| # taz.de -- Ordnung und Unordnung im Schrebergarten: Saisonalität und Kontrolle | |
| > Unsere Autorin wuchs in der Stadt auf. Nun hat sie einen Kleingarten und | |
| > versucht, im Rhythmus gezähmter Natur zu schwingen. Was viel Arbeit | |
| > macht. | |
| Bild: Wie viel Unordnung kann man zulassen? Marlen Hobrack in ihrem Kleingarten | |
| Der Garten steht nicht still. Jedes Jahr im August, wenn ich aus dem | |
| Sommerurlaub zurückkehre und zum ersten Mal seit ein oder zwei Wochen den | |
| Garten betrete, überkommt mich ein kleiner Schauer: Wie kann es sein, dass | |
| die Pflanzen in meiner Abwesenheit ein solch extremes Eigenleben führen? 20 | |
| Zentimeter Wachstum in nicht einmal 14 Tagen, wie ist das möglich? | |
| Es gäbe kein grenzenloses Wachstum, heißt es oft in der ökologischen Kritik | |
| am ökonomischen Wachstumsfetisch, aber mein Garten scheint diese Annahme zu | |
| widerlegen. Nach jedem Urlaub beginnt deswegen das Aufräumen, denn | |
| natürlich wächst nicht nur das, was wachsen soll, im Gegenteil: die Un- und | |
| Beikräuter, oder schlicht das, was in diesem Beet an dieser Stelle nun | |
| definitiv gerade nicht wachsen soll, müssen beackert werden. | |
| Beinahe hätte ich „bekämpft“ geschrieben, doch das hätte ein völlig | |
| falsches Bild von mir als Gärtnerin vermittelt. Ich habe nämlich kein | |
| grundsätzliches Problem mit Unkraut. Bekanntermaßen lautet die einzige | |
| gültige Definition von Unkraut, dass es sich um ein Kraut handelt, das man | |
| an einer bestimmten Stelle des Gartens nicht wünscht. | |
| ## Unkräuter essen | |
| Zumeist sind solche Unkräuter wie der Löwenzahn oder die Brennesel oder der | |
| Giersch essbar und sogar gesundheitsfördernd. Andere sind einfach schön, | |
| wie die Distelarten, die stachelbewehrt in die Höhe schießen, die | |
| allerdings dem Gärtner das Leben schwer machen, so er denn auf die Idee | |
| kommt, sie auf den Kompost zu werfen. | |
| Würde kein vernünftiger Gärtner machen, weil hier ja die Gefahr der | |
| Vermehrung droht, aber ich bin in diesem Sinne nicht vernünftig, sondern | |
| pragmatisch (oder faul). | |
| Als ich um diesen Text gebeten wurde, lautete die Frage, ob ich nicht am | |
| Ende der Saison über das Gärtnern nachdenken wolle. Der Witz ist: Es gibt | |
| kein Ende der Gartensaison, und falls doch, dann ist es sicher nicht der | |
| Spätsommer oder Herbst, jene Zeit, die gemeinsam mit dem Frühling zur | |
| arbeitsreichsten Zeit gehört. Wobei sich ja nicht nur die Haupterntezeit | |
| von August bis in den Oktober hinein erstreckt, sondern allerhand anderes | |
| unternommen werden muss. | |
| Stauden teilen und umpflanzen. Unkraut entfernen und mulchen. Bäume und | |
| Sträucher beschneiden, Hecken stutzen, Formschnitte durchführen und | |
| zweijährige Pflanzen aussäen. Stecklinge fürs nächste Jahr schneiden. Die | |
| Zahl der Aufgaben ist unendlich. Im Sommer dagegen gebietet schon die | |
| Wärme, lediglich Regenwasser zu verteilen und die Früchte des Sommers, | |
| buchstäblich, zu genießen. | |
| ## Intensive Verbindung zur Natur | |
| Ich wurde als Stadtkind geboren und habe nie auf dem Land gelebt. Ich bin | |
