# taz.de -- „Dada Afrika“-Ausstellung in Berlin: Dialog mit den Freunden | |
> Die Berlinische Galerie zeigt mit „Dada Afrika“ die produktive | |
> Auseinandersetzung von Dada mit Artefakten außereuropäischer Kulturen. | |
Bild: Zu sehen in der Berlinischen Galerie: Sophie Taeuber-Arps Entwurf für ih… | |
Hätte Karl Schmidt-Rottluff vor dem Ersten Weltkrieg nicht die sogenannte | |
Negerplastik kennengelernt, wir würden heute die paar Akte mit noch | |
steileren Titten, als er sie sonst so gern malte, (nicht wirklich) | |
vermissen. Hätte Hannah Höch dagegen nach dem Ersten Weltkrieg nicht die | |
Seiten mit außereuropäischen Artefakten und Objekten der populären wie der | |
Avantgarde-Zeitschriften geplündert, wären uns sehr reizvolle, so zuvor nie | |
gesehene hybride Gestalten entgangen, die weit bis zum Ende des 20. | |
Jahrhunderts und darüber hinaus fortwirkten: „Die Liebe im Busch“ etwa von | |
1925 mit dem Kopf eines Afrikaners auf seidenbestrumpften Damenbeinen, der | |
einen modernen Bubikopf umarmt, der ursprünglich seine weiten Hosen krönt. | |
Auf Hannah Höchs Dada zugerechneten Werkkomplex „Aus einem ethnographischen | |
Museum“, der den zarten Tanz im Busch genauso umfasst wie die grotesken | |
Kombinationen von westlich-europäischen Großstadtbeinen, Schauspielstars, | |
schwarzafrikanischen Masken oder ozeanischen Büsten, berufen sich die | |
südafrikanische Künstlerin Candice Breitz und die aus Kenia stammende | |
Wangechi Mutu. | |
Ihre Suche nach einer geeigneten Form der visuellen Kritik am sexistischen | |
und rassistischen Bild des Frauenkörpers im postkolonialen Südafrika | |
beziehungsweise am Bild des geschändeten Frauenkörpers im Bürgerkrieg in | |
Sierra Leone resultierte in der neodadaistischen Collage ihrer „Rainbow | |
series“ (1996) beziehungsweise der zwölfteiligen „Pin-up“-Reihe (2001). | |
## Die Literatur in Grund und Boden trommeln | |
Warum also sollte der Dadaist Raoul Hausmann 1921 nicht recht haben, die | |
Arbeiten der expressionistischen Vergangenheit, die er zu seinem Leidwesen | |
mit dem Brücke-Mann Schmidt-Rottluff teilte, „als sinnlose | |
Stil-Spielereien“ zu schmähen, denen der Mut fehlte, „in einer unbekannten | |
Sprache zu sprechen“? Diese Frage wirft jedenfalls die vom Zürcher Museum | |
Rietberg und der Berlinischen Galerie erarbeitete Ausstellung „Dada Afrika“ | |
auf, die nach Zürich nun in Berlin eröffnet hat. Denn klarer denn je macht | |
diese Ausstellung über den „Dialog mit dem Fremden“, wie der Untertitel | |
erklärt, Dadas epochalen Bruch mit dem Vorangegangenen deutlich. | |
Dada, dessen 100. Geburtstag wir dieses Jahr feiern, redete wirklich in | |
einer unbekannten Sprache, schon Mitte des Ersten Weltkriegs. Da wollten | |
und konnten die Dadaisten im Cabaret Voltaire in der Zürcher Spiegelgasse | |
angesichts der Kriegskatastrophe nicht mehr europäisch sprechen. Also | |
schwatzten sie nicht Unsinn, wie oft gesagt, sondern sie sangen „Chants | |
nègres“ und führten neben Klavierstücken von Schönberg auch den „Masken… | |
mit Motiven aus dem Sudan“ auf. Wie weit die „Negerlieder“ authentisch od… | |
nur als provokativer Angriff auf die deutsche Hochsprache frei erfunden | |
waren, hing, wie die Ausstellung zeigt, vom auftretenden Künstler ab. | |
Der Berliner Dadaist Richard Huelsenbeck setzte auf die Befremdung frei | |
erfundener Umba! Umba!, weil er mit dem „Negerrhythmus die Literatur in | |
Grund und Boden trommeln möchte“, wie Hugo Ball bemerkte. Anders der | |
rumänische Schriftsteller Tristan Tzara, der Lieder afrikanischer und | |
ozeanischer Kulturen sammelte. Er publiziert das beim Schiffsbau gesungene | |
Lied „Maori. Toto Vaca“ im Dada-Almanach 1920 in Originalsprache. So | |
spricht es in einer Audiostation auch eine Schauspielerin, die die Sprache | |
nicht versteht, dann ein Maori, der sie versteht, und schließlich ein | |
Übersetzer auf Deutsch. Das Lied hört sich jeweils völlig verschieden an, | |
und Dada ist dabei nun, dass keine der Lesarten allein gültig wäre. | |
## Vorliebe für kurzlebige Materialien | |
Bei ihrer Hinwendung zu außereuropäischen Gesängen und Dichtungen ging es | |
den KünstlerInnen um eine Idee von Poesie, die Tanz, Musik und Plastik, | |
also Masken, mit einbegriff. Vor allem der rumänische Maler, Grafiker, | |
Performance-Künstler und spätere Architekt Marcel Janko tat sich dabei | |
hervor. Mindestens sieben Maskenauftritte sind von ihm in der Zürcher Zeit | |
belegt. Für die Kostüme und Larven verwendete er eher kurzlebige | |
Materialien wie Gips, Draht, Karton, Jute, Holz und Stroh, entsprechend | |
