# taz.de -- Ausstellung „Not A Single Bone“ in Berlin: Der Knochenklau | |
> Die Künstler Jan Nikolai Nelles und Nora al-Badri wollen Versäumnisse in | |
> der Berliner Provenienzforschung aufzeigen. Gelingt das auch? | |
Bild: Wer hat wem den Knochen geklaut? Und warum? | |
Der Brachiosaurus im Lichthof des Naturkundemuseums ist eine der größten | |
Attraktionen der Berliner Museen. Zwei Etagen hoch lehrt er auch den | |
Besuchern Ehrfurcht, die sich für Naturwissenschaft und Dinos eigentlich | |
nicht interessieren. Aber wie kommt das gigantische Skelett eigentlich nach | |
Berlin? | |
Deutsche Forscher gruben die Knochen zu einer Zeit aus, als der Fundort am | |
Berg Tendaguru in Tansania zu der deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika | |
gehörte. Mit der Hilfe afrikanischer Arbeiter wurden Knochen, die teilweise | |
aus dem Boden ragten und von der Bevölkerung als Heiligtümer verehrt | |
wurden, ausgegraben, ans Meer getragen und nach Deutschland verschifft. | |
Einer dieser Knochen ist ab Freitag in einer Ausstellung der Berliner | |
Künstler Nora al-Badri und Nikolai Nelles in der Berliner Galerie Nome zu | |
sehen – nicht als Original, sondern als Kopie, die angeblich aus | |
„geleakten“ Daten eines 3D-Scans des Dinosauriers erstellt wurde. Wie sie | |
an diese Daten gekommen sind, wollen al-Badri und Nelles nicht offenlegen. | |
Mit Unterstützung des Haus der Kulturen der Welt sind die Künstler Anfang | |
des Jahres nach Tansania gefahren, um den Ausgrabungsort der Knochen zu | |
besuchen und haben dort am Tendaguru nach Erinnerungen an die Ausgrabungen | |
geforscht. | |
## Debatte um Herkunft der Exponate | |
Die Geschichte des Saurier-Stars scheint dabei wie gemacht für eine | |
kritische Untersuchung der Umstände, unter denen die Exponate in | |
Deutschlands Museen unter oft unappetitlichen Bedingungen zusammengeklaut | |
wurden. Die Debatte um Beutekunst, Provenienzforschung und mögliche | |
Restitutionen, die bisher vor allem im Kontext von archäologischen | |
Fundstücken und Nazikunsthandel geführt wird, erreicht auch die Fossilien. | |
Doch wenn man sich genauer mit den Hintergründen des Projekts beschäftigt, | |
gewinnt man den Eindruck, dass es hier weniger darum ging, ein Museumsstück | |
zu kontextualisieren und den Ansprüchen des Landes, aus dem es stammt, | |
Geltung zu verschaffen. Sondern eher um maximale Skandalisierung mit | |
fragwürdigen Methoden. | |
Das fängt an mit dem Titel der Ausstellung: „Not A Single Bone“, keinen | |
einzigen Knochen, würde man den Künstlern zur Verfügung stellen, habe ihnen | |
ein Mitarbeiter des Naturkundemuseums an den Kopf geworfen, nachdem das | |
Museum zunächst Interesse an einer Zusammenarbeit signalisiert habe, sagen | |
die Künstler. Erklärt habe das Museum seinen Rückzug nicht. | |
Beim Museum hat man das anders in Erinnerung. Eine Zusammenarbeit sei gar | |
nicht möglich gewesen, obwohl man für Kunstprojekte sogar ausdrücklich | |
offen ist: „In Kooperation mit der Kulturstiftung des Bundes wurde im Jahre | |
2013 das Modellprojekt Kunst/Natur entwickelt und steht in Zusammenhang mit | |
der programmatischen Öffnung des Museums für Naturkunde Berlin für | |
kulturwissenschaftliche und künstlerische Fragestellungen“, erklärt | |
Pressesprecherin Gesine Steiner per Mail. | |
„Eingeladen werden zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, um in | |
Auseinandersetzung mit dem Museum, seiner Sammlungen und seiner Forschung | |
ein neues Werk zu schaffen. Jan Nikolai Nelles und Nora al-Badri haben sich | |
auf das Programm weder beworben, noch sind sie eingeladen worden.“ Für eine | |
mögliche Kooperation wäre das nötig gewesen, so Steiner. | |
## „Sternstunde“ der Naturkunde? | |
Der zentrale Vorwurf der Künstler ist aber natürlich, dass das Museum die | |