| die Tochter eines Gärtners, der nie privat gärtnerte, ich hatte schon als | |
| Kind eine intensive Verbindung zur Natur – oder das, was man am Stadtrand | |
| dafür hält. Meist handelt es sich um Orte, die im hohen Maße produziert und | |
| fabriziert sind, Felder und „Naturparks“ etwa. Lange Zeit fand ich die | |
| Erinnerung an das Streifen über Mais- und Rapsfelder sehr idyllisch, heute | |
| frage ich mich, wie viel Glyphosat ich dabei wohl eingeatmet habe. | |
| Ein Garten hätte dem hypersensiblen Mädchen, das ich einmal war, sicher | |
| gutgetan. Seit ein paar Jahren nun habe ich einen Schrebergarten. So | |
| seltsam es klingen mag; kein Ort lädt mehr dazu ein, sich mit dem eigenen | |
| Ich auseinanderzusetzen, als der Garten. Wie viel Ordnung braucht man, wie | |
| viel Unordnung kann man zulassen? Lässt man sich überraschen oder muss man | |
| kontrollieren? | |
| Ich habe so gewisse Zwänge an mir festgestellt. Ich bin sensorisch etwas | |
| sensibel und ertrage daher bestimmte Farbkombinationen nicht. Ist etwas | |
| albern, aber wahr. Weswegen es mich wahnsinnig frustriert, wenn die Farben | |
| der Pflanzen, die ich kombiniert habe, in meinem Kopf nicht harmonieren. | |
| Ich mag keine penible Ordnung, aber es gibt einen Kipppunkt, an dem mir die | |
| Unordnung Angst macht. Immer dann, wenn die Dinge aus allen Ecken und Enden | |
| herausquellen. | |
| Unser Garten ist ein Schreber meets Cottage meets Naturgarten, mit anderen | |
| Worten: Viele Stauden sind sehr ausbreitungsfreudig, manchmal vermehren sie | |
| sich durch Selbstaussaat explosionsartig. Womit wir wieder bei der Frage | |
| der Kontrolle wären. Zumeist schüttele ich den Kopf, wenn ich Gärten | |
| passiere, deren Rasen wie mit der Nagelschere zurechtgestutzt wirkt und die | |
| weit und breit kein Leben in sich tragen. Aber das mag auch nur Ausdruck | |
| der Persönlichkeit des Besitzers sein. | |
| ## Gärten sind hochpolitisch | |
| Der Garten gilt als Freizeitraum, zugleich als der unpolitischste Ort | |
| schlechthin, dabei ist die Frage, wer Zugang zu Gärten und damit zu | |
| Erholungsräumen, zu Plätzen für den Anbau von hoffentlich ungespritztem | |
| Obst und Gemüse hat, hochpolitisch. Das, was so lange Hohn und Spott über | |
| den Kleingarten brachte, eben die kleinbürgerliche piefig-spießige | |
| Atmosphäre, überdeckt die Geschichte des Kleingartens als Ort der Erholung | |
| für Arbeiter in engen Stadtquartieren. | |
| Genau hier entdecken Studenten und Familien und übrigens auch viele | |
| Menschen mit Migrationsgeschichte den Kleingarten wieder für sich. Erholung | |
| und Naturkontakt (wie gesagt, das Wort Natur ist hier mit Vorsicht zu | |
| genießen) sind willkommen, wo zwischen Wohnung und Discounter um die Ecke | |
| vierspurige Straßen liegen und wo jegliches Gefühl für Saisonalität von | |
| Früchten und Gemüsen abhanden gekommen ist. | |
| Es ist nämlich das eine, im Sinne des nachhaltigen Lebens auf Saisonalität | |
| zu verweisen, aber etwas ganz anderes, das Wissen darum zu erwerben. Weil | |
| ohnehin nicht lokal und streng saisonal für Supermärkte produziert wird. | |
| Einer der größten Trends des Gärtnerns, wenn man Instagram-Hashtags und | |
