| # taz.de -- Finanzierung kommunaler Kulturpolitik: Nach dem Gusto des Konzernch… | |
| > Fabian Köster hat die Abhängigkeit kommunaler Kulturpolitik von der | |
| > Wirtschaft erforscht – an den Beispielen Wolfsburg und Gelsenkirchen. | |
| Bild: Würden ohne VW in Wolfsburg die Lichter ausgehen? Möglich. Aber viellei… | |
| Braunschweig taz | Bei Volkswagen sank der Nettogewinn 2024 im Vergleich | |
| zum Vorjahr um fast ein Drittel. Den Dieselskandal im Rücken, die | |
| Mobilitätswende vor Augen, schlägt das Wolfsburger Unternehmen einen | |
| Sparkurs ein. Gleichzeitig ist der Konzern einer der größten Kulturförderer | |
| der Region – und darüber hinaus. „Eine erfolgreiche Industrie schafft eine | |
| hohe Gewerbesteuer, und daraus resultieren häufig Kulturprojekte. Wenn das | |
| nicht vorhanden ist, entsteht ein Vakuum“, resümiert der Historiker Fabian | |
| Köster. | |
| In seiner Doktorarbeit vergleicht er die Kulturpolitik der „Autostadt“ und | |
| die von Gelsenkirchen, der „Stadt der tausend Feuer“, in der Zeit des | |
| sogenannten Wirtschaftswunders. | |
| Beide Städte wollen sich emanzipieren: von ihrer Vergangenheit als | |
| Standorte der nationalsozialistischen Rüstungsindustrie, von den | |
| traditionsreichen Städten in ihrer Umgebung, letztlich auch vom Einfluss | |
| der Industrie. Mittel der Wahl sind kulturpolitische Leuchtturmprojekte. | |
| Während 1959 die documenta II „die abstrakte Gegenwartskunst als | |
| bundesdeutschen und internationalen Trend setzt“, so Köster, wird in | |
| Wolfsburg schon 1958 erstmals der Preis „Junge Stadt sieht junge Kunst“ | |
| verliehen. | |
| Parallel öffnen in Gelsenkirchen die Städtischen Bühnen, das heutige | |
| Musiktheater im Revier. „An diesen Ort sollte vor allem der Arbeiter | |
| kommen, um mit der Theaterkunst kulturell erzogen zu werden“, sagt Köster. | |
| Solch „volkserzieherischen“ Charakter haben auch die Wolfsburger | |
| Bestrebungen. „Die arbeitende Bevölkerung war immer mitgedacht, sollte zur | |
| abstrakten Gegenwartskunst erzogen werden“, sagt Köster. Doch diese | |
| Top-down-Struktur habe nicht funktioniert. So habe Gelsenkirchen versucht, | |
| klassische Kunstsammlungen zu etablieren, „nur stellt man fest, dass nur | |
| die dünne Bildungsbürgerschicht der Stadt diese Kunst konsumiert“. | |
| Wolfsburg will zu Beginn der 1960er für 60.000 D-Mark eine Plastik von | |
| Henry Moore ankaufen. „Es gab Protestwellen, es gab Leserbriefe in der | |
| Wolfsburger Allgemeinen Zeitung, die gesagt haben, dieses Geld für ein | |
| Kunstwerk, das sie gar nicht verstehen, soll doch lieber anderweitig in | |
| kulturelle Bildung fließen.“ | |
| Köster spricht von „Emanzipationsbestrebungen, die nach innen und außen | |
| nicht funktioniert haben“. Volkswagen bleibt eine Macht in der Stadt. So | |
| veranstaltet VW-Patriarch Heinrich Nordhoff in den 1950ern und 60ern | |
| mehrere ganz nach seinem Geschmack kuratierte Ausstellungen. „Das, was er | |
| gut fand, hat er gezeigt“ – nämlich Klassiker. | |
| Damit konterkariert er Bestrebungen, [1][Wolfsburg als Stadt abstrakter | |
| Gegenwartskunst zu etablieren.] Darüber hinaus habe er bei | |
| Kulturentscheidungen ein regelrechtes Veto-Recht gehabt. „Die kommunalen | |
| Entscheiderinnen und Entscheider sind – das ist in Privatnotizen vermerkt – | |
| teilweise wie Bittsteller hingegangen.“ | |
| ## Strukturwandel verändert Kulturlandschaft | |
| Der sechs Millionen D-Mark teure Bau des Kulturzentrums, heute | |
| Alvar-Aalto-Kulturhaus, wäre ohne die von VW beigesteuerten zwei Millionen | |
| nicht möglich gewesen. Zur Eröffnung 1962 berichten Medien bundesweit. | |
| „Viele dieser Beiträge sind sehr wohlwollend, aber es wird trotzdem immer | |
| von der Volkswagen-Stadt gesprochen, nicht von Wolfsburg.“ | |
| In Gelsenkirchen regiert dagegen der Strukturwandel mit: Textilkrise, | |
| Bergbaukrise, Stahlkrise [2][– weniger Arbeitsplätze, weniger | |
| Gewerbesteuereinnahmen, weniger Kultur.] „Dieses Vakuum wird dann zum | |
| Beispiel durch bürgerliche Initiativen wie den Kunstverein gefüllt“, sagt | |
| Köster. „Auch bemerkenswert ist, dass interkommunale Zusammenarbeit viel | |
| mehr im Fokus steht.“ | |
| ## Bürgerliche Initiativen statt Konzernentscheidungen | |
| Das moderne Stadttheater kooperiert mit Bochum und Dortmund. In | |
| Gelsenkirchen sei die Kulturlandschaft bis heute stark durch bürgerliche | |
| und private Initiativen geprägt, sagt der Historiker, „aber in Wolfsburg | |
| bleibt Volkswagen einfach eine Macht“. | |
| Anfang der 1970er beschließt der Konzern massive Konsolidierungsmaßnahmen. | |
| „Das reduziert die Gewerbesteuereinnahmen von knapp 44 Millionen D-Mark | |
| 1970 auf 16,6 Millionen 1971.“ Aus dem Kunstpreis „Junge Stadt sieht junge | |
| Kunst“ wird 1973 das „Forum junger Kunst“ unter Mitwirkung der Städte | |
| Bochum, Recklinghausen, Baden-Baden, Mannheim und Stuttgart. 1994 wird das | |
| Kunstmuseum eröffnet, getragen von der Kunststiftung Volkswagen. | |
| Sechs Jahre später geht der Freizeitpark Autostadt in Betrieb. Auf | |
| Initiative der Stadt Wolfsburg [3][öffnet 2005 das Wissenschaftsmuseum | |
| phaeno,] das später in eine Stiftung übertragen wird – finanziell | |
| unterstützt von VW. „Ich würde sagen, dass eine jetzige Krise sich nicht | |
| unbedingt sofort auf den Kulturbereich der Stadt auswirken würde“, sagt | |
| Köster. „Das Stiftungswesen ist ein eigener Kulturplayer geworden – in | |
| enger Kooperation mit Volkswagen – aber das ist viel diversifizierter | |
| aufgestellt und krisenfester.“ | |
| 6 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marieke Eichner | |
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