| # taz.de -- Blühende Ausstellung im Naturkundemuseum: Empathie für Insekten | |
| > Mögen Bienen und Schmetterlinge Kunst? Alexandra Daisy Ginsberg hat | |
| > Bestäubern mit „Pollinator Pathmaker“ einen Garten am Naturkundemuseum | |
| > designt. | |
| Bild: Manchmal besteht die Kunst aus einem wilden Garten | |
| Auf dem Vorplatz des Naturkundemuseums Berlin ist seit Mai ein neuer Garten | |
| angelegt. Bachnelkenwurzeln mit zarten hängenden rosa Köpfchen, struppiger | |
| Lavendel, langer, zum Himmel ragender Schnittlauch. Über 7.000 Pflanzen 80 | |
| verschiedener Arten verlaufen in einem undurchschaubaren Cluster – manchmal | |
| aufgereiht, dann wieder scheinbar chaotisch. Das Projekt „Pollinator | |
| Pathmaker“ der britischen Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg, in Berlin | |
| initiiert von der LAS Art Foundation, soll vor allem nichtmenschliches | |
| Publikum anlocken: Bienen, Schmetterlinge, Motten und Käfer. | |
| 2020 fragte die britische Kunstorganisation Eden Projects Daisy Ginsberg, | |
| die an der Schnittstelle von Biologie, Technologie und Kunst arbeitet, an, | |
| eine Arbeit [1][über das Artensterben] zu machen. Doch weil sie, wie sie | |
| sagt, „kein Kunstwerk über, sondern für Arten machen“ wollte, entwarf | |
| Ginsberg Kunst für diejenigen, die für die Biodiversität existenziell sind. | |
| Mit Expert*innen entwickelte die Künstlerin ein algorithmisches Tool für | |
| die Gartenplanung, das sich an den Bedürfnissen und Bewegungsmustern von | |
| Bestäuberinsekten orientiert. Damit lassen sich bestäuberfreundliche | |
| Bepflanzungspläne errechnen. | |
| In Cornwall und London gibt es bereits solche Gärten, das Berliner | |
| LAS-Projekt ist der erste „Pollinator Pathmaker“ in Kontinentaleuropa. | |
| Kunst für Insekten? Wie sähe ein Garten aus, wenn Bestäuber ihn entwerfen | |
| würden? „Uns ist bewusst, dass es spekulativ ist, denn aus der | |
| menschenzentrierten Sichtweise kommen wir letztendlich nicht heraus“, | |
| erklärt Sophie Korschildgen, eine der beiden Kuratorinnen des LAS-Projekts. | |
| „Was wir tun können, ist, uns neue Sichtweisen anzutrainieren.“ | |
| Der Garten ist überlagert mit Bedeutungen: als Nahrungsquelle, als Ort der | |
| Domestizierung der Natur, als Träger medizinischen Wissens, als Schauplatz | |
| kolonialer Klassifizierung und Kategorisierung – nicht zuletzt als | |
| Paradies. „Pollinator Pathmaker“ will eine neue Sichtweise vorschlagen: Der | |
| Garten als Raum der Koexistenz von Mensch und Umwelt, als Ort der Empathie | |
| – vermittelt durch Technologie. | |
| ## Nicht der Mensch steht im Mittelpunkt | |
| Empathie für andere Lebewesen und eine Abkehr von anthropozentrischen | |
| Sichtweisen ist ein zentrales Thema der künstlerischen Arbeit Ginsbergs. | |
| Bei „Pollinator Pathmaker“ soll der Empathiemuskel praktisch und | |
| partizipativ trainiert werden – nicht durch Betrachten, sondern dem | |
| eigenhändigen Pflanzen. Helfen soll dabei das erwähnte algorithmische | |
| Bepflanzungstool. Es steht online zur freien Verfügung, jede*r kann dort | |
| ein Modell des eigenen Gartens anlegen. [2][Auf der Website] erscheint erst | |
| eine leere Gartenfläche, die lässt sich je nach Wunsch an Größe, | |
| Pflanzenarten und Bodenbeschaffenheit anpassen. | |
| Durch die Auseinandersetzung lernt man über die Bedürfnisse der Bestäuber: | |
| Einige der Pflanzen ziehen viele verschiedene Insekten an, während andere | |
| nur bei einzelnen beliebt sind. Den Steppen-Salbei mögen beispielsweise | |
| Schmetterlinge besonders. Am Ende lässt sich ein konkreter | |
| Bepflanzungsvorschlag für den eigenen „Pollinator Pathmaker“ herunterladen | |
| – den Garten mit sämtlichen Pflanzen sieht man im 3D-gerendertem Modell. | |
| [3][In Rückbezug auf Joseph Beuys] betrachtet Daisy Ginsberg ihr lebendiges | |
| Kunstwerk zudem als eine soziale Plastik, das durch die Partizipation | |
| vieler wächst. „Es ist eine Form des kreativen Aktivismus“, sagt die | |
| Künstlerin. „Ich weiß, ich verlange viel von Leuten, sie müssen einen Ort | |
| finden, Gelder beschaffen, ihre Zeit investieren, aber dadurch verändert | |
| sich etwas.“ Sie böte nur ein Werkzeug an, mit dem hoffentlich einige | |
| Hürden abgebaut werden könnten. | |
| ## Jede:r soll mitmachen können | |
| Dass der Besitz oder Erhalt eines Gartens jedoch nur denjenigen möglich | |
| ist, die über erhebliche Ressourcen verfügen, ist auch den | |
| Initator*innen bewusst. Um das Projekt in Berlin dennoch | |
| weiterzutragen, wird die Teilnahme von Schulen und Nachbarschaftsvereinen | |
| von LAS und dem Naturkundemuseum gefördert – diese können sich online | |
| bewerben. Egal ob als Institution, Gruppe oder Einzelperson, der Mensch | |
| soll in „Pollinator Pathmaker“ zum proaktiven „Caretaker“ werden. | |
| Anstatt die Natur sich selbst zu überlassen, werden „nicht nur heimische | |
| Wildpflanzen, sondern ganz bewusst auch nicht invasive Kultivare“ | |
| gepflanzt, die als besonders insektenfreundlich gelten, betont | |
| Korschildgen. Zierpflanzen sucht man vergeblich. Die Verantwortung für den | |
| Garten, den man durch Ginsbergs Projekt übernimmt, ist eine langfristige – | |
| denn die angepflanzten Stauden blühen in der Regel drei bis fünf Jahre. | |
| Im Kontext von Klimakrise und dem drohenden Verlust der Biodiversität | |
| stellt der Garten für Bestäuberinsekten ganz praktisch unsere Kompetenzen | |
| auf die Probe: Verlangt werden Fürsorge, Verantwortung, Langfristigkeit. | |
| 9 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Folgen-der-Klimakrise/!5939588 | |
| [2] https://pollinator.art/de | |
| [3] /Ausstellungen-zu-Kuenstler-Joseph-Beuys/!5783161 | |
| ## AUTOREN | |
| Amelie Sittenauer | |
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