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# taz.de -- Dada im Digitalen: Virtuelles Vorgefundenes
> Was ist von Dada übrig? Eine kleine Gruppenausstellung im Kunstverein
> Wolfsburg interessiert sich für Spuren im Digitalen.
Bild: Zerfließende Selbstporträts: Martina Menegon, „Artist's block“ (202…
„Vergiss nicht, dass das polemische Element in Dada stets eine große Rolle
spielte“: Mit diesen Worten ermahnte der Pariser Alt-Dadaist Tristan Tzara
(1896–1963) in den frühen 1960er-Jahren seinen künstlerischen Weggefährten
Hans Richter (1888–1976). Da schickte dieser sich gerade an, ein
Standardwerk über Dada als Kunst und Antikunst zu verfassen.
Richter relativierte: Klar, Polemik prägte die literarische Seite. In der
bildenden Kunst aber war Dada ungleich radikaler, wollte nichts weniger als
die völlige Umwälzung der Disziplin – ein neues Denken, ein neues Fühlen,
ein neues Wissen, eine neue Wertschätzung des Zufalls, Unsinns, Banalen
oder Vorgefundenen.
Das war die Mission der 1916 in Zürich aus der Taufe gehobenen Bewegung,
initial um die zwei deutschen Immigrant:innen Emmy Hennings und Hugo
Ball. Wie aktuell ist Dada heute – nach dem [1][internationalen
Jubiläumsjahr 2016]? Was ist vom Anspruch noch da – und wer oder was maßt
sich an, in die bedeutungsschweren Fußstapfen zu treten?
Der Kunstverein Wolfsburg, nie vor den großen Fragen zurückschreckend,
zeigt derzeit eine Gruppenausstellung mit vier Teilnehmer:innen, die
Momente des Dada in der zeitgenössischen technikgestützten Kunstproduktion
nachspüren will. Versammelt sind Arbeiten, die Konventionen infrage
stellen, unerwartete Erlebnisse bieten, im besten Fall mit subversivem
Potenzial, heißt es.
## Korrektur der Kunstgeschichte
Da wäre etwa die 1990 geborene Koreanerin [2][Eunjeong Kim], die einem
Bachelor der Malerei in ihrer Heimat bis 2023 ein Studium und eine
Meisterschulklasse an der HBK Braunschweig folgen ließ. Sie arbeitet nach
wie vor mit der Malerei, erweitert jedoch das tradierte Medium in seiner
ungegenständlichen Spielart um Bildelemente digitalen Ursprungs oder
Ausdrucksformen wie Gespraytem und Collagiertem.
Die Gesamtkompositionen zerlegt sie anschließend in unterschiedliche
Bildebenen, die wiederum mittels 3D-Animationen als Augmented oder Virtual
Reality zu räumlichen Situationen werden, in die die Besucher:innen zu
einem fast gesamtkörperlichen Erlebnis eintauchen können.
Oder der Österreicher [3][Oliver Laric], 1981 in Innsbruck geboren und
Absolvent der Wiener Universität für angewandte Kunst: Er greift
korrigierend in die Kunstgeschichte, besser: ihre Rezeptionsgeschichte,
ein. Mittels 3-D-Druck verwandelt er eine im 18. Jahrhundert durch einen
britischen Sammler „kastrierte“ römische Plastik eines hellenistischen
Hermaphroditen zurück in ihr ursprüngliches nonbinäres Wesen. Was einst
puritanisch-heteronormative Vorstellungen sprengte, ist nun als ein flaches
Relief aus Granit- und Marmormehl sowie in gleich dreifacher Ausfertigung
als Multiple zu bestaunen.
[4][Martina Menegon] ist keine Unbekannte im Wolfsburger Kunstverein: Die
Dozentin in der Abteilung „Transmedia Art“ an der Universität für
angewandte Kunst demonstrierte schon 2019 in der Ausstellung „Snap your
Identity“ die Möglichkeiten avancierter Bildtechnologien, die es den
Besucher:innen erlaubten, etwa mit Menschenschwärmen zu interagieren,
gar zu deformieren. Die dreiteilige Video-Installation der 1988 geborenen
Italienerin bietet nun neuerlich eine per Touchscreen manipulierbare
skulpturale Masse aus Scans des eigenen Körpers. Sie beansprucht allerdings
einen konkreten Raum, die Besucher:innen werden wie vor einer „echten“
Skulptur bildlich erfasst.
Ihnen gegenüber stellt Menegon dann bewusst zerfließende digitale
Selbstporträts, „Glitches“. Auch sie lassen sich drehen oder verformen,
sind fluide Wesen – und eine selbstironische Anspielung auf Menegons
aktuelles Lebensgefühl, persönlich wie künstlerisch.
[5][Bernd Schulz] dann bringt schlussendlich eine Prise Dada-typischen
Humor und die Lust an der Täuschung ins Spiel: 1961 in Wolfsburg geboren,
ist Schulz seit Langem Mitarbeiter am Institut für architekturbezogene
Kunst der TU Braunschweig sowie mit eigenen Lichtinstallationen
beschäftigt. Seine zahllosen Iglus oder Tunnel, erzeugt aus
rotationssymmetrisch bewegtem Licht und dokumentiert in extremen
fotografischen Langzeitbelichtungen, sind für Schulz reale Architekturen –
sie existieren ja als Bild. Und folglich dürfen sie auch als
Sehenswürdigkeiten auf Google Earth und Google Maps eingeschleust werden –
bis irgendjemand eine Löschung beantragt. Ein Kurzfilm dokumentiert nun die
Werke im Norddeutschen oder im Hafen von Amsterdam, ihre virtuelle Existenz
sowie Kommentare im Netz.
Bleibt noch die kleine Personale im Raum für Freunde des Kunstvereins:
[6][Philipp Kapitza], 1996 geboren und 2022 Absolvent der HBK Braunschweig,
interessiert sich für biologische Prozesse an Orten, die vom Menschen oder
durch Naturereignisse verwüstet wurden. „Staub“ steht da als Metapher für
das Hinterlassene, „Pioniere“ überschreibt er die bewundernswerte Kraft
mancher Pflanzen, sogar unter solch feindlichen Bedingungen
Vegetationsformen auszubilden. Sie schaffen damit die Basis für komplexere
Lebenssituationen, selbst wenn ihnen selbst nur selten eine lange Existenz
vergönnt ist. Wie war das nochmal mit Dada?
15 Oct 2023
## LINKS
[1] /100-Jahre-Dada/!5271799
[2] https://eunjeong-kim.com/de/
[3] http://oliverlaric.com/
[4] https://martinamenegon.xyz/
[5] https://schulzlichter.com/ueber-mich/
[6] https://npiece.com/philipp-kapitza?l=de
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
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