Herkunft seiner Exponate nicht thematisiert. „Im Museum gibt’s es nur ein | |
kleine Karte von Afrika, mit einem roten Punkt an der Stelle, wo die | |
Knochen ausgegraben wurden“, ereifert sich Nikolai Nelles beim Interview | |
einige Tage vor Ausstellungseröffnung. | |
Doch tatsächlich gibt es im Naturkundemuseum eine Vitrine mit 28 Bildern, | |
die die afrikanischen Arbeiter bei den Grabungen zeigt. In den begleitenden | |
Texttafeln werden die historischen Umstände der Expedition kurz umrissen. | |
Allerdings bleibt die Tatsache unerwähnt, dass die Funde aus einer Gegend | |
stammten, die zu dieser Zeit eine deutsche Kolonie war. Stattdessen ist von | |
der „tatkräftigen Hilfe der einheimischen Arbeiter“ die Rede, die Grabungen | |
seien eine „Sternstunde“ der Naturkunde gewesen. Ist der Vorwurf also | |
berechtigt? | |
„Die Präsentation der historischen Erwerbskontexte bedarf dringend einer | |
Überarbeitung“, findet auch Holger Stoecker. Er arbeitet bei einem | |
Forschungsprojekt von Naturkundemuseum, Humboldt-Universität und TU Berlin | |
mit dem Titel „Dinosaurier in Berlin“, das zur Zeit die Herkunft der | |
Saurierknochen und ihre kolonialen Verstrickungen untersucht. Die | |
Forschungsergebnisse sollen 2018 in Buchform publiziert werden und in die | |
Ausstellung einfließen. Nach einem Museum, das die kolonialen Hintergründe | |
von Exponaten unter den Teppich zu kehren versucht, klingt das nicht. | |
„Die Fragen, die al-Badri und Nelles stellen, sind wichtig. Aber ihre | |
Methoden sind mehr als fragwürdig“, meint der Historiker. Ihn stört | |
zunächst, dass die Künstler bei einem Aufenthalt von wenigen Wochen | |
Einblick in die lange zurückliegende religiöse Verehrung der Knochen | |
gewonnen haben wollen: „Ethnologen und Linguisten verbringen oft Monate | |
oder Jahre mit den Menschen, über die sie forschen. Um zu fundierten | |
Ergebnissen zu kommen, müssen sie von der Gemeinschaft akzeptiert werden, | |
brauchen Zugang zu vertrauenswürdigen Informanten und Sprachkenntnisse. In | |
zwei oder drei Wochen ist das nicht zu schaffen.“ | |
Man mag einwenden, dass man mit der Praxis der künstlerischen Forschung | |
auch jenseits eingeübter wissenschaftlicher Praktiken zu Erkenntnissen | |
kommen kann. So sagen es auch al-Badri und Nelles: „Wir wollen die | |
Narrative, die die westlichen Institutionen erzählen, hinterfragen und dem | |
alternative emanzipatorische Narrative entgegen setzen.“ | |
## Wissenschaft legt Quellen offen | |
Stoecker stört zudem, dass die Künstler nicht sagen wollen, woher die Daten | |
stammen, die sie für ihre Version des Dinoknochens genutzt haben: | |
„Wissenschaft legt ihre Quellen offen, damit ihr Erkenntnisweg für jeden | |
nachvollziehbar ist. Das sollte auch für ‚künstlerische Forschung‘ gelten… | |
So bleibt tatsächlich einiges im Dunklen. Ist die Knochenkopie, die sie in | |
ihrer Ausstellung zeigen, tatsächlich eine Replika von einem Bestandteil | |
des Museums-Dinos? Oder haben die Künstler einfach einen Teil eines | |
Dino-Bastelsatzes abgescannt? Fragen, die nicht nur für das vorgeblich | |
postkoloniale Projekt der Künstler von Bedeutung sind, sondern auch für | |
seine Situierung in der Kunst, in der Originalität, Eigentumsverhältnisse | |
und Definitionsmacht eine entscheidende Rolle spielen. | |
Bereits bei ihrer Arbeit „The Other Nefertiti“ reproduzierten al-Badri und | |
Nelles die weltbekannte ägyptische Nofretete-Büste, die heute im Neuen | |
Museum auf der Museumsinsel zu besichtigen ist, mit einem 3D-Drucker. Das | |
Original soll im Museum mit einem Scanner abgenommen worden sein. Technisch | |
unmöglich, sagten damals Fachleute. | |
Mit der Aktion wollten sie kritisieren, dass die Stiftung Preußischer | |
