | |
Sichtweise. | |
Sowohl Lauren Moffats „Local Binaries“ wie „Glitchbodies“ von Rebecca | |
Merlic nutzen die Möglichkeiten der Virtual Reality, um so nicht sichtbares | |
Innenleben zu zeigen: Während Moffat sich von Frauen ihr Körpergefühl hat | |
schildern lassen und dies mithilfe von KI in Ölgemälden und | |
3-D-Environments umsetzt, sind es bei Merlic verschiedene Varianten | |
transsexuellen Begehrens. Moffats formale Experimente mit Ölfarben und | |
Computerräumen führen dabei zu den interessanteren visuellen Resultaten. | |
Wenn man mehrere VR-Arbeiten in einer Ausstellung zu sehen bekommt, rücken | |
auch die immer noch sehr eigenen Präsentationsbedingungen dieser Kunstform | |
in den Blick. Da sind nicht nur der ewige Kabelsalat und die verschiedenen | |
Controller, deren spezielle Grammatik man sich bei jeder Arbeit neu | |
erschließen muss. | |
Auch die Headsets schaffen es, gleichzeitig steril zu wirken und Fragen | |
nach der Hygiene aufkommen zu lassen bei einem Instrument, das sich ein | |
Besucher nach dem anderen über den Schädel zieht. | |
Um Arbeiten neu zu starten oder einen aus Ecken, in die man sich in der | |
virtuellen Realität hineinmanövriert hat, wieder herauszuhelfen, müssen | |
immer wieder die Aufsichtspersonen herbeigerufen werden. Die sind zwar | |
außerordentlich hilfsbereit und gut vorbereitet, aber es gibt schon zu | |
denken, dass eine Kunstforum, die sich durch besondere Immersion und | |
unvermittelte Direktheit auszeichnen soll, nach wie vor so einen hohen | |
Vermittlungsbedarf hat. Die sehr experimentelle Phase der VR-Kunst dauern | |
nun doch schon etwas länger an. | |
16 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kunst-aus-Israel/!5940747 | |
[2] /Augmented-Reality-im-Gropius-Bau/!5950658 | |
[3] /Bluehende-Ausstellung-im-Naturkundemuseum/!5945708 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
## TAGS | |
Berlin Ausstellung | |
Virtual Reality | |
zeitgenössische Kunst | |
wochentaz | |
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
Osnabrück | |
Ausstellung | |
Augmented Reality | |
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Virtual-Reality-Brillen: Meeting im Raumschiff | |
VR-Brillen sollen das nächste große Ding werden. Wie sie unsere Arbeit | |
bereichern können und sich auf unsere sozialen Beziehungen auswirken. | |
Ausstellung mit Medienkunst zu KI: Der Klang seltener Erden | |
Geht es nur noch um Algorithmen? Eine Ausstellung in der Galerie Nord | | |
Kunstverein Tiergarten untersucht die Rolle der menschlichen Stimme bei KI. | |
Naturkundemuseum erneuert: Ein Haus wirft Fragen auf | |
Vom Artensterben bis zur Zoonose: Das runderneuerte Osnabrücker | |
Naturkunde-Museum macht Lust darauf, drängende Probleme der Gegenwart zu | |
erforschen. | |
Dada im Digitalen: Virtuelles Vorgefundenes | |
Was ist von Dada übrig? Eine kleine Gruppenausstellung im Kunstverein | |
Wolfsburg interessiert sich für Spuren im Digitalen. | |
Augmented Reality im Gropius Bau: Ich sehe was, das du nicht siehst | |
Ana Prvačkis AR-Ausstellung im Lichthof des Gropius Baus zeigt via App ein | |
blühendes Paralleluniversum. Es ist eine kollektive Halluzination. | |
Künstliche Intelligenz in der Kunst: Auf der Suche nach dem Deep Fake | |
Eine Ausstellung will KI in der Kunst zeigen. Was es bedeutet, wenn | |
Technologie täuschende Bilder produziert, erklärt sie aber kaum. |