| Youtube-Vlogs folgt, ist das Selbstversorgen. Wobei ebenjene | |
| Selbstversorgung die Abhängigkeit von der konventionellen Landwirtschaft | |
| (ob bio oder nicht) schmerzlich vor Augen führt. | |
| ## Selbstversorgung ist illusorisch | |
| Selbst zum Höhepunkt der Erntezeit ist das, was unser Garten abwirft, nur | |
| eine willkommene Ergänzung unseres täglichen Bedarfs. Tomaten, Gurken, | |
| Zucchini, Kürbisse, Äpfel, Sauerkirschen und so weiter produzieren dann | |
| sogar einen kleinen Überschuss, der nach Rezepten für Tomatensoßen und | |
| Zucchinibrote, Einlegegurken-Essigmischungen und Apfelkuchen verlangt. Aber | |
| eine Selbstversorgung ist illusorisch, was nicht nur an der Fläche liegt – | |
| es heißt, man brauche circa 30 Quadratmeter pro Person. | |
| Diese 30 Quadratmeter müssten nicht nur mit maximaler Effizienz | |
| bewirtschaftet werden (Fruchtwechsel, ständige Folgeaussaaten), sondern | |
| dürfen weder Trockenheit, Dauerregen, Hagel noch Schnecken, Larven oder | |
| Viren zum Opfer fallen. Das ist aber insbesondere in einem Garten, in dem | |
| keine Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen, schlichtweg der Fall. | |
| In unserem Garten sind Nacktschnecken zum Beispiel in trockenen Jahren – | |
| was die Regel ist – kein Problem, aber in regnerischen Jahren ein echter | |
| Albtraum, dem kaum beizukommen ist – und dem junge Salat- und | |
| Kohlrabipflanzen nichts entgegenzusetzen hatten (bitte schreiben Sie mir | |
| jetzt keine Mails, in denen Sie mir erklären, dass man sie nur absammeln | |
| muss). | |
| ## Respekt vor Öko-Landbau | |
| So ein Garten lehrt also den allergrößten Respekt vor echt ökologischer | |
| Landwirtschaft, mit all den Problemen, die selbst sie mit sich bringt. Er | |
| zeigt, warum die Idee des Rückzugs auf die eigene Scholle, auf der man | |
| autark für sich produziert, so romantisch gar nicht ist (wobei die | |
| Schollenidee natürlich auch aus anderen Gründen reichlich problematisch | |
| ist). | |
| Der Garten, in dem wir nicht selten Kulturgut mit Natur verwechseln, den | |
| wir hegen und pflegen oder vernachlässigen oder mit Gift zuschütten, ist | |
| Ausdruck unseres Verhältnisses zur Welt. So, wie er vor hoffnungsloser | |
| Romantik schützt, offenbart er die schwierige Balance zwischen menschlichen | |
| Interessen (etwa Flächenverbrauch und Ernte) und Umwelterfordernissen. | |
| Wir können ihn als Ort des Rückzugs verstehen oder aber als Resonanzraum, | |
| in dem wir im besten Falle mit einer gezähmten Natur im gleichen Rhythmus | |
| schwingen, uns als Mensch geborgen und aufgehoben fühlt, was wiederkehrende | |
| Gefühle der Über- und Herausforderung nicht ausschließt (verdammte | |
| Wühlmäuse!). Er ist kein Abbild des himmlischen Paradieses. An guten Tagen | |
| aber immerhin das kleine Äquivalent. | |
| Die Autorin ist Preisträgerin des Jörg-Henle-Preises für Literaturkritik | |
| 2023. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Schrödingers Grrrl“ | |
| (Verbrecher-Verlag). Sie lebt in Leipzig. | |
| 10 Oct 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Marlen Hobrack | |
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