# taz.de -- Naturkundemuseum erneuert: Ein Haus wirft Fragen auf | |
> Vom Artensterben bis zur Zoonose: Das runderneuerte Osnabrücker | |
> Naturkunde-Museum macht Lust darauf, drängende Probleme der Gegenwart zu | |
> erforschen. | |
Bild: Schlechte Idee: Medikamente im Klo entsorgen | |
Osnabrück taz | Da ist dieser Torvosaurus: Wer per | |
Augmented-Reality-Fernglas seinen Namen anvisiert, sieht den gewaltigen | |
Fleischfresser durchs Museum stapfen, die Podest-Beschilderung „Welt der | |
Dinosaurier“ zerbirst dabei unter seinem Klauenfuß. | |
Da ist auch das [1][„Wood Wide Web“]: Wer per Baumtelefon das | |
Nachbargewächs anruft, sieht Lichtsignale über den Boden zucken – | |
Versinnbildlichung des unterirdischen Pilzgeflechts, das dem Wald hilft, | |
Nährstoffe weiterzugeben sowie vor Krankheiten und Fressfeinden zu warnen. | |
Und da ist das „Universum unter unseren Füßen“: Wer sein Ohr auf die Erde | |
presst, hört eine flüsternde Stimme: „Leise! Ich bin gerade auf Jagd! Da | |
vorne ist ein köstlicher kleiner Wurm!“ | |
Das Osnabrücker „Museum am Schölerberg“, zugleich [2][Naturkundemuseum], | |
Umweltbildungszentrum und Planetarium, lädt zur Entdeckung ein. Nach | |
mehrjährigem Umbau zeigt es eine neue Dauerausstellung – und weil es jetzt | |
keine kulissenhaften Kleinwelten mehr gibt, von der | |
Seeufer-Ornithologenhütte bis zur Legebatterie, von der Hausruine bis zum | |
Innenstadt-Schaufenster, kann man jetzt gut erkennen, dass es gebaut ist | |
wie ein Ammonit. | |
Vor allem für den Wurzelteller des gewaltigen Siegelbaums hat sich der | |
Umbau gelohnt, des spektakulärsten Exponats des Museums. 308 Millionen | |
Jahre alt, 1886 beim Kohleabbau im Osnabrücker Piesberg gefunden und eines | |
der größten Pflanzenfossilien der Welt, ist er zum Logo des Hauses | |
avanciert. | |
## Koloss macht Karriere | |
Vorher stand der tonnenschwere Koloss zusammenhanglos in einer dunklen | |
Ecke. Nach seinem Umzug, Luftlinie nur wenige Meter weit, aber 1.000 | |
komplizierte Arbeitsstunden lang, bildet er den Kern des Blickfangs des | |
Hauses, eines nachgebauten Sumpf-Walds der Karbonzeit, und per AR sehen wir | |
seinen Stamm in die Höhe wachsen. | |
Lisa Heyn, die Sprecherin des Museums, steht zu Füßen des Waldes. Man kann | |
ihn sich auch von oben ansehen, aber Heyn schaut gern zu ihm empor. „Das | |
ist mein Lieblingsblick“, sagt sie der taz. Rechts des Siegelbaum-Fossils | |
windet sich ein zwei Meter langer Tausendfüßler, dahinter zieht ein | |
wandgroßes Panoramagemälde den Blick in die Tiefe der Landschaft. | |
Anna Averbeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin, erzählt derweil von der | |
karbonzeitlichen Sammlung des Museums, die Weltrang hat, in der | |
Vorgängerausstellung allerdings nur marginal vorkam: „Diese Schätze | |
wollten wir diesmal prominenter zeigen.“ | |
Der Wald ist der Mittelpunkt der Ausstellung, und was ihn umringt, versucht | |
einen Brückenschlag von der Entstehung unserer Galaxie bis zu Fragen des | |
urbanen Lebens, von der Mobilitätswende bis zur [3][Lichtverschmutzung]. Es | |
ist ein Brückenschlag vom Globalen ins Lokale, von der Ursuppe bis zur | |
Klimakrise. Natürlich geht es auch um Dekarbonisierung; der Wald zeigt, wie | |
entstand, was wir heute verbrauchen. | |
Die Schau ist nicht frei von Skurrilitäten. Für manche ihrer Inhalte muss | |
man einen Toilettendeckel öffnen oder eine Waschmaschinentür. Im Nachbau | |
einer Fichtenmonokultur, brutal durchfräst von Harvester-Reifen, sind als | |
Eastereggs ein paar Miniatur-Schlümpfe versteckt. | |
Das alles wirkt nüchtern-modern, hell, clean, räumlich transparent. Der | |
Charme der alten Tage, als hier stark auf stimmungsdichte Theaterhaftigkeit | |
geachtet wurde, auch auf suggestive Dunkelheit, ist fort. Ein bisschen | |
schade ist das schon. Kinder werden vor allem die Spielhöhle vermissen; die | |
kleinen Kriechräume beim Themen-Podest „Ökologische Nische“ sind kein | |
Ersatz. | |
Aber auch der Reiz der neuen Dauerschau ist groß. Nachhaltigkeit ist für | |
sie nicht nur ein Thema, sondern ein Eigenanliegen: Alle Holzelemente der | |
alten Ausstellung wurden geschreddert und zu abstrakten Baumstämmen eines | |
Walds der Zukunft zusammengesetzt. Hunderte Lautsprecher, von einer Deponie | |
gerettet, bilden ihre Blätter, spielen Waldgeräusche ab. | |
Und so ernst das alles ist, vom Wert der Biodiversität bis zur | |
Wasserverschmutzung durch Düngemittel, Industrieemissionen, Arzneimittel | |
und Mikroplastik, so spielerisch ist es präsentiert. Augen öffnend sind vor | |
allem die Experimentierstationen. | |
## Simulator für Zukunftsalternativen | |
In einem imaginären Gemeinderat lässt sich diskutieren, ob der Wald eher | |
der Forstwirtschaft oder dem Naturschutz überlassen werden sollte. Ein | |
Straßenplanungs-Simulator verführt dazu, herauszufinden, was passiert, wenn | |
das Fahrrad das Auto verdrängt. An Kochtöpfen lässt sich mit | |
Magnetschildchen ausprobieren, was noch als Essen taugt: Reste vorm Vortag? | |
Check. Krumme Karotten? Check. Verbrauchsdatum abgelaufen? Lieber nicht. | |
Wer die Ausstellung besucht, denkt über vieles nach. Über Mais-Monokulturen | |
und die Rückkehr der Wölfe, über Urban Gardening und den | |
Meeresspiegelanstieg, über [4][Bodenversiegelung] und das Wasser als | |
Element des Lebens. Das ist, gerade in unseren Tagen der Naturgefährdung | |
und Umweltbelastung, bitter notwendig. | |
Ausstellungstechnisch und thematisch hat sich das Museum vorbildlich in die | |
Jetztzeit katapultiert. Wer danach noch ein bisschen bleiben will, zu Snack | |
und Getränk, hat es allerdings schwer. Der neue Aufenthaltsraum ist kein | |
helles, offenes Café mehr, mit herrlichem Emporen-Blick auf den See, der | |
das Haus halb umgibt, sondern ein düsteres Gelass hinter der Kasse. Das | |
geht besser. | |
2 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Veganer-Kaese-auf-Cashewbasis/!5651715 | |
[2] /Insektenzaehlen-vor-dem-Naturkundemuseum/!5952381 | |
[3] /Neue-Studie-zu-Insektensterben/!5962842 | |
[4] https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/boden/b… | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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