| # taz.de -- Climate Cultures Festival: Wenn Müll die Identität bestimmt | |
| > Das Climate Cultures Festival „gegen!blicke“ in Berlin versammelte | |
| > Stimmen aus Ländern, die von der Klimakrise hart getroffen sind. | |
| Bild: Michaela Vieser und Isaac Yuen stellten auf dem Climate Culture Festival … | |
| „You can’t be what you can’t see“, bringt es die US-Demokratin Alexandra | |
| Ocasio-Cortez auf eine Formel: Wer Veränderungen erreichen will, muss sie | |
| sich zunächst einmal vorstellen. Allerdings sind die Stimmen zur | |
| Klimakatastrophe in den Feuilletons, auf Vernissagen und Biennalen, in | |
| Film, Theater, Musik und Literatur immer noch bemerkenswert leise. | |
| Aber ein wenig was tut sich doch: So haben sich Begriffe im Kulturbetrieb | |
| etabliert, die noch vor einigen Jahren für viele Verleger*innen | |
| Fremdwörter waren: Climate Fiction zum Beispiel, Hope Punk oder auch | |
| Climate Change Art. | |
| Climate Cultures könnte der nächste sein, findet Martin Zähringer. Der | |
| Radiojournalist und Literaturkritiker kuratiert gemeinsam mit seiner | |
| Partnerin Jane Tversted das Climate Cultures Festival in Berlin. In der | |
| Alten Münze fand es unter dem Motto „gegen!blicke“ vom 26. bis 28. August | |
| 2022 zum dritten Mal statt. | |
| Den Begriff Climate Cultures führt Zähringer auf den britischen Geografen | |
| und Klimatologen Mike Hulme zurück. Zähringer verbindet ihn mit der | |
| Vielstimmigkeit von Kulturen, die die Klimakrise aufgrund ihrer | |
| geografischen und historischen Verortung unterschiedlich erzählen. „Im | |
| Literaturbetrieb heißt es häufig, dass sich Globalität nicht beschreiben | |
| lässt“, sagt Zähringer. „Wie schaffen wir das doch?“ | |
| Der Vielstimmigkeit zu lauschen, das bedeutet auch: Stimmen zu hören, die | |
| häufig kaum wahrnehmbar sind. Wie die Stimmen ärmerer Länder, die der | |
| Klimawandel besonders hart trifft, obwohl sie selbst kaum etwas dazu | |
| beitragen. | |
| ## „Waste Identity“ | |
| Damit beschäftigt sich zum Beispiel der Künstler Aàdesokan aus Nigeria: Er | |
| zeigte Fotografien, die das Leben Vertriebener dokumentieren, die sich auf | |
| den Müllbergen vor Nigerias Hauptstadt Lagos einrichten müssen. „Waste | |
| Identity“ nennt er das: Der Müll bestimmt die Identität. Es gehe ihm nicht | |
| darum, Mitleid für die Betroffenen zu erregen, sagt Aàdesokan, sondern um | |
| Aufmerksamkeit: „Es gibt Realitäten, die der Westen einfach nicht sieht.“ | |
| Perspektiven des sogenannten Globalen Südens räumte das Climate Cultures | |
| Festival besonders viel Platz ein: Wie verbindet die Rastafari-Bewegung | |
| spirituelle mit materiellen Ansätzen zu einer Überlebensstrategie für die | |
| Zukunft? Oder: Wie funktioniert der „hoffnungsvolle Pessimismus“ in der | |
| [1][Science Fiction von Afrofuturist*innen] Nigerias? Das stieß im | |
| Publikum auf viel Anklang: „Inzwischen wissen selbst Kinder über die | |
| Klimakrise Bescheid“, sagte eine Besucherin. „Aber über die Länder, in | |
| denen das heute bereits passiert, redet trotzdem keiner.“ | |
| Dem Ungehörten eine Stimme zu geben, darum ging es in anderer Form auch den | |
| Nature Writern Michaela Vieser und Isaac Yuen auf dem Panel „Klima und | |
| Klang“. In ihrem Klangatlas befassen sie sich mit den Klangwelten der Natur | |
| – und auch jenen des Anthropozäns. Wenn wir hinhören, bemerken wir dann | |
| nicht auch einen größeren Teil jenen Lebens, das sich unserer Wahrnehmung | |
| in der Regel entzieht? | |
| Zum Beispiel die „summenden Felder von Altai“: Das mongolische | |
| Altai-Gebirge liegt in einer Region, in der es Industrialisierung nie gab. | |
| In der Vielstimmigkeit der Insekten auf den Feldern zwischen den Bergen sei | |
| eine harmonische Ordnung verborgen, sagt Vieser. Nur wer zuhöre, könne sie | |
| finden. Wer hingegen ein Mikrofon in das tiefste Bohrloch der Erde abseilt, | |
| das russische Kola-Bohrloch, entdecke in der Tiefe nur die Geräusche der | |
| Zivilisation: von Fabriken, Kraftwerken, Steinbrüchen, Städten. | |
| ## Der russische Kulturbetrieb ist im Exil | |
| Manche Stimmen werden nicht nur überhört, sondern aktiv unterdrückt. In | |
| Russland gibt es seit dem Angriff auf die Ukraine keinen Platz mehr für | |
| Kunst oder Journalismus. Wer sich zum Krieg kritisch äußert, wird | |
| eingesperrt. Der russische Kulturbetrieb ist im Exil. Darüber sprach die | |
| Klimajournalistin Angelina Davydova aus Sankt Petersburg auf dem Panel | |
| „[2][Klimakunst] und Krieg“. | |
| Etwas ist anders in den zwölf kurzen Filmen russischer Künstler*innen, die | |
| Davydova an diesem Abend präsentiert: Während die übrigen Gäste betonen, | |
| wie wichtig es sei, die Hoffnung nicht aufzugeben, wirken die Stimmen aus | |
| Russland auffallend pessimistisch. Das Video „NoWar“ von Olga Butenop zeigt | |
| Putins Gesicht losgelöst von seinem Körper als monströse Fratze. Tote Bäume | |
| schweben im Himmel. Eine Friedenstaube im Käfig verglüht in einer | |
| Atomexplosion. Dazu sowjetische Marschmusik aus dem Zweiten Weltkrieg, die | |
| die Künstlerin rückwärts abspielt. | |
| Russland ist der viertgrößte CO2-Emittent auf der Welt. Die internationale | |
| Gemeinschaft müsse sich daher fragen, wie sie Russland zurück an den Tisch | |
| bekommt, meint Davydova. Denn: „Was in Russland passiert, geht uns alle an, | |
| überall auf der Welt.“ | |
| 30 Aug 2022 | |
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| David Schmidt | |
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