# taz.de -- Multikulturelles Gärtnern: Im Schatten der Bananenstaude | |
> Am Stollenwörthweiher in Mannheim gärtnern Menschen aus aller Welt. Die | |
> Fotografin Sabine Kress porträtiert sie mitsamt ihren Lieblingsrezepten. | |
Bild: Yahya und Sari sind seit 43 Jahren ein Liebespaar. Im Garten backen sie a… | |
Ob die beiden Männer mit Kirschlikör anstoßen? Sie stehen an einem | |
Gartenzaun, an dem ein kleines Ablagebrett samt Klingel angebracht ist. | |
„Wer sie betätigt, hat etwas zum Teilen mit dem Nachbarn“, heißt es dazu … | |
Bildband „Angekommen. Kleingärten – wo die Welt sich trifft“, den die | |
Fotografin Sabine Kress herausgegeben hat. 25 Gärten in der Mannheimer | |
Kleingartenanlage am Stollenwörthweiher porträtiert sie hier, begleitet von | |
Texten von Katrin Hentzschel. Im Mittelpunkt stehen dabei die Gärtnernden. | |
Etwa der Mann links auf dem Foto am Gartenzaun. Ðuro heißt er – alle | |
Beteiligten tauchen hier nur mit dem Vornamen auf, man duzt sich eben im | |
Schrebergarten. Ðuro ist 1988 aus Kroatien nach Deutschland gekommen und | |
seit über 20 Jahren mit seiner Frau Diana zusammen, einer gebürtigen | |
Mannheimerin. Auf ihrer Parzelle hegen die beiden vor allem Obstbäume. | |
Nashi-Birne, Kirsche, Feige, Pflaume, Quitte und Pfirsich. Letzterer ist | |
aus einem Steckling gezogen. „Er trägt jedes Jahr Früchte. Die | |
Kräuselkrankheit bekommt er nie“, erzählt Ðuro im großen Textporträt zu … | |
Bildern aus seinem Garten – und da schwingt Stolz mit. Aus dem Obst wird | |
Marmelade und Gelee gekocht, das ist Dianas Job, für den Obstlikör ist Ðuro | |
zuständig. Das Paar pflegt ein enges Verhältnis zu ihren Parzellennachbarn. | |
„Für die Kinder waren sie wie Großeltern“, sagt Diana. | |
Als Werbefotografin reiste Sabine Kress, Jahrgang 1960, viel in der Welt | |
umher. Zwischen den Aufträgen verfolgt sie immer wieder eigene | |
Fotobuch-Projekte. Mal porträtierte sie chinesische Shaolin-Mönche, dann | |
begleitete sie vier Jahre lang Sexarbeiterinnen in der Lupinenstraße, | |
Mannheims Rotlichtmeile. Als ihr jedoch ein Freund anlässlich der | |
Bundesgartenschau 2023 in Mannheim vorschlug, „doch mal was mit Gärten zu | |
machen“, sträubte sich erst mal alles in ihr. | |
## Mit Schleppern nach Deutschland gekommen | |
Dabei ist Kress mit einem kleinen Garten hinterm Elternhaus aufgewachsen, | |
wie sie der taz erzählt. „Als Kind ist das ja eine großartige Sache“, sagt | |
sie, „aber dann als Jugendliche war mir das Gärtnern zu spießig.“ Das | |
verbreitete Vorurteil von [1][Kleingärtner:innen] als engstirnige, | |
angepasste, ordnungsliebende Zeitgenossen, die Gartenzwerge, Regelkataloge | |
und Deutschlandflaggen aufstellen, musste sie erst korrigieren. | |
„Mit einer Freundin bin ich nur zum Spaß durch eine Gartenanlage gelaufen | |
und habe erkannt, dass das doch ganz anders geworden ist, als es mal war“, | |
sagt Sabine Kress. „Vor allem durch die Leute aus aller Welt, die zu uns | |
gekommen sind.“ | |
Wie zum Beispiel Yahya und Sari, die sich 1993 zur Flucht aus Afghanistan | |
entschlossen hatten. Sie sind mit Schleppern nach Deutschland gekommen. | |
Ihren Garten bewirtschaftet das Paar seit 2004, hier bauen sie unter | |
anderem Rhabarber und [2][Auberginen] an. Im Buch stellen sie Bolani vor, | |
das afghanische Nationalgericht: Ein dünner Hefeteig wird zu Teigfladen | |
verarbeitet und mit einer Füllung aus Lauch und Frühlingszwiebeln in einer | |
Pfanne mit etwas Öl gebraten. | |
Lecker sieht das aus! Auf ihrer Suche nach Protagonist:innen wurde | |