handelt es sich bei den heute noch existierenden und in Berlin | |
ausgestellten Masken um Rekreationen und Paraphrasen. | |
Deren Nähe zu der überraschend, aber plausibel von den Kuratoren Michaela | |
Oberhofer, Esther Tisa Francini und Ralf Burmeister ins Spiel gebrachten | |
Lötschentaler Fasnachtslarve einerseits und den ozeanischen und | |
afrikanischen Masken andererseits, ist frappierend. Überhaupt wird im | |
Ausstellungsrundgang deutlich, wie in den hybriden Dada-Assemblagen das | |
Fremde, das Folkloristische und das Moderne ununterscheidbar in eins fällt. | |
Die gleichwertige Wahrnehmung mag mit der Kindheit am Beginn des 20. | |
Jahrhunderts zusammenhängen. | |
Dies denkt man angesichts des Fotos aus dem Jahr 1904, das die | |
Indianerporträts, die Nachbildungen von Tomahawks, die Friedenspfeifen und | |
indianischen Federn der „Indianerecke“ in Sophie Taeuber-Arps Kinderzimmer | |
zeigt. Neben der zeitgemäßen Jugendliteratur bildeten nun auch | |
Indianerbücher die kulturelle Grundversorgung von Jungen und Mädchen, und | |
hin und wieder kam der technische Fortschritt der Moderne auch in Form von | |
Foto- oder Radioapparat (dessen Lang- und Kurzwelle jederzeit | |
„Lautgedichte“ zu Gehör bringen konnte) ins Kinderzimmer. 1917 trat Sophie | |
Taeuber-Arp für ihre Tanzperformances im Cabaret Voltaire im „cubistischen | |
Kostüm“ auf, von dem es formal gesehen nur noch ein kleiner Schritt zum | |
selbstentworfenen Katsina-Kostüm war, in dem sie und ihre Schwester 1922 | |
auf einem Foto posieren. | |
Die maskierten, gerne in geometrischen Mustern bunt bemalten | |
Katsina-Figuren der Hopi-Indianer waren vor allem in den Pariser | |
Surrealistenkreisen um André Breton und Max Ernst begehrt. Für Breton ging | |
es hier um den Dialog mit den Freunden, empfand er doch eine tiefe | |
Verwandtschaft zwischen den Vorstellungswelten der Indianer und der eigenen | |
surrealistischen Weltsicht. Dada hingegen bereitete der afrikanischen Kunst | |
das Podium. Dieses faszinierende Kapitel beleuchtet die Ausstellung im | |
Abschnitt „Dada Galerie“. Der Lehrer und Leiter der reformpädagogischen | |
Pestalozzi-Schule Han Coray hatte sie 1917 in Zürich eröffnet und zeigte | |
hier erstmals in der Schweiz außereuropäische mit europäische Kunst. Mit | |
der Gleichzeitigkeit betonte Dada die Ebenbürtigkeit der | |
Kunstanstrengungen. Auch wenn sich damit die von Dada erhoffte neue | |
Humanität nicht realisierte, konnte die Kunstmoderne fortan hinter diese | |
Setzung nicht mehr zurückgehen. | |
Dass dieser Prozess weit vor jedem postkolonialen Diskurs lag, kann Dada | |
nicht zum Vorwurf gemacht werden. Auch Han Coray nicht, und Tristan Tzara, | |
die sich zu leidenschaftlichen Sammlern afrikanischer und ozeanischer Kunst | |
entwickelten. Zentrum des Handels war Paris, wo man schon einmal in einer | |
Autogarage auf afrikanische Figuren traf, die mit einer Ladung Kautschuk | |
importiert worden waren. Hier kam auch Man Ray, dessen Fotos afrikanischer | |
Masken viel zu deren ikonischem Status beitrugen, erstmals mit | |
afrikanischer Plastik in Berührung. Dass von ihm die Korkskulptur „Idole de | |
pècheur“ (1926) ausgestellt ist, die Man Ray in Biarritz aus angespülten | |
Korkstücken montierte, und die an die Idole der Osterinsel erinnert, zeigt | |
aufs Schönste den Kenntnis- und Einfallsreichtum der Ausstellung. | |
## Rituelle und religiöse Funktionen | |
1931 allerdings distanzierte sich Han Coray dann von der Wahrnehmung | |
afrikanischer Artefakte im Kunstkontext, wie sie die „Bohemiens von | |
Montparnasse“ praktizierten, die, wie er meinte, nur „seelenlose Plagiate“ | |
produzierten, und betonte stattdessen ihre rituellen und religiösen | |
Funktionen. Sie versucht nun erst das Museum Rietberg in Zürich zu klären, | |
das wesentliche Teile von Corays Sammlung hütet. Denn aufgrund des ersten | |
ästhetisierenden Zugriffs bildet sich im Material seiner Sammlung | |
keineswegs die kulturelle oder gesellschaftliche Praxis einer datierbaren | |
afrikanischen Gesellschaft ab; um die ethnografische Dokumentationen über | |
die Handlungszusammenhänge, in denen die Artefakte zum Einsatz kamen, haben | |
sich Coray und seine Händler nie gekümmert. | |
Letztlich, meint Alexis Malefakis im absolut empfehlenswerten Katalog, | |
müsse Corays afrikanische Sammlung als eine europäische Kunstsammlung (samt | |
der üblichen problematischen Provenienz) verstanden werden. | |
9 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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