Kulturbesitz, zu dem das Neue Museum gehört, die Nofretete unter Verschluss | |
hält: „Das Neue Museum erlaubt bis heute keinen Zugang zum Kopf von | |
Nofretete oder zu den Daten von deren Scan“, heißt es auf der Website des | |
Projekts. Tatsächlich ist die Nofretete für jeden Besucher des Neuen | |
Museums zu besichtigen. Nur fotografieren darf man nicht, weil Blitzlicht | |
die Büste beschädigen könnte. | |
Die 3D-Daten der Büste werden wirklich nur für wissenschaftliche Vorhaben | |
zur Verfügung gestellt. Nach Angaben des Neuen Museums haben al-Badri und | |
Nelles aber auch nie nach ihnen gefragt. Allerdings hat die Stiftung | |
Preußischer Kulturbesitz 2015 eine limitierte Edition der Nofretete zum | |
Verkauf angeboten – von diesen Kopien ist offenbar auch der Scan abgenommen | |
worden, mit dem al-Badri und Nelles arbeiten. | |
## Berechtigte Fragen | |
Das Museum betont: „Es gab bislang nie eine offizielle Rückgabeforderung | |
des Ägyptischen Staates an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz.“ | |
Tatsächlich hat der ägyptische Chefarchäologe Zahi Hawass sehr wohl die | |
Rückgabe der Nofretete gefordert – wenn auch ohne Unterstützung der | |
ägyptischen Regierung. | |
Und damit sind wir wieder bei dem Thema, ob Fundstücke aus ehemaligen | |
Kolonien oder anderen Ländern, in denen die Europäer ihre Macht ausgenutzt | |
haben, um sich Kulturgut anzueignen, wirklich in europäische Museen | |
gehören. Berechtigte Fragen. | |
Al-Badri und Nelles aber treten in Deutschland als Emissäre der Menschen | |
von Tendaguru auf. Sie erzählen von einem „Sechs-Punkte-Plan“, den sie mit | |
den Einheimischen erarbeitet hätten. In diesem geht es jedoch um | |
Landgrabbing und Eigentumsrechte an Ländereien – nicht aber um | |
Dinosaurierknochen. | |
Dass al-Badri und Nelles nun in ihrem Namen in Deutschland sprechen, hat | |
selbst einen kolonialen Touch. Denn sie empfehlen den Menschen vor Ort, mit | |
Hilfe der Scans der Fossilien ein „virtuelles Museum“ zu schaffen. Ob das | |
wirklich das Interesse der Menschen am Tendaguru ist? Oder vielleicht eher | |
das der beiden Künstler, die bisher vor allem mit selbst inszenierten | |
Kontroversen auf sich aufmerksam gemacht haben? | |
11 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
## TAGS | |
Provenienzforschung | |
Naturkundemuseum | |
Dinosaurier | |
Raubkunst | |
Gentrifizierung | |
Hamburg | |
Humboldt Forum | |
Dada | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bronzen aus Nigeria in Museen in Europa: Bring mich nach Hause | |
Ende des 19. Jahrhunderts wurden 3.500 Bronzen aus Nigeria geraubt. Nun | |
werden Forderungen nach ihrer Rückgabe laut. | |
Foto-Ausstellung in Schöneberg: Bewahren, was verschwindet | |
Berlin verändert sich so rasant, dass liebgewonnene Orte oft plötzlich | |
einfach weg sind. Das Projekt „Vanishing Berlin“ verewigt diese Orte. | |
Jürgen Zimmerer über Kolonialismus: „Wir suchen die Handelswege“ | |
Die Hintergründe der im Kolonialismus geraubten Benin-Bronzen der Hamburger | |
Museen erforscht jetzt die Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales | |
Erbe“ | |
Streit um Berliner Humboldtforum: Überreste aus dem Unrechtskontext | |
Bei den außereuropäischen Sammlungen liegt die Provenienzforschung völlig | |
im Argen. Hilfe kommt von der Gerda Henkel Stiftung. | |
„Dada Afrika“-Ausstellung in Berlin: Dialog mit den Freunden | |
Die Berlinische Galerie zeigt mit „Dada Afrika“ die produktive | |
Auseinandersetzung von Dada mit Artefakten außereuropäischer Kulturen. | |
Naturkunde-Museum in Berlin: T. Rex in Tusche | |
Gleich mehrere Künstler experimentieren im Berliner Naturkundemuseum mit | |
Dinoknochen. Und hauchen ihnen so neues Leben ein. |