Sabine Kress immer wieder bekocht. Und so ranken sich, neben Bildern | |
einzelner Pflanzen und wertvollen Tipps für Anbau oder Verwendung, immer | |
die passenden Rezepte durch die Porträts und machen „Angekommen“ auch zum | |
Kochbuch. | |
## Fischminze in Currys verwendet | |
Genau 889.971 Kleingärten gibt es laut dem Bundesverband der | |
Kleingartenvereine Deutschlands, genutzt werden sie von mehr als 5 | |
Millionen Menschen. Und wie man sehen kann: Jeder Garten ist anders. Auf | |
der Parzelle einer aus Vietnam stammenden Familie gibt es keine Blumen, und | |
das dient einem höheren Zweck. Denn es handelt sich um einen „Garten zum | |
Aufessen“ voller exotischer Gemüsesorten. Hier wachsen Bittermelone, | |
Wachskürbis, Chayote und Spinatstrauch, gedeihen Wasserfenchel, | |
Sesampflanzen, roter Amaranth und Fischminze. | |
Fischminze? Die wird in vielen Currys verwendet und schmeckt angeblich so, | |
wie sie heißt: stark nach Fisch. Das Kraut, das einer gemeinen Minze | |
ähnelt, soll bei Verdauungsproblemen helfen. Und schon mal von der | |
Käsepflanze gehört? Die Rankpflanze schmeckt, so ist zu lesen, nach | |
Camembert, und wird in Vietnam gern zu eiweißreichen Speisen gegessen, weil | |
sie die Proteinverdauung unterstützt. Entsprechend steuert Lanh ihr Rezept | |
für ein Omelett mit Käsepflanze bei. So eine Mahlzeit stillt mehr als den | |
Hunger. „Für meine Eltern ist der Garten ein Stück Heimat“, sagt ihr Sohn | |
Long. | |
Das Herkunftsland findet im Garten gewissermaßen eine florale Fortsetzung. | |
Auch bei Mahin ist das so, die sich 2000 auf den Weg von Teheran nach | |
Europa machte und über Umwege in Mannheim landete. Ihre Safrankrokusse | |
stammen ebenfalls aus Iran, sie blühen im Oktober. Die Ernte kostet Zeit, | |
spart aber Geld: Von den getrockneten Krokussen werden die sogenannten | |
Narben – der obere Abschnitt des Stempels am Fruchtblatt einer Blüte – zu | |
Safranpulver verarbeitet. | |
## Gartenhaus im Stil eines Teehauses | |
Im Garten von Mahin wachsen aber auch Kiwi und Wein. „Das Beste sind die | |
Trauben“, erzählt sie. „Aus ihnen macht mein Nachbar im Herbst Rotwein, | |
dann bekomme ich zwei Flaschen. Den größten Teil lasse ich allerdings zu | |
Rosinen trocknen. In Persien wird viel mit Trockenobst gekocht.“ | |
Ein deutsches Paar ist ebenfalls im Buch mit dabei. Sie posieren vor einer | |
imposanten, etliche Meter hohen, ausladenden [3][Bananenstaude]. „Als wir | |
den Garten übernahmen, waren es gerade mal fünf Stängelchen“, erzählt | |
Florian, das war 2019. Davor hatten Michael und er im Mannheimer Schloss | |
geheiratet und planten die Flitterwochen in Südostasien. | |
Die Leidenschaft für diese Region sieht man ihrer Parzelle an. Das | |
Gartenhaus ist im Stil eines chinesischen Teehauses gestaltet und überall | |
wachsen exotische Pflanzen – hier Seidenakazie und Pfingstrosen samt | |
goldenem Buddha-Kopf, dort Fächerpalmen und Teufelszunge, und auch ein | |
Granatapfelbäumchen ist dabei, das letztes Jahr erstmals Früchte trug. Dazu | |
kommt Gemüse, etwa Artischocken und die mild und fruchtig schmeckende | |
Tomate Auria, die zu den neueren Züchtungen gehört, und auch Penistomate | |
genannt wird (auf einem der Fotos dazu sieht man, warum). | |
Wie die beiden ihre Bananenstaude so groß bekommen haben? Diese Pflegetipps | |
fehlen leider im Buch. Aber sie ließen sich sicher bei einem Gespräch über | |
den Gartenzaun am Stollenwörthweiher klären. | |
22 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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